KRAAN – ZOUP (2023)

Part I
Es muss so um die Mitte der 1970er herum gewesen sein als ich auf KRAAN stiess, das Album ANDY NOGGER zündete auf Anhieb, in der Folge gehörten KRAAN zum engeren Kreis der bevorzugten Bands aus Germany, weitere Alben folgten, etwa die von remo4 im RZ erwähnte DoLP Kraan Live. Zwar verstand (fast) keiner meiner Freunde, dass ich solchen Sound mochte, zu abstrakt, zu funky, zu jazzy für die meisten, aber egal, ich liebte diesen trickreichen, angeproggten Sound der sich nicht auf einen Stil festlegen liess und schliesslich war ich weltoffen unterwegs in Sachen Musik. Ich arbeitete damals die Sixties und die frühen Seventies auf (das dauert bis heute an, die Schächte die ich in die Musikgeschichte trieb wurden immer tiefer), stand auf Rock, Prog, Kraut aber auch auf Glamrock, die Ohren hatten gerade erst erste Erfahrungen mit Funk gemacht während da schon der Punk an die Türen hämmerte und zwar heftig. Ich vollführte sozusagen einen Spagat zwischen den Stilrichtungen, bei mir kriegten alle eine Chance, The Clash, The Jam, die Lurkers, Ramones, zeitgleich die Folkies, Johnny Cash und die alten Progrocker die jetzt links und rechts überholt wurden, aber bis zuallerletzt ihr Ding durchzogen.

Part II
KRAAN
, die Urheber von so abgefahrenen instrumentalen Monsterdingern wie «Holiday am Marterhorn» – wobei ich jetzt ein wenig verunsichert bin, ob man jetzt Urheber vielleicht mit zwei «e» schreiben sollte, so wie KRAAN mit zwei «a»’s – hatten bei mir auf ewig einen Stein im Brett. 1977 ging Bassist Hellmut Hattler mit der LP BASSBALL ein erstes Mal «solo», ich ging mit und der abgefahrene Track «Wenn die Kraaniche ziehn’» wurde jahrelang zu einem meiner Mixtape-Favoriten. In den 80ern verschwand dann das KRAAN-Seil ein wenig aus dem Blickfeld, ich fand es in den 90ern aber wieder und da blieb ich nicht nur an dem traumhaft schönen Cover des Albums SOUL OF STONE hängen, sondern auch an der dynamischen Musik («Wenn die Kraaniche ziehn’» in einer aufgefrischten KRAAN-Version), so genreoffen gab es eigentlich fast nichts vergleichbares, okay, Rush vielleicht, die Kanadier setzten sich konsequent ebenfalls immer wieder über alle gängigen Hörmuster hinweg.

Part III
2008 hatte ich die Chance, KRAAN dann endlich mal live erleben zu können. Sonntagabend, spärlicher Publikumsaufmarsch im Salzhaus Winterthur, KRAAN entschieden sich spontan nicht auf der Bühne, sondern im Barbereich zu spielen, ein Clubkonzert sozusagen. Und das war grossartig, Hellmut, scheinbar vom eigenen Bass-Groove angetrieben im Hoppelgang, so in der Art eines Perpeteum Mobiles, einmal angestossen kommt die Sache nie mehr zur Ruhe und mit Drummer Jan Fride und Gitarrist Peter Wolbrandt, den beiden weiteren Urheebern (jetzt ist’s passiert, da ist es ja das Doppel-«e») waren auch die beiden anderen Krääne der ersten Stunde mit an Bord. Ein herrlicher Gig, groovy, hypnotisierend und man fragte sich jeweils, ob Peter von seinen langen Soli wieder zurück zum Ausgangspunkt finden würde. Entwarnung, er schaffte es immer, nicht zuletzt dank Improvisationsgeist und Erfindungsreichtum. Schlussendlich war der Auftritt ein Lehrstück wie man Musik immer wieder neugestalten kann, ohne dass sie langweilig wird oder Ermüdungserscheinungen zeigt. In diese Zeit fiel auch das betörende Album PSYCHEDELIC MAN, eine Phase in welcher der aus alten Tagen bekannte (leider 2019 verstorbene) Rückkehrer, Keyboarder Ingo Bischof das bewährte Trio wieder zum Quartett erweiterte: die wie immer traumhaften Melodien trafen hier an der ein und anderen Stelle auf harte Riffs, wie gehabt aber auch auf Zurücklehn-Parts. 2010 folgte das Album DIAMONDS, danach legte Hellmut Hattler sein Augenmerk eher auf die eigenen Projekte, HATTLER etwa. Aber auch hier blieb ich an meinem Lieblingstieftonerzeuger hängen: Thierry Miguet, seines Zeichens Musikvideomacher und ehemaliger Mitstreiter im Rockzirkus, produzierte 2011 ein Video zu «Delhi News» von HATTLER (mit Hellmut Hattler, Drummer Oli Rubow und Gitarrist Torsten de Winkel), eine durch und durch faszinierende und mitreissende Angelegenheit, siehe das Video des Liveauftritts auf wahwah.tv, Thierrys YouTube-Kanal, (von den 130’000 Klicks gehen übrigens mindestens 100 auf meine Kappe), dort findet man ausserdem noch viel mehr KRAANiges, von Hellmuts Projekten bis hin zur Stammband.

