Nach den gigantischen Hits „American Woman“ und „No Sugar Tonight“ hing der Haussegen bei der kanadischen Band Guess Who anno 1970 plötzlich ziemlich schief. Die beiden Leithengste Burton Cummings und Randy Bachman hatten sich verkracht, für unterschiedliche Visionen bot die Truppe offenbar zu wenig Raum, zusätzlich kämpfte Bachman mit gesundheitlichen Problemen. Ausserdem goutierte Cummings nicht, dass Bachman mit Axe ein Solo-Album realisiert hatte und (gemäss Legende) zur religiösen Richtung Mormonismus konvertiert war. Als Folge des Zwistes verliess Randy Bachman die erfolgreiche Band. Die letzten gemeinsamen Aufnahmen wanderten zum grossen Teil ins Archiv und erschienen erst 1976 auf der LP The Way They Were.
Neue Mitstreiter zu finden gestaltete sich offenbar nicht einfach, manche Musiker wären zwar bereit dafür gewesen, sie wollten es sich aber mit einer so einflussreichen Szene-Persönlichkeit wie Cummings nicht verscherzen. Chad Allan (Keyboards, Gitarre, Vocals), der eigentliche Gründer von Guess Who der die Band aber schon vor Jahren zugunsten seiner universitären Weiterbildung verlassen hatte, folgte trotzdem der Einladung des Songwriters, Gitarristen und Sängers Randy Bachman um zusammen eine neue Band aus der Taufe zu heben. Den Job des Drummers übernahm Robbie Bachman, ein Bruder von Randy: Ihre gemeinsame Band nannten sie Brave Belt. Da zum Zeitpunkt der Produktion der ersten LP kein Bassist zum Lineup der Band gehörte, wurde dieser Part ebenfalls vom Saitenartisten Randy Bachman übernommen. Der erste Longplayer den die neu gegründete Band bei Reprise Records veröffentlichen konnte dokumentiert die Findungsphase, ist ein hin und her zwischen Pop, Rock, Folk und Countrymusic und wirkt noch nicht wirklich homogen und gefestigt.
Um auch Live-Shows spielen zu können holte die ursprünglich in Winnipeg, Manitoba beheimatete Truppe den Bassisten, Sänger und Songwriter C.F. Turner an Bord. Turner erschien übrigens optisch bereits auf der Debut-LP, zumindest auf dem Bandbild auf dem rückseitigen LP-Cover. In Toronto wurde 1972 unter den Fittichen von Randy Bachman das zweite Album in Angriff genommen. Die Richtungsänderung war frappant: C.F. Turner mit seiner urgewaltigen Rockstimme und mit Tieftöner bewaffnet rückte ins Zentrum, die Songs wurden härter, rockorientierter, liessen dazwischen trotzdem auch Freiräume für softeres Songwriting offen. Die riffbetonten Hardrocker „Too Far Away“ und „Never Comin‘ Home“ von Randy Bachman oder Turners „Goodbye, Soul Shy“ und „Can You Feel It“ zeigten aber ganz klar die neue groovy Richtung an, sie wurden zu Trademarks für Brave Belt, respektive zu Blaupausen für eine bekannte auf Brave Belt folgende Band. Die Beiträge von Chad Allan verschoben sich langsam an die Seitenränder, selbst sein „Waterloo Country“ liess sich nach der Veredelung durch Turners Stimme nicht mehr als Allan-Komposition identifizieren. Unzufrieden verliess er Brave Belt auch schon bald nach Veröffentlichung der zweiten LP Brave Belt II und wurde durch einen weiteren Bachman ersetzt, Tim Bachman übernahm den Posten des Leadgitarristen.
