Es war in der Nacht vom 19. auf den 20. April 1980 als gar seltsame Dinge geschahen.
Weshalb ich das Datum noch weiss? Das ist einfach, das kann man in den entsprechenden Archiven nachlesen, es war die Nacht als ZZ Top erstmals einen Auftritt in Europa hatten, genauer gesagt war das ihr Rockpalast-Auftritt in der Essener Grugahalle. Natürlich kannte ich die drei Texaner schon lange, ihre LP’s waren auch in der Alpenrepublik weit verbreitet, Rockpalast war also Pflicht. Im Nachbarort hatte der eine Kumpel in einem Bauernhaus den angebauten ehemaligen kleinen Rinder- oder Schweinestall zum Partyraum umfunktioniert. Zum Interieur gehörten HiFi-Anlage, Kühlschrank, Sofaecke, jede Menge Poster an den Wänden und ein altes Schwarzweiss-TV-Gerät, kurzum, eine äusserst gemütliche Location am Dorfrand. Ob jemand anwesend war sah man immer schon von weitem anhand der parkierten Enten, Käfer, Motorräder, Mofas und Fahrräder auf dem Vorplatz. Es war Tradition, dass man etwas mitbrachte, ein Sixpack, eine Buddel Vodka, Snacks oder Inhaltsstoffe die man für den Bau konischer Zigis verwenden konnte. Als ich da eintrudelte war die Sause schon im Gang, wie erwartet startete die heitere Bande mal wieder voll durch. Der Gastgeber empfahl mir noch den Kuchen der da herumstand auf einem Tisch und ich bediente mich. Das Gebäck hatte es allerdings in sich.
Während die einen vor der TV-Kiste hingen fand ich mich am anderen Ende der Location in der improvisierten Küche wieder und ein Mädchen (die Kuchenbäckerin?) sagte: Ey, hör‘ dir das an, das ist unglaublich, das ist 3-D-Musik, siehst du die gigantischen Rollen? Aber, pass auf, plötzlich explodieren die! „Fly, Robin, fly… up up to the sky, fly , Robin, fly…“ sang da wer zu diesem unglaublichen Beat den ich tatsächlich plastisch sah/hörte während dem das Tape im Kassettenschacht unermüdlich vor sich hin spulte. Das ging scheinbar endlos, monoton und hypnotisch, der Sound hatte mich gekidnappt, ich fand Silver Convention unglaublich cool auch wenn mir das im Nachhinein peinlich war. Die TV-Kisten-Fraktion verursachte dann einen abrupten Stilwechsel, der TV-Sound ging jetzt über die Anlage. Joan Armatrading und Ian Hunter hatte ich offenbar verpasst, aber pünktlich zu ZZ Top hing auch ich leicht angedröhnt in der Sofa-Landschaft. ZZ Top legten los. Irgendwann sagte einer der Partybesucher: Krass, ich wusste echt nicht, dass es so kleine Farbfernseher gibt. Ja, da war alles ziemlich crazy, und irgendwie ist der Abend in Erinnerung geblieben. Zwei Wochen später gab es eine Razzia (ich war nicht anwesend), der Club ging hoch und nie wieder auf.
(Links: ZZ Top, Rockpalast 1980 / Rechts: ZZ Top, Rock The Ring, Switzerland, 2014)
ZZ Top waren scharf, egal ob man sie nun in Farbe oder Schwarzweiss sah. Die „Little Ol‘ Band from Texas“ sah ich dann ein paar Jahre später ein erstes Mal „live on stage“, allerdings enttäuschten sie mich, da war nicht mehr viel übrig geblieben von meinem heiss geliebten Rio Grande Mud. Zuletzt begegnete ich ZZ Top im Jahr 2014, da spielten sie recht lustlos und mit grauenhaftem Sound ihr Best-Of-Programm herunter. Glücklicherweise hatte ich eine Freikarte und so keine Kohle in den Sand gesetzt. Ich denke ein Stück vom richtigen Kuchen hätte den Bärten nicht geschadet, sie wären garantiert lockerer drauf gewesen.
Zurück zum Titel: „Fly, Robin, Fly“.
Durch meine derzeitige Forschungsarbeit zu den eigentlichen Wurzeln und Anfängen der Discomusik stiess ich kürzlich auch wieder auf Silver Convention und die dazugehörige, hier fest gehaltene Erinnerung die ich noch irgendwo im Hinterkopf abgespeichert hatte und jetzt loswerden wollte.
Besagtes „Fly, Robin, Fly“ als Discomüll abtun sollte man eigentlich nicht, das Produzententeam Michael Kunze und Sylvester Levay hatte da in München etwas „erfunden“ das urplötzlich zum gefragtesten Sound der Welt werden sollte, jedenfalls für ein knappes Jahr. Die bayrische Metropole war im Laufe der Seventies zum musikalischen Szene-Mekka von Weltrang aufgestiegen, die Stadt beherbergte mit Giorgio Moroders Musicland ein Tonstudio von Weltrang, hier standen ab 1974 die Stars Schlange, die Klientel reichte von den Rolling Stones bis zu Deep Purple und Queen, ausserdem gehörte Moroder mit Donna Summer schon bald zur Speerspitze des internationalen Discosounds.
Musik aus Deutschland hatte Mitte Siebziger vor allem in den USA einen hohen Stellenwert, Kraftwerk, Tangerine Dream und Triumvirat mischten ganz weit vorne mit und selbst einer wie Michael Holm tauchte mit „When A Child Is Born“, der englischen Version von „Tränen lügen nicht“ in den US-Hitparaden auf.
