Der Einfluss des Rock’n’Rolls, der Beatles, respektive der Beat-Welle mischte die deutsche Schlagerszene in den frühen 60ern mächtig auf. Britische und amerikanische Interpreten rückten dem einheimischen Schaffen immer mehr zu Leibe, die Charts wurden von den fremden Eroberern beinahe im Handstreich genommen, es musste also Gegensteuer gegeben werden. Neue Popmusikelemente wie elektrische Gitarre, E-Bass und diese aufpeitschenden Schlagzeugsounds wurden per sofort in die eigenen Produktionen integriert. Was da und dort dabei entstand ist im Nachhinein überaus bemerkenswert, der deutsche Schlager wurde in jenen Jahren im Prinzip neu erfunden, sicher aber einer Generalüberholung unterzogen. Beat, Soul, Folk und Rock wirkten sich äusserst befruchtend aus auf die regionalen Produzenten und Tonmeister, ein weltweites Phänomen übrigens, das liess sich von Hannover über Paris und Neapel bis Tokio beobachten. Bis Mitte 70er blieb der Schlager also durchaus spannend, danach drückten die sich verbreitenden Synthesizer die Musik zusehends in immer gleiche Schablonen, der individuelle Charakter der Lieder ging so für immer verloren. Heutzutage braucht eigentlich keiner mehr ein Orchester oder eine Band, die passende Musik lässt sich mit weit weniger Aufwand und immens billiger aus Tonkonserven an einem PC zusammenbasteln.
Nein, ich mache mich über niemanden lustig, aber in den Sixties ist in Deutschland äusserst spannende Musik entstanden, lange vor Krautrock, Amon Düül, Ihre Kinder und Lastwagenladungen dieser berauschenden Importware die in Joints und Pfeifen verheizt wurde, nein, der deutsche Schlager war besser als sein Ruf. Soweit ein paar allgemeine Gedanken zur sicherlich spannendsten Epoche des deutschen Schlagers.
Aufgepasst: Nach den Hinweisen zu Marion Maerz, Dominique, Ria Bartok, Renate Kern und Alexandra spinne ich nun an meiner kleinen Beat-Fräuleins-Rundschau weiter. Wer denkt er könne das nicht länger ertragen, der sollte sich spätestens JETZT ausklinken…
Manuela & Drafi
Man lasse sich bloss nicht von der Single-Hülle und dem aufgedruckten BRAVO musik abschrecken, die Jugendzeitschrift trat hier lediglich als Sponsor auf da die beiden Stars gerade eben BRAVO-„Indianer“ abgesahnt hatten. Die 1966er-Single beinhaltet mit „Die goldene Zeit“ (von Bruhn/Buschor) und „Take It Easy“ zwei Duette der damaligen Schlager-Superstars Manuela und Drafi. Auch hier greife ich wieder zu der Beschreibung „Killer“, zum einen weil „Die Goldene Zeit“ mit klassischem Kammerorchestereinschub und ausgefuchstem Arrangement überrascht und zum anderen weil die B-Seite „Take It Easy“ ein waschechter Rocker im Geiste der Rolling Stones ist: Hammerhart, schmutzig und dreckig, die von Bruhn/Loose verfasste Nummer hat ordentlich was zu „beaten“. Und Drafi und Manuela fahren die Kiste professionell, locker und unbeschadet in die Garage, voll easy eben. Auf die Gefahr hin mich zu wiederholen, ich sag‘ nur Killertracks, alles andere als Trash, das hier ist doch exakt diese wilde unangenehme Jugendmusik vor der die Alten damals gewarnt haben!
Peggy March
Was, die stelle ich in die Kategorie Beat-Fräulein?
