Kinks, Zürich und Mellow
Im Probelokal meiner Band habe ich kürzlich ein Konzertplakat welches
den Eierkartons weichen musste gefunden. Tja, und das löste diese kleine
gedankliche Zeitreise aus.
Dies sind ein paar Erinnerungen an eine verrückte Zeit. Eine Zeit in der
man das Gefühl hatte, man stehe irgendwie im Zenit der Welt. Mittendrin
im Leben. Ort der Handlung: Eine Stadt namens Zürich. Darsteller: Mellow,
die Kinks, Claudine, Trix, Polizisten, Mellows Freunde, eine Menge junge
Leute die glaubten sie könnten die Welt verändern und Dieter Meier.
1.
Zürich war eine verschlafene Provinzstadt. Dann kam die Punkwelle aus
England angerollt und löste so was wie eine friedliche Revolution aus.
Diese verschlafene Stadt wurde plötzlich zu einem Nährboden für diese
Subkultur. Punkbands wie Mother's Ruin, Sperma oder Nasal schossen aus
dem Boden, man lief mit Gedichtbänden von Patti Smith und Jim Morrison
durch die Gegend. Englands beste Punkbands gaben ihre Visitenkarte ab,
Dieter Meier (Yello) irrte 1978 mit einer akkustischen Gitarre unterm
Arm herum und versuchte seine erste Vinyl-Single unter die Leute zu
bringen. In der Roten Fabrik gab's Punk und Kunst und Aktivismus. Der
Plattenladen an der Bäckerstrasse versorgte dich mit jeder gewünschten
Art von Sound, dort konnte man alles kriegen: Sixties, Seventies, Punk,
Westcoast.
Dann ging's irgendwann los mit dem Opernhaus-Knatsch, genau genommen
hatte es seit den 60ern immer gebrodelt unter der Oberfläche. Per
Volksabstimmung sollten 'zig Millionen in den Tempel der klassischen
Kultur 'reingebuttert werden und wie immer hatte man für Jugendhäuser
keine Kohle mehr. Okay, die verfeindeten Parteien gerieten in der Folge
immer öfter und heftiger aneinander. An anderer Stelle kann man die
Geschehnisse jenes Teils der Stadtgeschichte detailliert nachlesen, ich
verzichte daher auf eine chronologische Auflistung der damaligen
Ereignisse sondern schreibe nur über die Dinge an die ich mich noch
erinnern kann oder will...
2.
1980: Du brauchtest damals verdammt schnelle Schuhe in Zürich, am besten
Turnschuhe. Mit denen konntest du am schnellsten davonrennen wenn die
Bullen wieder 'mal ein paar Schüler verprügeln wollten. Ja am liebsten
die Typen die gegen fünf Uhr Abends von der Kunstgewerbeschule zum
Hauptbahnhof wollten. Das waren sicher alle Sympathisanten von diesem so
genannten "Sprayer" (Harald Nägeli), den die ganzen Detektive der
Stadtpolizei während zweier Jahre erfolglos gejagt hatten! Und diese so
genannte "Kunsti" war doch ganz klar mit dem Teufel verbündet und
beherbergte tagsüber doch nur Durchgeknallte und Kiffer. Die politischen
Gegner im besetzten AJZ hatten sich verbarrikadiert und wieder 'mal
keine Lust auf Krawall, also schnappten sie sich eben das was gerade die
Strasse lang gelatscht kam!
Auf dem Weg zum Bahnhof lag das autonome Jugendzentrum, und dort
warteten sie jeweils auf uns. Okay die Jungs also mit Schulmappe auf
Kopfhöhe auf der Strassenseite als Gummigeschoss-Schutzschild für die
Mädchen der Klasse die sich den Fassaden der Häuser entlang drückten und
dann wurde gerannt. Vorneweg der zwei Meter große Martin und da war's
dann meistens auch schon geschehen. Ein durchschnittlich intelligenter
Bereitschaftspolizist kriegte es beim Anblick dieser riesenhaften
Gestalt mit der Angst zu tun und schon wurde mit den Schlagstöcken
gerudert! Herumfliegende Gummigeschosse, Tränengaspetarden, das gehörte
damals zum Alltag in Zürich. Aber irgendwie haben wir es immer geschafft
zum Bahnhof...
3.
Durch diese Zeit begleiteten mich die Kinks. Meine Kinks - und die waren
genial! 1978 hatten sie sich nach Zürich verirrt. Das phantastische
Wunsch-Konzert bei welchem die Meute in der Volkshütte der Band die
alten Songs vortrug und Ray & Co versuchten sich zu erinnern wie die
denn gegangen waren. Well, da war Spontaneität gefragt! Hippies, Punks
und Normalos gleichermaßen boten der Truppe einen einzigartigen Empfang
in der Stadt. Sichtlich beeindruckt von der Party wurde '79 an gleicher
Stätte die Show mitgeschnitten, das war natürlich wieder ein genialer
Abend. Auszüge davon landeten dann auf der 80er DoLP "One For The Road".
1980 kamen sie nochmals, diesmal ins Kongresshaus. Aber es hatte sich
vieles verändert in der Stadt. Man las den "Eisbrecher", hatte Angst
bespitzelt, ausgehorcht, verprügelt oder in U-Haft gesteckt zu werden
weil man die falschen Buttons angesteckt hatte und brauchte wie schon
gesagt schnelle Schuhe. Man hörte TNT's Punk-Aufschrei "Razzia":
" Razzia - Razzia - öisi Schmier isch wieder da
Razzia - Razzia - sie wänd Kontrolle über öis ha!"
