Salvatore Adamo – Der Gehenkte (1972)

Nein, einfach ist das Thema «Chanson» nicht, gerade im deutschsprachigen Raum trifft man diesbezüglich im musikgeschichtlichen Umfeld auf wenig Akzeptanz, die eigene Sprache wird inklusive Goethe und Schiller gerne verschämt in die nächste finstere Ecke geschubst und überlieferte grenzüberschreitende sprachliche Beziehungen zu anderen Ländern werden verleugnet weil sie doch alles nur noch schlimmer machen, also aus kultureller Warte beäugt. Und überhaupt, Chansons sind doch bloss erfunden worden um menschliche Ohren und Seelen zu quälen, wirklich wahre und gute Musik kam doch immer nur aus London, Liverpool und Übersee.

Aber eben, es ist kompliziert, da helfen auch keine Verdrängungsversuche. Totschweigen scheint keine dauerhaft befriedigende Lösung zu sein, irgendwann wird sich auch ein seriöser Experte für Musik und Kultur mit Chansons auseinandersetzen und Farbe bekennen müssen, pro oder contra, alles oder nichts, weiss oder schwarz. Natürlich, ignorieren geht auch, es besteht dann jedoch die Gefahr, dass die persönlich gestaltete musikalische Noten-Landkarte weisse Flecken aufweist und deshalb unvollständig ist.

Break.

Salvatore Adamo ist (auch wenn er oft der deutschen Sprache bediente) kein Deutscher sondern ursprünglich Sizilianer (heute belgischer Staatsbürger), er zementierte das Fundament seiner Weltkarriere aber vor allem in Frankreich, er gilt als einer der letzten grossen Chansonniers. Sein gigantischer Hit «Es geht eine Träne auf Reisen» hiess im französischen Original «Une Larme Aux Nuages», mit Alexandra traf er sich einst auf Augenhöhe zur literarischen Zusammenarbeit und selbst einer der Anführer der deutschen Liedermacherszene (Reinhard Mey) half mit beim Übersetzen vieler französischer Adamo-Texte in die deutsche Sprache.

1972: Das faszinierende Adamo-Album Kieselsteine fristet leider bis heute noch immer ein Mauerblümchendasein, eigentlich schade, es ist ein schillerndes grenzüberschreitendes Chanson/Pop/Krautrock-Juwel, mindestens so stark und einzigartig wie KNEF von Hildegard Knef. Das auf Kieselsteine enthaltene, zusammen mit dem Texter Joachim Relin verfasste (Klage-) Lied «Der Gehenkte» hat bis heute nichts von seiner Brisanz verloren, auch über 50 Jahre später ist Rassismus und Diskriminierung noch immer brandaktuell und in aller Munde. Die beiden Songwriter orientierten sich beim Text vermutlich an den Geschehnissen in den USA der 1960er-Jahre, die Lyrics wurden also beeinflusst von Rassentrennung, Bürgerrechtsbewegung, Willkür der Justiz, Ku-Klux-Klan, der Ermordung von Dr. Martin Luther King und – als (witziger) Kontrapunkt dazu – von der Raumfahrt.

2020: Nachdem George Floyd durch Polizeigewalt in Minneapolis zu Tode kam, rauschten die Proteste der Bewegung Black Lives Matter in rasantem Tempo rund um den Erdball, selbst psychisch schwer erkrankte (unzurechnungsfähige?) Staatsoberhäupter wie der berüchtigte Mr. US-Blondie-Zombie, seine Copains Brazil-Jair, Brexit-Boris, der Rote Vladimir und die weltumspannende Corona-Pandemie konnten diese Welle der Empörung nicht verhindern. Ungleichheit existiert noch immer, in vielen Bereichen, nicht nur was Rassismus anbelangt. Mir scheint die Menschheit tritt auch auf sozialer und politischer Ebene seit Jahrzehnten an Ort und Stelle, schlussendlich verhindern und überstrahlen immer wieder Geld und Machtdenken echte Fortschritte, die Leader der Menschheit schauen nach wie immer zuerst darauf, dass der Wasserfluss auf die eigenen Mühlen nicht unterbrochen wird. Leider ist das ein generationsübergreifendes Problem, wirklich zufriedenstellende und faire Lösungen sind zwar immer wieder mal fast greifbar, normalerweise werden sie aber durch die Realität meist wieder in weite Ferne gerückt.

Der aus der Schublade befreite Gehenkte hat also noch keine Ruhe gefunden, es bleibt nur zu hoffen, dass der nachfolgende Text in weiteren fünfzig Jahren (hoffentlich aber schon viel früher) endgültig in die Kiste mit der aufgearbeiteten und befriedeten jüngeren Menschheits-Geschichte abgelegt werden kann.

BLACK LIVES MATTER!
mellow

 

Der Gehenkte
(1972, Track 1 auf Seite 2 der LP Kieselsteine, HÖR ZU / EMI Electrola)
Text und Musik: Salvatore Adamo, Joachim Relin

Morgens hängte man ihn auf,
rasch vorbei war die Tortur.
Und man wartete darauf,
dass seine Seele aus ihm fuhr.
Ließ ihn so drei Tage lang
an dem Strick im Winde baumeln.
Und die Menge mit Gesang
tanzte rundum im Freudentaumel.

Da erschien im Abendschein
eine graue Vogelschar.
Fraß ihn ab bis aufs Gebein
und dabei wurde man gewahr:
An dem Strick, blankgenagt
hängt die Seele noch des Armen.
Denn keiner hat danach gefragt
nicht einmal Gott hatte Erbarmen.

