Blues im Dörflichen Gasthof, Gotischer Kirche, historischen Vierseitenhof
Wer dachte nach mondänen Blue Wave Binz und erdigen Blues Camp Göhren wäre nun das Maß der Dinge erreicht, sehr weit gefehlt. Wer bei einem der ultragroßen mehrtägigen Veranstaltungen der Premiumklasse in Hallen oder unter freiem Himmel, denkt er hätte schon alles gesehen, erlebt, mitgenommen; weiter träumen. Oder noch besser nach Jeinsen an der Leine im südlichen ländlichen Randgebiet von Hannover, im Calenberger Land bei Pattensen kommen. Wer denkt Ostsee-Bäderstadt Binz, Kleinstadt Göhren, Dorf Jeinsen, weiter runter und kleiner geht fast nicht mehr, vielleicht, aber nicht in Sachen Blues-Festival, da ist es genau umgekehrt. Was eine Metropole und Landeshauptstadt mit allen Mitteln, Personal und Möglichkeiten nicht hinbekommt, und das ist leider nicht nur in Niedersachsen so, das bekommt ein verschworenes dörfliches Kollektiv auf dem Ländle ganz locker hin. Hier feiere ich; Pandemien, Kriege, Umweltzerstörung, Klimawandel, Kulturverfall zum Trotz; nun mein echtes, hautnahes drittes Menschen-Fest hintereinander. Dazu verwandelt sich seit 2021 nun zum dritten Mal das komplette Dorf Jeinsen in ein Festival-Areal mit drei besonderen Spielstätten. Was ich hier erleben durfte, ist schwer mit Worten zu fassen, man muss es tatsächlich selbst ERLEBEN. Ich spreche in der evangelischen Dorfkirche Sankt Georg, ein altes Backstein-Gebäude mit komplett weißer Inneneinrichtung und imposanter großer Orgel, mit Veranstalter und Schlagmann Andreas Bock: „Ich hatte die Dramaturgie bei der Eröffnung am Mittwoch genau geplant, vom neuformierten Duo The Boogie Shakers als Überraschungsgast über Rock-Kapelle Boogie Radio Quartett mit variabler Starbesetzung, einschließlich zum Abschluss die clubbige Bar-Blues-Gruppe Ginger Blues Featuring Jessie Gordon im Grenzbereich Blues, Folk, Jazz. Und auch heute wird es mit Boogie Kathi aus Österreich, dem vielköpfigen Gospel-Chor Siyahamba Pattensen sowie Misses King & Her Jewels nicht anders sein.“ Gesagt und dann von mir selbst erlebt, war es ein Blues-Spektakel der Superlative. Viele sprechen von der Akrobatik einer Helene Fischer oder P!NK, aber bei einem Konzert bei einem balladesken Blues zwei Sängerinnen oben auf dem umlaufenden Balkon nähe Altar im Dialog mit den Instrumentalsten singend erleben zu dürfen ist sicher genauso spektakulär. Das ganze professionell durch Licht und Ton vom Pure-Ton-Team Thomas Dettmar aus Hannover fantastisch in Szene gesetzt. Auch hier Leidenschaft pur, durch diese Vernetzung von Musikern, Künstler, Crew, Publikum bekommt auch dieser Vortrag einen noch höheren Stellenwert.