Part IV
Aktuell ist mal grad wieder ein Jahr in welchem die KRAANiche fliegen. ZOUP heisst die begleitende Marschverpflegung die den Passagieren des Fluges angeboten wird und die ist heiss, aromatisch duftend und würzig, da braucht man sich nicht zu wundern wenn Nachschlag verlangt wird, ich zumindest halte den ausgelöffelten Teller gleich mehrmals hin: Nachschlag bitte, nach diesem «Norwegen Dia» welches da in der ZOUPe schwimmt bin ich schon fast süchtig, da kommt es mir entgegen, dass ausgerechnet dieser betörende Ohrenschmeichler auf der CD-Ausgabe des Albums zum Schluss noch in Form einer «acoustic version» zum Dessert nachgereicht wird. Tief durchatmen empfehle ich, das hier ist musikalische Sterne-Kochkunst für Gourmets, der Genuss der ZOUP löst ein tiefgreifendes Gefühl des Wohlbefindens und der Zufriedenheit aus, ist ganz klar First-Class-Food und meilenweit weg von der nächsten Billig-Frittenbude angesiedelt. Bei solch vorzüglicher KRAAN’scher Astronautennahrung wie ZOUP braucht niemand zu verhungern, das ist ein rundum gelungenes und zeitloses KRAANjacking der klanglichen Art auf das man sich gerne einlässt. Zudem bekommt man auf diesem neuesten Trip der KRAANich-Airline auch noch ein unglaublich intensives „dem Sonnenuntergang entgegengleitendes Flugobjekt“-Feeling vermittelt, 10’000 Fuss über dem Boden, nein noch höher, bis rauf in die Stratosphäre, das KRAANseil an dem du hängst verschwimmt mit dem grossen galaktischen Sternenpanorama und es stellt sich ein Gefühl der Ruhe und Zufriedenheit ein. Ja, denke ich mir, die erfahrene, seit 50 Jahren zusammenarbeitende Crew hat die Chose voll im Griff, denen vertraue ich, mit solch erfahrenen Piloten kannst du vermutlich endlos deine Runden um den alten bunten Planeten da unten drehen.

KRAAN FOEREVER!

mellow
(aka Don Guelle)

 


KRAAN – ZOUP
(2023, LP/CD/Download, 36music, Bassball Recordings)
01. Zoup
02. Rainy May
03. Überstürzter Aufbruch
04. Weit und Breit
05. Twisted
06. Norwegen Dia
07. A Skyful of Veils
08. Plain Vanilla

Bonus-Tracks CD:
09. Bikinian Rhapsody
10. Aus allen Wolken
11. Norwegen Dia (acoustic version)

KRAAN:
Peter Wolbrandt – Guitars
Jan Fride – Drums, Congas
Hellmut Hattler – Bass, Vocals

Guests:
Martin Kasper – Keyboards
Johannes Pappert – Saxophone («Norwegen Dia», acoustic version)
Ingo Bischof – Keyboards («Aus allen Wolken»)
Juergen Schlachter – Add ons, Percussion
Siyou – Background Vocals

Das Album-Cover stammt von Jan Fride und ist unter Zuhilfenahme von «artificial intelligence» entstanden. Das „Minestrone“-Titelbild dieses RZ-Artikels hingegen nicht (Minestrone = traditionelles italienisches Suppengericht, mindestens so lecker wie Spaghetti und Pizza), das war ich, eine manuelle KRAAN-Cover-Zusammenstellung mittels meinem bevorzugten Freeware-Bildbearbeitungsprogramm, plattformbedingt auf Miniaturgrösse verkleinert. Ach ja, die Musik auf ZOUP ist absolut KI-frei, sie basiert gemäss KRAAN auf «artistic intelligence».

Linksammlung:
HATTLER (hellmut-hattler.de)
Konzerte 2024 – kraan-lives Webseite! (jimdofree.com)
Thierry Miguet – YouTube

In eigener Sache:
Mal schauen ob das Experiment so klappt wie angedacht, sprich die Verknüpfung meines Zeitrisse-Podcasts mit dem Rockzirkus (der RZ als bewährte Leseecke für Musikinteressierte, RZ-Nennung dann im Podcast, die erste entsprechende Episode «Über einige Unsitten im Verkehrsleben» erscheint am 29. Juni ’24 überall wo’s Podcasts gibt, natürlich begleitet von einer kleinen Social-Media-Kampagne), inklusive Einbettung weiterer Querverbindungen (in diesem Fall KRAAN und wahwah.tv), sozusagen die Fusion diverser Interessen, das plattformübergreifende Vernetzungs-Projekt gestaltet sich (für mich) bislang äusserst spannend und wird weiterverfolgt. Es gibt viel zu tun, hier mal ein Anfang…

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