Sängerin Sara Schaer brüllte die Worte regelrecht. Echt - Razzia war in
aller Munde. Ich wohnte auf dem Land, aber auch dort warst du nie sicher
vor diesen lustigen Kontrollen der Streifenhörnchen. Die liebe Polizei
war überall dabei, die hatten überall ihre Informanten. Stephan Eicher
sang zu der Zeit mit Grauzone den Song Eisbär. Es kursierten
Fotomontagen mit Eisbergen vor der Limmatstadt. Es war kalt geworden.
Sehr kalt.
Am Abend des Kinks-Konzertes war wieder alles nervös in der Stadt. Wie
ich 'reingekommen bin weiss ich nicht mehr, aber draußen vor der Halle
gab's dann wieder Krawall und ein Mädchen verlor ein Auge durch eines
dieser gefürchteten Geschosse aus Hartgummi. Das erfuhr man aber ein
oder zwei Tage danach, zuerst war's nur ein Gerücht. An den Gig selbst
erinnere ich mich nicht mehr so recht, offenbar bestritten Nine Below
Zero das Vorprogramm. Da verschwimmt alles. Die Partylaune der
vergangenen Jahre war jedenfalls verschwunden und ich glaube Ray Davis
hatte das auch gemerkt, irgendwie hatten die 80er einen seltsam
unterkühlten Start hingelegt.
4.
Wenn ich mir überlege welche Musik ich unter anderem die nächsten paar
Jahre gehört habe, dann sagt das vieles aus: Dunklere, kühlere Formen
der Popmusik wie Psychedelic Furs, The Church, Teardrop Explodes und
Julian Cope, immer wieder die Stranglers, Clash, die schrillen B 52's.
Gute, aber zum Teil schwer verdauliche Musik, sie spiegelt exakt den
Zeitgeist jener Jahre wieder.
1981 verließ ich mit einer damaligen Freundin auch völlig entnervt eine
Show der Engländer Iron Maiden. Wie konnte man nur so laut spielen - da
drehte sich einem der Magen um - echt - wirklich physisch - ein
schreckliches Konzerterlebnis! Auf Platte klang das ja nicht schlecht
und mit dem Axemonster Eddie konntest du die Mütter aus der Bude
fernhalten, aber das unaufhörliche Pfeifen/Kreischen/Sägen über der PA
schnitt dir bei jenem Event das Gehirn in Tranchen. Grauenhaft, ich habe
dann immer einen großen Bogen um die Truppe herum gemacht. Maiden
passte haargenau zu dem verunglückten Start der 80er. Es gab aber auch
Live-Highlights in dieser Übergangsphase: Led Zeppelin, McGuinn/Hillman,
Lee Clayton, Fairport, Rory, Mayall, Ramones, Blondie, Jane.
5.
Wie so viele andere wendete ich mich von der Stadt ab.
Zürich war gestorben.
Eine weitere Geschichte ist mir geblieben: Trix die sommersprossige,
jüngere Schwester meiner Maiden-Begleitung spielte bei einer Demo einmal
Jeanne d'Arc. Sie rastete ob der schwelenden Gewalt völlig aus, ging mit
Löwengebrüll auf einen Uniformierten los und stauchte den mit Worten
dermassen zusammen, dass der nicht mehr wusste wer er war, woher er kam
oder wohin er gehen sollte! Bevor der arme, überfahrene Polizist
reagieren konnte, wurde die kleine Dame weggezerrt und in Sicherheit
gebracht. Sie ist für mich ein Sinnbild der damaligen Jugend in der
Stadt Zürich - sie wollte frei sein und konnte wenns sein musste für
ihre Ideale Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit kämpfen wie das
Wappentier der Limmatstadt! Plötzlich sollte es für junge Leute keinen
Platz mehr in der Gesellschaft geben, sie wurden in eine Ecke gedrängt,
verjagt, verdrängt. Ich glaube Trix konnte diese Welt so wie sie damals
war nie verstehen oder akzeptieren, geschweige denn verkraften.
Sie nahm sich 1986 das Leben.
Für Trix, die kleine, unvergessene Jeanne d'Arc aus der Zürcher
Oberland...
Mellow
Nachtrag:
Live waren die Kinks unschlagbar. Die hatten
Humor (manchmal sogar Dave!), die hörten auf ihr Publikum und
konnten sich jeder Situation anpassen. Die Kinks hatten sich selbst
aus der Krise in die sie mitte 70er hineingeschliddert waren aus
eigener Kraft herausgehebelt und wieder so grossartige Platten wie
z.B. "Misfits" produziert. Man höre sich bloss einmal "Black Messiah"
an! Ich glaube deshalb und wegen der ganzen zynischen Texte und
Geschichten wurden sie von der Punk/Wave-Generation so wohlwollend
aufgenommen. Und sie hatten Spirit. Sie gaben dir das Gefühl es sei
keine Show, sie seien keine alternden Millionäre, sondern Leute in
abgewetzten Turnschuhen wie du und ich.
Oh yeah - das waren "meine Kinks"...
© Mellow |
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