Randy fühlte sich von Reprise Records schlecht vertreten, er machte sich auf die Suche nach einem neuen Geschäftspartner und wurde bei Mercury fündig. Denen gefielen zwar die neuesten Recordings die ihnen Randy Bachman präsentierte, allerdings schlugen sie passend zum Labelwechsel auch eine Namensänderung vor: Die Aufnahmen zu Brave Belt III erschienen 1973 schlussendlich unter dem Bandnamen Bachman-Turner Overdrive und bildeten den Anfang für eines der erfolgreichsten Kapitel der kanadischen Rockgeschichte. Es war für mich persönlich auch die erste Begegnung mit BTO, ab. ca. 1974 hortete ich eine Kaufkassette mit dem Debutalbum bis das Band ausgeleiert war vom häufigen Abspielen. Der Seiltanz zwischen eingängigen rockigen Nummern, jazzig angehauchtem Material („Blue Collar“) und immer wieder atemberaubenden Läufen über die Griffbretter ihrer Gitarren überzeugte offenbar nicht nur mich, mit dem dritten Album Not Fragile (1974) und Jukeboxgranaten wie „You Ain’t Seen Nothing Yet“ meisselte sich die Bachman–Turner-Fraktion auf ewig in den Rockolymp ein.
Nachspiel: Um vom weltweiten Erfolg von Brave Belts Nachfolgeorganisation zu profitieren, veröffentlichte Reprise 1975 die Platte verwirrenderweise ein zweites Mal in Europa unter dem Namen Bachman-Turner-Bachman As Brave Belt With Chad Allan.
LONG LIVE ROCK!
mellow
Brave Belt (1971, LP, Reprise)
1. Crazy Arms, Crazy Eyes
2. Lifetime
3. Waitin There For Me
4. I Am The Man
5. It’s Over
6. Wandering Fantasy Girl
7. Rock And Roll Band
8. I Wouldn’t Trade My Guitar For A Woman
9. Holy Train
10. Anyday Means Tomorrow
11. Scarecrow
Brave Belt II (1972, LP, Reprise)
1. Too Far Away
2. Dunrobin’s Gone
3. Can You Feel It
4. Put It In A Song
5. Summer Soldier
6. Goodbye, Soul Shy
7. Never Comin‘ Home
8. Be A Good Man
9. Long Way ‘Round
10. Another Way Out
11. Waterloo Country
Die originalen Reprise-Alben sind auch als CD erhältlich, von Bulls Eye Records Canada (2001, DoCD, 2 Bonustracks) und von Wounded Bird Records (2009, 1xCD).
Ich liebe kanadische Rock-Musik jeder Nuancierung: Guess Who, Steppenwolf, BTO, April Wine, Moxy, Rush, Saga, Mystery, Red Sand, Healey Band, etc.. Hier wieder mal so ein Fall von klasse Personal das von 1965 bis 1980 reihenweise am Fließband wunderbare Classic-Rock-Alben veröffentlich hat. Die Ausrichtung war über die Zeit natürlich personalbedingt immer etwas unterschiedlich, die Qualität ist aber gleichbleibend und über jeden Zweifel erhaben. Die Kernstücke der Kanadier sind alle als schoTTische Bündel VÖ worden. 1. The Guess Who mit Original Album Classics, 5CD, die ersten drei 2000-Remastered und mit Bonus-Titeln. 2. Brave Belt mit Remastered BB 1 und BB 2 im Combo. 3. Bachman-Turner Overdrive mit Classic Album Set (8CD) von BTO bis Rock N‘ Roll Nights, alle Remastered. Brave Belt ist so ein Schattengewächs zwischen den beiden Chartstürmern, von der Qualität meines Erachtens ebenbürtig. Die BTO-Box habe ich zufälligerweise kurz vor dem aktuellen Lock-Down schoTTisch erstehen können. Die Brave Belt (habe nur ein Album auf Vinyl) ist nicht so einfach zu bekommen, ist aber auf meiner Must-Have-Liste. SchoTTenTipp BTO: Live On The King Biscuit Flower Hour (Recorded Chicago, 08-03-1974), das Original von 1998 mit dem Bachmann-Trio und CF Turner in Bestform sowie ein 30-minütiges Interview. Klingende Grüsse, Der SchoTTe