Ja, weil die US-Amerikanerin hatte im deutschsprachigen Raum ja nicht nur „Mit 17 hat man noch Träume“ (1965) oder den Gassenhauer „In der Carnaby Street“ (1970) im Reisegepäck, in ihrem Koffer bin auf die 45er „Male nicht den Teufel an die Wand“ von 1967 gestossen. Da kriegt man nicht nur den grandios/schrägen Einstieg mittels teuflisch kratzender Paganini-Violine zu hören, auch das hypnotisch knallende Schlagzeug ist äusserst mitreissend gespielt. Den Rest erledigt das Gebläse, in knapp zweieinhalb Minuten wirst du tellerfertig gebraten! Der von Henry Mayer und sein Orchester intonierte Song gehört zu 100% in die Sixties-Rockmonster-Abteilung und keinesfalls ins Schlagerfach. Dort würde ich eher die B-Seite „Memories Of Heidelberg“ parkieren, eine Nummer die man problemlos in die Gute-Laune-Polka-Mitsing-Ecke stellen kann, die sich aber trotzdem durch die Hintertür in den Gehörgängen festsetzt wenn man nicht aufpasst. Ja, Schlager machen das gerne, so betrachtet sind sie eine äusserst hinterlistige Spezies. „Male nicht den Teufel an die Wand“ ist groovy Stampfrock der Extraklasse (vielleicht auch eine frühe Form von Brassrock) und hat mich dermassen überzeugt, dass das Vinylscheibchen kürzlich Asyl in meiner Jukebox erhalten hat! Beide Songs übrigens Originale von Heinz „Henry“ Mayer und Georg Buschor.
Sandra & Sharon
Jetzt aber hallo, das ist nun wirklich unglaublich auf welche crazy Fundstücke man stösst, beispielsweise auf Sandra & Sharon, ein Tandem von dem ich nun wirklich NIE etwas gehört habe, also bevor ich mich in die Beat-Fräuleins-Recherche gestürzt hatte.
Sandra trat ein erstes Mal bereits 1964 mit einer Kollegin unter dem Namen Nicki und Hero mit den Boys und zwei Singles in Erscheinung, eine davon mit dem vielsagenden Titel „Wie die Beatles… (trägt mein Bobby seine Haare)“. Naja, eher ein Fall für die Schwamm-drüber-Deckel-drauf-Abteilung, da kann man getrost die Spülung betätigen, der Titel taucht aber immer wieder mal auf Fab-Four-Tribute-Kopplungen auf. Das Outfit der beiden Mädchen allerdings ein Blickfang, siehe Beitragsbild am Anfang.
Zwischen 1967 und 1969 veröffentlichten Sandra & Sharon vier Singles bei den Plattenfirmen Hansa, Metronome und Cornet. Und die haben es allesamt in sich, werden aber allesamt überstrahlt von „Hey Bird… die ganze Welt ist deine Heimat…“ eine Wahnsinnsnummer, die könnte man glatt mit einem Songkonstrukt von Jefferson Airplane verwechseln wenn da nicht deutsch gesungen würde, das rockt und orgelt höllisch gut. „Flower Power Superman / Heute oder nie“ sind eher Goodtime-Soul-Pop, „Komm mir ein Stück entgegen“ balladesker hymnischer Pop der Extraklasse und „Er gehört mir“ kann mit groovy Drumwork aufwarten, ebenso wie von der letzten Scheibe „Nimm ein Girl mit nach Haus“, aus emanzipatorischer Sicht betrachtet ist das heutzutage allerdings ein eher problematischer Songtext, man muss den wirklich im Kontext mit der einstiges Sixties-Mentalität sehen. Alles in allem waren Sandra & Sharon ziemlich schräge Gestalten, ihr Gesang war mindestens so nebulös, unterkühlt und unfassbar wie die alte deutsche Kult-Kola-Werbung.
Die Singer/Songwriterin Sandra (alias Sandra McKimble, bürgerlich eigentlich Ingrid Preetz) veröffentlichte als Sandra noch ein paar Singles, respektive als Sandra Haas bis 1979 weitere Platten im Kraut/Psych/Prog/Wave-Bereich. Weshalb das meisterhafte Album Und dann spiel’n wir der Dummheit einen Streich (BASF, 1973) bei dem Manuel Rigoni und Richard Schönherz die Strippen zogen bis heute niemals wiederveröffentlicht wurde, ist mir schlichtweg schleierhaft. Nach dem 79er-Album Zwischen Frust & Lust zog sich Sandra offenbar aus der Szene zurück, sie heiratete den Komponisten und Jazzmusiker Claudio Gil Octavio Fernando Szenkar und hiess ab da Sandra Szenkar.
Zu Sharon liessen sich keine Informationen auftreiben.
Es war zu befürchten:
Fortsetzung folgt.