Joachim Kühn – Ein Leben in Schwarz/Weiss

Joachim Kühn – Ein Leben in Schwarz/Weiss

Ich kanns nicht beweisen, aber mein Bauchgefühl sagt mir, die langlebigsten Musikerkarrieren scheinen sich im Jazzbereich abzuspielen. Eine präsente Zeitspanne von um die 50 bis 60 Jahre ist nicht mal so ganz selten, man denke nur z.B. an Irène Schweizer oder Anthony Braxton oder … eine schier endlos lange Liste an Musikern die sich dem Jazz und Anhang ein Leben lang verschrieben haben. Aber die Bedingungen sind natürlich auch nicht mit der Pop-/Rockschiene vergleichbar. Allerdings gibt es überall Habenichtse und Multimillionäre (sogar im Jazz), aber Blues scheint mir näher an den wirtschaftlichen Gegebenheiten zu Jazz zu sein als z.B. zu Pop oder Rock (Klassik und Folklore nun mal ganz vor der Tür gelassen).

Aufnahmemässig reichen die Tonträger des Joachim Kühn von 1965 bis 2024 und das will in jedem Fall etwas heissen. Ich bin selber mit der 1974er LP „Cinemascope“ damals eingestiegen und ich gebe es hier zu, für mich war das Jazz und der Begriff Fusion kam in meinem Vokabular noch gar nicht vor. Bis heute ist „Cinemascope“ ein Meilenstein der Unterhaltungsmusik (als gäbe es eine andere) für mich und ich habe trotz meiner Aversion gegenüber Jazzrock/Rockjazz/Fusion etc. nie das Bedürfnis gehabt, die Platte zum Trocknen an die Luft zu hängen. Joachim Kühn ist bei mir immer da gewesen, wenn auch in unterschiedlicher Intensität, aber weg war er nie. In einem der letzten Jazzpodium Magazine habe ich ein langes Interview mit dem Musiker gelesen, was wohl für mich eines der interessantesten Gespräche im Druck ist. Natürlich egozentrisch (das darf er allerdings), aber trotzdem von einer Lockerheit und Detailverliebtheit, ohne in zu viele Platitüden abzurutschen, das Teil sollte für jeden Musikinteressierten zur Pflichtlektüre werden.

Geboren 1944 in Leipzig war Joachim Kühn zunächst Mal ausgebildeter Klassikpianist bevor ihm der Jazz den Aermel reinnahm. Sein Bruder Rolf (der kürzlich erst verstarb – † 18. August 2022 – und eine eigene Karriere im Jazz hatte) brachte seinen jüngeren Bruder auf den Trichter. Die beiden Brüder haben hie und da auch gemeinsame Aufnahmen gemacht, Joachim als der Pianist, der er war und Rolf an der Klarinette. Was beide aber auch noch gemeinsam hatten, sie waren Komponisten. Vor allem im Jazz wird ja extrem viel gecovered (was nicht das schlechteste ist), aber ein Musiker der sich praktisch immer und überall seinen eigenen Weg durch das Genre gräbt, ist doch eine seltene Specie. Was natürlich nicht heissen soll, dass Joachim Kühn nicht irgendwann mal eine Coverversion zum Besten gab. Kurz noch zu „Cinemascope“: Die Besetzung ist neben Schlagzeug, elektrischer Gitarre (Toto Blanke) und elektrischem Bass, neben dem Piano, doch sehr in Richtung Rock gedreht, was mir bis heute aber so nicht bewusst war. Conny Plank übrigens an den Reglern.

Joachim Kühn kam um 1966 auf Grund einer Einladung (seines Bruders Rolf) aus der DDR an ein Jazzfestival nach Westdeutschland und blieb dann. Wobei ich feststellen muss, zumindest was ich über den Jazz in der DDR weiss, dass das eines der wenigen Gebiete war in der die DDR brillierte. Heute noch wird hinter vorgehaltener Hand die Liste der wirklich hervorragenden Musiker aus dem Genre runtergebetet. Und es geht hier beileibe nicht um Dixieland oder Oldtimejazz. Im modernen Jazz war die DDR bei den Allerbesten mit dabei. In den 70ern kam man jedenfalls an Joachim Kühn nicht vorbei und wenn ich jetzt so zurückdenke, dann gab es schon eine Schnittstelle zwischen Jazz und Rock, wenn die auch nicht unbedingt so offensichtlich war.

Ich habe keine Ahnung wie viele Tonträger Joachim Kühn in seinem Leben veröffentlicht hat, in Zeiten von Internet lässt sich das rausfinden, aber zählen wollte ich nun doch nicht. Es sind viele! Und einiges davon hat sich in meiner eigenen Sammlung abgesetzt. Natürlich gibt es da Licht und Schatten, wobei der Schatten eher ein Schättlein ist. Viele seiner Aufnahmen sind Solounternehmungen und ich bin eher nicht der Typ der sich stundenlang Solopiano anhört. Obwohl, Donner und Blitzen, in meiner Sammlung stehen genug solcher Tonträger, ich kann die ja wohl nicht alle irrtümlich gekauft haben. Im Nachgang zum oben erwähnten Interview habe ich bei einem Tonträgerhändler in der Gegend die CD des Joachim Kühn New Trios „Love & Peace“ gesehen und gekauft. Aus reiner Neugier, wo es den Mann nun hingetrieben hat (und definitiv getriggert durch das Jazzpodium Interview). Die Mitspieler kenne ich nicht, noch nie von denen gehört. Die Musik, ich wollte, ich könnte schreiben „sensationell“, „einmalig“, „nicht von dieser Welt“ etc., aber die Wahrheit ist, die Triobesetzung Piano, Schlagzeug, Bass haben wir ein paar Mal zu viel gehört. Das passt zum Dinner for Two und kann ohne Probleme auch nebenher gehört werden, ist zwar keine Enttäuschung per se, aber eben auch nicht etwas bemerkenswert Eigenständiges. Irgendwie kommt das als etwas zu beliebig rüber. Die CD ist übrigens 2018 bei ACT erschienen. Unterdessen gibt es aber schon neuere Tonträger des Musikers und ich hör da definitiv mal rein.

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