Schon bei Eröffnung am Mittwoch habe ich ein Gefühl dafür bekommen wie Andreas Bock als Zeremonien-Meister und Hochleistungsmotor des Jeinser Blues Festival denkt und plant. Das Programm im Langgasthaus Jeinsen, frühgotischer Kirche Sankt Georg und zwei Tage Vierseitenhof Kleuker ist strategisch geplant und immer wieder mit vielen Überraschungen gespickt. Natürlich passieren auch Dinge aus der Situation heraus und unerwartet. Beispielsweise als die norwegische Band Jelly Roll Man sich wegen der schwierigen Anreise verspätet, dafür springt die Allstar-Besetzung Backsratchers des Hamburgers Jan Mohr sofort auf die Bühne und wie man so schön sagt in die Bresche. Das ist gelebte Solidarität unter Kollegen, Jung und Alt. Ich habe selbst erlebt wie die Mitglieder der beiden Bands sich in den Armen lagen, wie sie sich auf die Schulter klopften, sich zuprosteten, Freude miteinander teilten. Das können wir brauchen und was hier in der niedersächsischen Blues-Hauptstadt Jeinsen am Fließband gelebt wird. Hier stehen alle zusammen, die komplette Feuerwehr Mannschaft Jeinsen trotz massiver Unwetter und Einsätze, die Menschen an Technik, Ständen, Einlass, auch als Unterstützer immer aktiv dabei die Hofbesitzer Anke & Günter Kleuker sowie noch viele fleißige Helfer an zahllosen Stellen. Interessant und besonders sind auch die verschiedenen Kunstausstellungen auf Kleukers Hof in der westlichen Scheune; so breit, hoch und beeindruckend wie das Kirchenschiff Sankt Georg. Dort präsentieren verschiedene bildende Künstler wie beispielsweise Diane Heckert, Renate Becker-Barbrock, Vanesa Harbeck und Saxofonist Reiner Hess beeindruckend ihre Werke. Auf das großformatige imposante Bühnenbild, bereits zum dritten Mal von der lokalen Künstlerin Diane Heckert erstellt, treffe ich an allen drei Spielstätten. Die Grundlage ihrer Werke ist Sumpfkalk, Marmor-Mehl, Heiß-Leim auf Leinwand. Bei Bearbeitung mit anderen Stoffen bilden sich während der Trocknung oberflächlich mechanische Veränderungen, die dann weiter künstlerisch gestaltet werden. Es entstehen, wie bei Fingerabdruck, Iris oder Live-Musik, Unikate mit besonderem Charakter. Das große vierteilige Kunstwerk das man bei allen Auftritten im Hintergrund sieht, diesmal ist Kaffeesatz die Basis, interpretiert den damaligen und heutigen Weltschmerz als Ausdrucksform Blues. Diane: „Übertragen auf das was gerade ist, gesellschaftlich und politisch, trifft der Blues doch in idealer Weise gerade jetzt genau den richtigen Ton.“ Wie wahr, dieses verbindende Element habe ich durchgängig an allen vier Veranstaltungstagen gespürt und erlebt.
Langgasthaus Jeinsen – Schon am Dienstag wurde, berichtet aus gut unterrichteten Kreisen, im zum Festival-Auftrittsort umgestalteten Biergarten, schon mal mit Speisen, Getränken und natürlich Blues-Mucke vorgeglüht. Immer aktiv in der Kommando-Zentrale die Drahtzieher Kathrin & Andreas Bock. Das offizielle Programm beginnt am nächsten Tag um 19:00 Uhr mit der Vorstellung des diesjährigen Bühnenbildes von Diane Heckert. Wieder lerne ich auf meiner deutschen Blues-Pilger-Reise Salzburg, Binz, Göhren, Jeinsen, wieder mehrere großartige Frauen kennen. Wobei ich Alexandra, die als Moderateurin charmant durch das tägliche Programm führt, direkt mit erwähnen muss: „Neben unserem starken Mann, steht auch eine gleichstarke Frau.