Madame mit Goldzähnen, zerzausten Haar, protzige Schmuck um Finger & Hals
Von der Wiege ins Opernhaus – Ma Rainey alias Gertrude Malissa Nix Pridgett alias Mama Blues wird laut eigenen Angaben am 26. April 1886 in Columbus (Georgia) als Tochter vom Künstler-Paar Thomas Pridgett († 1896) und Ella Allen († 1935) geboren und stirbt nach einem Herzinfarkt am 22. Dezember 1939, Rome im gleichen US-Bundesstaat. Auf dem Columbus Porterdale Cemetery liegt sie Schulter an Schulter mit Lissie, Ella und William. Rainey’s korrektes Geburtsdatum wie auch der Geburtsort sind nicht eindeutig bekannt. Ein Teil ihrer Familie stammt aus Alabama, deshalb sprechen auch einige andere Quellen vom September 1882 in Russell County Alabama. Sie hatte vier Geschwister, von denen die Brüder Essie und Thomas sowie Schwester Lissie sicher bekannt sind. Bereits mit 12 hatte sie ihren ersten Auftritt in einem Theater in Columbus. Dahin kam sie durch familiäre Prägung und diese Begeisterung für die traditionelle US-Musik schon in der Kindheit. Sie kam dadurch auch mit den frühesten Formen des Blues in Berührung, sie steht für den archaischen ländlichen Blues.
Ma und Pa – Für ihre Tätigkeiten und Einfluss auf den frühen Blues wird sie 1983 posthum in die Blues Hall Of Fame und 1990 sogar in die Rock And Roll Hall Of Fame aufgenommen. Nicht ohne Grund, denn sie war eine der ersten professionellen US-amerikanischen Blues-Sängerinnen (Komponistin, Entertainerin), die bereits schon zur Jahrhundertwende auch mit ihrem ersten Mann (1904-1916) William Pa Rainey (Tänzer, Sänger, Komödiant) bei Musikanten-Shows (Minstrel, Vaudeville) als Tanz-Paar und Gesangsduo Ma & Pa Rainey auftrat. Die Mutter des Blues nahm im Laufe ihrer Karriere immerhin etwa 100 bluesige Lieder auf, auch viele Eigen-Kompositionen, darunter der später von zahllosen Künstler gecoverte Top-30-Blues »See See Rider Blues« (1924: #12252). Ihre frühesten Aufnahmen wurden auf 10-Zoll Shellac ab 1924 bei Paramount veröffentlicht. Sie wurde von vielen namhaften Kollegen ihrer Zeit begleitet und sie war damit auch Inspiration für andere Musiker und Sänger jener Zeit. Besonders für die Blues-Ikone Bessie Smith, die wie Rainey auch als bisexuell galt. Sie unterstützten sich tatkräftig gegenseitig. In der Zeit des 2. Weltkrieg und kurz vor ihrem Tod betrieb sie dank Erfolg, guten Einnahmen und Sparsamkeit sogar zwei Theater (Lyric Theater, Airdrome) in ihrer Heimatstadt Columbus.
Paramount Records – Unter Mithilfe von Blues-Pionier und Produzenten-Legende Jay Mayo „Ink“ Williams bekam sie 1923 einem Plattenvertrag bei Paramount Records, wo die Mama Blues bis Mitte 1930 circa 100 Aufnahmen machte. Die erste Aufnahme mit Pianistin Lovie Austin & Her Blue Serenaders war der »Bo-Weevil Blues« (1924: #12080). Die Aufnahmen wurden mit verschiedenen Bands eingespielt, darunter The Pruett Twins (Banjo/Gitarre), Tub Jug Washboard Band, Georgia (Jazz) Band, Georgia Boys, auch The Wild Cats Jazz Band des Pianisten Thomas A. Dorsey. Mit einigen dieser Formationen trat sie auch Live auf. Viel Zeit verbrachte sie in Chicago und New Orleans, musizierte dort mit den Größen der aufblühenden Szenen.
