Der aus Nashville stammende Soulsänger Charles Edwin Hatcher erhielt seinen Künstlernamen Edwin Starr als er nach seiner Militärzeit Anfang 60er der Bill Doggett Combo angehörte. Als der Bandleader den Sänger ein erstes Mal hörte, verpasste er ihm seinen Künstlernamen. Er war der festen Überzeugung aus dem dem Nachwuchsartisten würde eines Tages ein Star werden, er solle um das zu unterstreichen aber noch ein Extra-„r“ an den Namen hinten dran hängen. 1965 veröffentlichte Edwin Starr (mit zwei „r“) als Solo-Artist bei der Detroiter Plattenfirma Ric-Tic Records seine erste Single „Agent Double-O-Soul“, eine augenzwinkernde Anspielung auf den britischen Agenten James Bond der mit dem Kinohit Goldfinger (1964/65, der Leinwand-Agent wurde damals noch durch den Schauspieler Sean Connery verkörpert) einen gewaltigen Erfolg verzeichnen konnte. Shirley Bassey rauschte zudem mit dem von ihr gesungenen Titelsong weltweit in die Charts, es war der eigentliche Anfang des 007-Titelsong-Hypes, denn wer die jeweilige Auftragsarbeit machen durfte, der hatte eigentlich immer einen Hit auf sicher.
„Agent Double-O-Soul“ wurde ebenfalls ein Hit und erreichte einen respektablen Platz 20 in den US-Charts. Obwohl sie ausgezeichnet waren konnten die nachfolgenden Kurzrillen (weshalb auch immer) den Erfolg nicht wiederholen. 1968 legte Berry Gordy 1 Million Dollar für Golden World (die Mutterfirma von Ric-Tic Records) auf den Tisch und übernahm Sublabels, Backkatalog, Songwriter und Musiker, Edwin Starr wurde so über Nacht zu einem Motown-Artisten. Zum Start bekam Edwin Starr eine LP offeriert die teilweise auf dem Material der vorangegangenen Ric-Tic-Singles basierte die aber von A-Z ein runde Sache ist, in jeder Beziehung. Bei Motown und Co. war es durchaus üblich, dass Single-Titel zu Langspielplatten gebündelt wurden, als Kaufanreiz oft ergänzt mit weiteren, neuen oder bislang unveröffentlichten Songs, bis heute übrigens eine erprobte und unumstrittene Marketingstrategie.
Man hört der LP Soul Master (1968, Gordy/Motown) jedenfalls in keinster Weise an, dass sie offenbar in Etappen entstanden ist, die zwölf Songs wirken wie aus einem Guss was sicher auch daran liegt, dass mehrheitlich im selben Studio aufgenommen wurde. Auf der LP die von „Agent Double-O-Soul“ angeführt wird verstecken sich wahre Perlen, „Headline News“ (von Starr mitverfasst, er war auch Songwriter) etwa und vor allem „My Weakness Is You“ vom Songwriter-Gespann Grant/Kendricks/Whitfield (offenbar eine der Motown-Neuproduktionen) mit dieser grossartigen Stimme von Mr. Starr und betörendem weiblichem Chor, ein superdynamischer Soulkracher vor dem Herrn, die Nummer kann ich mir ohne Unterbrechung 10 Durchgänge lang nonstop in Endlosschlaufe antun, da kenne ich mittlerweile jeden Quadratzentimeter des Standtom-Felles (englisch Floortom), inklusive dem leichten Nachhall, weshalb der Titel nur als Single-B-Seite zweitverwertet wurde ist mir ein Rätsel. Soul Master ist auch als CD von Big Break Records erhältlich, generalüberholt und mit 17 Bonustracks ausgestattet ein absolutes Muss!