Dem „Kunstprodukt“ Silver Convention gelang allerdings etwas denkwürdiges, mit „Fly, Robin, Fly“ erreichten sie in den USA Platz 1 der Single-Charts, das war zuvor einer deutschen Produktion erst einmal gelungen: 1960 belegte Bert Kaempfert mit „Wonderland By Night“ die höchste Position. Die Single „Fly, Robin, Fly“ ging in den Staaten mindestens eine Million mal über die Ladentheken und traf im Herbst 1975 offenbar den Nerv der Zeit, die amerikanische Ostküste flippte aus, nicht zuletzt dank der TV-Musik-Show Soul Train, dort hatten Tänzerinnen und Tänzer eine Plattform zur Selbstdarstellung erhalten. Viele Clubs die bislang auf Live-Musik gesetzt hatten wurden jetzt zu reinen Tanzlokalen, sprich Diskotheken mit Unterhaltung ab dem Plattenteller, nicht mehr die Musiker standen jetzt vielerorts im Rampenlicht sondern die Konsumenten die sich zur Musik selber in Szene setzten, eine Parallele dazu ist sicher auch die Northern-Soul-Szene. „Fly, Robin, Fly“ bescherte den beiden Vätern des Projektes eine der höchsten Anerkennungen überhaupt, sie erhielten einen Grammy für die beste Instrumentalarbeit im Bereich R&B.
Mit der Single „Save Me“ setzten Produzent Kunze und Arrangeur und Pianist Levay Anfang ‘75 eine erste Duftmarke, der Titel den sie mit Studiomusikern produziert und unter dem Namen Silver Bird Convention auf den Markt geworfen hatten wurde unverhofft ein kleinerer Hit in England, es spornte sie an nachzulegen. Da die Studiosängerinnen des Materials zur ersten LP, Gitte Walther, Lucy Neale, Betty Allen und Roberta Kelly aufgrund ihrer vollen Terminkalender sich nicht auf längerfristige Engagements einlassen konnten (sie sangen auch noch beim Ensemble Love Generation), engagierte das Produzentenduo um dem Projekt ein Gesicht zu geben die drei Sängerinnen Linda G. Thompson (ex Les Humphries Singers), die bis dato wenig erfolgreiche Schlagersängerin Ramona Wulf und die Engländerin Jacqueline Nemorin die sich allerdings nach ersten TV-Auftritten bereits wieder absetzte und durch die Österreicherin Penny McLean ersetzt wurde. Schlussendlich waren es diese Damen mit denen man Silver Convention in Verbindung brachte.
Die drei hatten die Aufgabe die meist simplen Texte und Melodien mit viel Sexappeal und bis ins letzte Detail choreografierten Tanzeinlagen auch optisch zu präsentieren. Ja, Bewegung war alles, zu den bewusst rudimentär gehaltenen Beats gab es marionettenhaft wirkende, synchrone Bewegungsmuster und Figuren, die Choreo von „Fly, Robin, Fly“ wurde so zur tausendfach kopierten Vorlage für Damenturnequipen und Aerobicgruppen.
„Fly, Robin, Fly“ ist natürlich kein Rock, im Zentrum stehen Bass, Drums, dezent eingesetzte Percussion, die Strings als melodieführendes eigentliches Markenzeichen des Munich-Sound, ein Piano, ein Elektropiano und natürlich die sich endlos wiederholenden Textzeilen. Der Drive stimmt, scheint prädestiniert zum Tanzen zu sein, schlussendlich war es wohl exakt diese Einfachheit und Schlichtheit die den Titel zum Erfolg machte, die abgespeckte deutsche Soul/Funk-Variation gefiel überall auf dem Planeten. Ich vermute an diesem Titel orientierte sich auch die Konkurrenz, bei den Commodores stösst man immer wieder auf ähnlich aufgebaute Songs und Beats, vermeintlich monoton, dann zunehmend hypnotisierend.
Silver Convention veröffentlichten mit Save Me (1975), Madhouse und Get Up And Boogie (beide 1976) auf Ralph Siegels Label Jupiter Records LP’s die allesamt zu Genre-Klassikern wurden. Bereits 1976 verliess Linda G. Thompson die Unternehmung und wurde durch Rhonda Heath ersetzt. Die Beteiligung am 77er Eurovision Song Contest braucht man sich nicht anzutun, „Telegram“ ist ganz einfach nur schlechte Popmusik, auch die Tonträger die danach noch folgten. Kunze/Levay sahen ein, dass der Stern verglüht war und stellten ca. 1979 Silver Convention ein.
GET-UP-AND-BOOGIE!
mellow
PS.
Wenn ich ehrlich bin, dann muss ich zugeben, dass mir der 1976er Nachfolgehit „Get Up And Boogie“ (rauschte in den Staaten auf Platz 2) fast noch einen Zacken besser gefällt da er noch etwas grooviger und eleganter im Ablauf ist.
Fly Robin fly, get up and Boogie …und one two three four fire! sowie Lady Bump Aaaaaa! verirrten sich damals auch auf meine Kassetten – waren aber auch schnell wieder weg, – der Graben zwischen Philly und Disco tat sich auf… und der Punk kam.
Wir stritten damals, ob die Silverconvention eher Super-Max (Lovemachine)Sound ist und akzeptiert werden darf oder eher die Vorstufe von Baccara also weg!?! Weg! Gewann.