Paramount, Document, Acrobat – Ihr einziger Top-30-Hit gelang Madame Blues Ma Rainey im Januar 1925 mit dem »See See Rider Blues« (Aufnahmen 1924: #12252) bei dem sie von Louis Armstrong, Buster Bailey und Charlie Dixon begleitet wurde. Laut Big Bill Broonzy stammte der Song aber von einem nicht bekannten Blues-Mann, wurde aber Ma zugeschrieben, da sie ihn als Erste aufnahm. Weitere junge Talente des frühen Jazz, die sie auf Tourneen als auch bei den Aufnahmen begleiteten, waren etwa Lillian Henderson, Jimmy Blythe, Coleman Hawkins, Fletcher Henderson und viele andere. Nach dem Bankrott von Paramount 1932 war erst mal Schluss mit der Shellac-Offensive. Ihre Songs wurden erst ab den 60er-Jahren wieder verstärkt verkauft, Mitte der 90iger erfolgte die komplette Veröffentlichung aller Platten-Aufnahmen durch Document Records auf vier Einzel-CDs als »Complete Recorded Works In Chronological Order«. Eine sehr gute Zusammenstellung ist die 4CD-Box »The Definitive Collection 1924-28« (2018) mit 96 Titeln von Acrobat Music. Englischsprachig ist einiges an Text-Material über diesen frühen Weltstar verfügbar, besonders auch in den Booklets der CD-Veröffentlichungen. In Deutsch sieht das leider etwas anders aus.
Gertrude und Bessie – Sängerin Ma Rainey mag für einige keine Schönheit gewesen sein, aber die Madam war damals die Beste ihres Faches, ein echter Star und Persönlichkeit die sich trotz Geschlecht und Hautfarbe nichts gefallen ließ. Stolz mit einer langen Kette aus schweren Zwanzig-Dollar-Münzen um den Hals, oft derb, trotzig, manchmal eigenwillig. Im Blues der 20iger spielten Sängerinnen eine zentrale Rolle. Ma Rainey hatte die acht Jahre jüngere und heute wesentlich bekanntere Bessie Smith entdeckt, gefördert und in die Geheimnisse des Blues eingeweiht. Die beiden waren sicher keine Konkurrentinnen, sondern Freundinnen. Rainey galt wie Bessie Smith als bisexuell und deutete ihre Liebe zu Frauen auch in ihren Songs an. Als sie mal nach einem Flirt mit weiblichen Tänzerinnen ihrer Truppe in Chicago verhaftet wurde, bürgte Bessie für sie und bewirkte ihre Haftentlassung.
Viola Davis spielt Mama Blues – Acht Jahrzehnte nach dem Tod von Mutter des Blues, sorgte kürzlich die auf einem Theaterstück (Premiere 1984 im Cort Theater am Broadway New York City) basierende Verfilmung ihrer Karriere »Ma Rainey’s Black Bottom« (2020) für eine Überraschung. Anknüpfend an eine Legion von Legenden-Verfilmungen aus Rock, Jazz, Blues, Country hat Hollywood nun auch diese Ikone des Blues entdeckt und in typischer, amerikanischer Art 2020 als gefilmte Geschichte in die heutige medienbunte Welt gebracht. Ein würdiges filmisches Denkmal mit einem imposanten Staraufgebot. Oscar-Preisträgerin Viola Davis (80 Film-Produktionen) spielt eindrücklich die Charakter-Hauptrolle, Maxayn Lewis (The Ikettes, The Gap Band, Snap!) singt voluminös die Lieder. Vier Monate nach seinem Krebstod ist Chadwick Boseman (Get On Up, Black Panther, Avengers) in seiner letzten Rolle zu sehen. Denzel Washington ist Produzent, die Musik stammt von Branford Marsalis (Saxophonist, Komponist, Bandchef). Der Oscar-prämierte Film von Regisseur George C. Wolfe wurde weltweit sehr beachtet und mit Preisen überhäuft. Der Film erzählt eine faktenbasierte aber dennoch ausgeschmückte Geschichte einer Platten-Aufnahmen für Paramount in einem Studio im Chicago von 1927 mit ihrer Georgia Band. Die Band-Mitgliedern an Banjo, Kornett, Klarinette, Posaune, Bass, Piano, sind gut und ausdruckstark besetzt. Gezeigt und erzählt wird eine leidvolle Geschichte von Afroamerikanern und ist gewürzt mit viel Blues. Wie bei anderen Legenden-Verfilmungen ist es aber nicht nur eine geschichtliche Aufarbeitung des künstlerischen Protagonisten, sondern auch eine Darstellung der damaligen Gesellschaft in diesen Kreisen. Der Film steht auch symbolhaft für die Ungerechtigkeit, die die Schwarzen damals erlebt haben und die bis heute aktuell ist.
Es gibt noch einige weitere starke Blues-Ladies der Frühzeit zu entdecken, Mamie Smith, Bertha „Chippie“ Hill, Ida Cox, Bessie Smith, alles Künstlerinnen die für die Schatzgräber des Rockzirkus sehr interessant sind und über die wir noch berichten.
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