Ein anständige Wiederveröffentlichung müsste es eigentlich auch wieder einmal von 25 Miles geben, die zweite LP von 1969 bescherte Starr mit der gleichnamigen Singleauskopplung seine bis anhin höchste Chartsposition, „Twenty-Five Miles“ erreichte Platz 6. Der dritte Longplayer Edwin Starr & Blinky – Just We Two (1969) gehört ebenfalls wieder in die Abteilung „Lost Trasures“. Ein Ärgernis ist allerdings, dass diese hochkarätige Soul/Funk-Zusammenarbeit mit der aus dem Gospelbereich stammenden Sängerin Sondra „Blinky“ Williams erst einmal auf CD veröffentlicht wurde, ein Glückspilz wer eine der auf 5000 Exemplare beschränkten Ausgabe (2004, Hip-O Select) besitzt. Die drauf enthaltenen Duette sind teilweise umwerfend, es wäre wünschenswert wenn BBR sich der leidigen Sache annehmen könnte, vielleicht sogar ergänzt mit den Motown-Solo-Singles von Blinky? So grossartige Songs wie „I See A Rainbow“, „We’ll Find A Way“ oder „I’m Glad You Belong To Me“ hätten durchaus ein grösseres Publikum verdient, man findet die einzelnen Tracks übrigens auch als legale Downloads im Web.
1970 tobte noch immer der Vietnamkrieg, die USA hatten zwar begonnen aufgrund der Proteste Truppen abzuziehen, der Krieg weitete sich jetzt aber zusätzlich auf Kambodscha und Laos aus. Der Druck auf die Nixon-Regierung wurde nach wie vor aufrecht erhalten, auch mit dem Mittel des Protestsongs. In diesem Jahr wurden Anti-War-Songs wie „Vietnam“ von Jimmy Cliff oder „People Let’s Stop The War“ von Grand Funk Railroad veröffentlicht.
Und „War“ von Edwin Starr. Die Whitfield/Strong-Komposition wurde eigentlich mit dem Motown-Paradepferd Temptations produziert, allerdings wollte man es vermeiden konservative Fanschichten zu provozieren und verzichtete auf die Veröffentlichung einer Single, der Titel wurde auf ihrer LP Psychedelic Shack untergebracht. Für die Produktion einer Kurzrille wurde deshalb auf Edwin Starr zurückgegriffen, eine weise Entscheidung: Edwin Starrs Gewalts-Stimme verpasste dem Titel mit dem beeindruckenden Riff eine gewaltige Portion Rock, er eroberte mit „War“ im Juni ’70 den ersten Platz der US-Charts. In England machte der Protestsong No. 2 und selbst in Deutschland erreichte der „War“ Platz 9 der Hitparade. Das dazugehörige Album War & Peace war ebenfalls nicht von schlechten Eltern, dem Übersong „War“ hatte es allerdings nichts Gleichwertiges gegenüber zu stellen, das Plattencover war ebenfalls nicht wirklich gelungen, wirkt mehr wie eine Persiflage zum falschen Zeitpunkt. Der Versuch von Motown den Erfolg von „War“ zu wiederholen schlug 1971 gründlich fehl, weder der Titel „Stop The War Now“ noch die dazugehörige LP Involved vermochten zu überzeugen. Die BBR-Reissue-CD möchte ich trotzdem empfehlen, bei den Bonustracks trifft man auf grossartige Soulrock-Ware wie „Who Is The Leader Of The People“ oder „You’ve Got My Soul On Fire“.
Als 1974 dann auch noch der tolle Filmsoundtrack Hell Up In Harlem floppte wurde der stimmgewaltige Soul-Shouter von Motown vor die Tür gesetzt. Nach dem in Hollywood produzierten Album Free To Be Myself (1975) setzte sich Edwin Starr Mitte 70er nach Europa ab, genauer definiert nach England wo sein Name im Fahrwasser des Northern Soul nicht unbekannt war. Er blieb, Edwin Starr startete in seiner neuen Heimat eine zweite Karriere, bewegte sich elegant und stilsicher zwischen den Eckpunkten Soul, Funk und Disco. Auch wenn Edwin Starr ausser „Contact“ und „H.A.P.P.Y. Radio“ (beide 1979) keine grossen Hits mehr landen konnte, so blieb er zumindest im United Kingdom so etwas wie der König der Herzen, der Soul-Star(r) aus Übersee der irgendwie heimgekehrt war.
In den 90ern wurde es stiller um Edwin Starr, 2002 sang er noch den „Snowflake Boogie“ auf dem Album More Friends von Jools Holland. Edwin Starr starb am 2. April 2003 im Alter von 61 Jahren nach einem Herzinfarkt in Beeston, Nottinghamshire.
LONG LIVE SOULFUL MUSIC!
mellow