Der gehenkte Bösewicht
war ja auch ein Schwarzer bloss.
Und er verteidigte sich nicht,
als man seinen Tod beschloss.
Dabei hat er Glück und er, wie
kein Schwarzer sonst auf Erden,
sollte ohne Wiederkehr
hinauf zum Mond geschossen werden.

Doch das Schiff ist explodiert
dennoch pocht er auf sein Recht,
das die Verfassung garantiert
das ziemt sich für nen Schwarzen schlecht.
Da die hohe Richterschar
darin Hochverrat erblickte.
War auch sofort das Urteil klar,
dass an den Galgen man ihn schickte.

Und den Baum, von dem der Galgen stammte,
den schuf Gott.
Und den Strick, zu den man ihn verdammte,
den schuf Gott.
Und das Blut, das zu Erde tropfte,
das schuf Gott.
Und das Herz, das in dem Richter klopfte,
das schuf Gott.
Gott.

Aber sag mir bitte sag,
aber sag mir bitte sag,
wo war Gott an jenem Tag?

Egal, der Schwarze hatte nie
Gottes Namen hier genannt.
Denn im Leben hatte er
ja hier die Hölle nur gekannt.
Als er nun den Teufel suchte,
hoffte er noch auf Gewinnst,
für die Seele, die Verfluchte,
da hat der Satan nur gegrinst.

Ach du kommst vergeblich her
für deine Seele lieber Sohn,
zahl ich den selben Preis nicht mehr,
den ich dir bot am Telefon.

…..! .. …. … …..!
…..! .. …. … …..!
… ……. … ….. …..!
…..! .. …. … ……!
… ……. … ….. …..!
…..! .. …. … …..!

 

PS.
Komme mir jetzt bloss keiner mit «Schlager», nein, wer das Unwort erwähnt sollte sich nochmals den Abschnitt mit den «weissen Flecken» vornehmen und sich erst zu Wort melden, wenn er diesbezüglich bereinigt ist.

PPS.
Den finalen letzten Vers des Liedtextes habe ich absichtlich weg gelassen um möglichen Fehlinterpretationen keinen Raum zu lassen. Das Lied und den (vollständigen) Text findet man mittels Suchmaschine im Internet, die LP Kieselsteine ist nicht als CD erhältlich.

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Ein Kommentar

  1. Ich gestehe !! Ich habe beispielsweise massenhaft Musik von Georges Moustaki, Georg Danzer, Knef & Alexandra, Zucchero, Hermann van Veen und natürlich auch Adamo in meinem Bestand. Ich liebe die Musik die zwischen den Genres stattfindet (dazu in einem späteren Beitrag über die Tiroler modus FLOWCUS mehr), bin immer wieder begeistert, wenn ich die junge deutschsprachige Garde, LaBrassBanda, Bukahara, Irie Révoltés, Annen-May-Kantereit, Felix Meyer, höre und sehe. Für die eingefleischten Musik-Fachleute sind die Begriffe Beat (übrigens sehr schöne Serie über die Beat-Fräuleins), Pop, Schlager grenzwertig. Aber über Geschmack lässt sich nicht streiten, sondern diskutieren und akzeptieren. Ich kenne Freunde die beim Anschlag von zwei Klangschalen entrückt lächelnd Strahlen, ich kenne Freunde, bei denen mit der Musik Steine geschnitten werden können. Beide vereint, dass sie diese Klänge berührt. Und damit sind wir beim Kern deines Beitrags, einem Thema das die Menschheit seit 30.000 Jahren begleitet, Macht und Geld (Ressourcen). Wir brauchen nicht so weit zu schauen, uns mit den Horror-Gesellen der Politik auseinander zu setzen und auch nicht weit in der Zeit zurück zu gehen. Die armseligen Würstchen Tünnes aus Gütersloh und Uli H. Gutmensch Schäl aus Raum München könnten mit ihren Ressourcen mehr machen als Lügen, Bertrügen, Versklaven. Und das sind nur zwei Beispiele von unzähligen vielen anderen. Erst gestern sagte ich zu meiner Liebsten, das mit George Floyd war nicht nur Mord, sondern schwere Folter mit anschließenden Mord. Da war die La Guillotine in der französischen Revolution gnädiger und menschlicher. Etwas später sah ich einen Beitrag von einem Corona Überlebenden aus Raum Bergamo der sich weinend bei den deutschen Pflegern und Ärzten bedankte, dann etwas später die Auswüchse in Palma De Mallorca. Die Welt bricht auseinander und einige Leben ohne Grenzen. Freunde der Musik, egal ob Rock, Pop, Beat, Schlager, Jazz, New Age oder sonst irgendeines Genres, trefft euch, feiert besonnen, teilt die Ressourcen und teilt schöne Zeit miteinander. Auch Seiltanz: Kieselsteine 2 (1974), Hinter Den Herzen: Kieselsteine 3 (1977) und Der Olle Hansen Und Seine Stimmungen (1978) sind schöne Alben. Einzig Kieselsteine (1972) gibt es auf CD (1989 in Belgien, wo sonst), aber schwer zu bekommen. Ich fahre jetzt zur Loreley und treffe dort mehrere Dutzend Gleichgesinnte, alles Musik-Fachleute unterschiedlicher Färbung, egal, wir werden eine schöne Zeit zusammen haben. Klingende Grüsse, Der SchoTTe

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