“ Wahrlich gesprochen, hier möchte ich meine Kolleginnen im Empire-Team erwähnen, tolle Frauen die mich inspirieren. Lest nach beim Konzertbericht Rockhouse Salzburg von Maria Ortner, alles immer fachkundig betreut durch unsere Lektorin Bettina Dörr. Bei den ersten drei Projekten ist Andreas Bock zentraler Musiker bei wechselnden Besetzungen. Hier gibt es vor allem Boogie-Woogie in Höchstgeschwindigkeit, zum Einstieg als Überraschung mit dem neuen Hildesheimer Duo-Partner Marius Labsch an den 88 Schwarz-Weiss-Tasten. Aber mit Boogie Radio Quartett und Dieter Kropp & Seine Famose Combo auch die ganze Spannbreite des Blues. Hier treten bereits viele Künstler auf, die während der nächsten Tage noch in anderen Konstellationen in Erscheinung treten und man kann beispielsweise bei Jan Mohr, Peter Behne, Reiner Hess, Dirk Vollbrecht und eben Blues-Harp-Lehrer der Nation Dieter Kropp von Schwergewichten der deutschen Blues-Szene sprechen. Aber auch alle anderen Mitspieler bewegen sich auf diesem sehr hohen Niveau. Mit vielen hatte ich auch schon in Binz und Göhren viele Berührungspunkte. Auch mit Ginger Blues und der wunderbaren Jessie Gordon aus Perth, Australien. Und was dieses Quartett mit Jan Hirte (Gitarre), Dorian Gollis (Kontrabass), Matthias Falkenau (Piano, Orgel) hier im Langgasthaus Jeinsen ablieferte, brachte am Schluss das meist sitzende Publikum kollektiv auf die Beine und in Bewegung !! Für mich der beste der vier bisherigen großartigen Ginger-Blues-Auftritten. Leider fehlte mir diesmal Stef Rosen für das Duett »Tennessee Whiskey« und auch einige gewünschte Wunschtitel konnte leider nicht mehr von Jan Hirte und seiner famosen Truppe gespielt werden. Als Zugabe zum Abschluss des Tages standen noch einmal alle Musiker dieses Tages kollektiv zum ausgiebigen Jammen eng beieinander auf der sehr kleinen Bühne und diese Künstler-Phalanx strahlte hautnah Richtung begeistertem Publikum. Die nun nicht mehr vorhandene Lücke zur Bühne von Feiernden geschlossen, eine brodelnde Masse von glücklichen Menschen, hier wie da. Genau das ist die Kraft des Blues den Diane beschreibt, hier vorbildlich gelebt in der niedersächsischen Blues-Hochburg-Jeinsen.
Kirche Sankt Georg – Nach der Reformation wurde Jeinsen, seit der Gebietsreform Teil der Stadt Pattensen, 1580 Sitz einer Superintendentur. Bei Grabungen um die historische Kirche wurden Reste und eine Reliefplatte gefunden, die auf ein Gebäude aus dem 9. Jahrhundert hindeutet. Das heutige Bauwerk, original noch der Glocken-Turm der etwa 800 Jahre alt und im frühgotischen Stil erbaut ist, steht nun von 1781 bis heute. Hier findet Runde Zwei der Jeinser Blues-Festspiele statt. Und schon der erste Programmpunkt ist am Donnerstag in dieser außergewöhnlichen Kulisse etwas für Blues-Gourmets. Die gesamte weiß-möblierte Kirche ist dezent farbig beleuchtet, wirkt dadurch umso imposanter. Auf der ungewöhnlichen Spielstätte, mittig wo sonst der kirchliche Prediger steht, sind die Instrumente und Technik aufgebaut. Das Publikum ist ergriffen und flüstert leise. Unter vielkehligen Gesängen betreten links und rechts vom mittigen Gestühl zwei Menschenschlangen singend das historische Gebäude, sammeln sich hinten am Altar, das vom großformatigen Bild von Diane Heckert geschmückt ist. Gänsehaut-Momente und nach Beenden des Chorgesangs ein tosender Applaus der Blues-Gemeinde aus dem hölzernen Gestühl. Vor uns stehen Frauen & Männer jeder Größe, Hautfarbe, Alter zusammen in drei Reihen. Davor die erfahrene und langjährige Chor-Leiterin Katharina Hüttmann und der Trommler Andreas Bock, der vom Chor unbedingt zur Unterstützung gewünscht wurde. Gospel-Kathi führt souverän ihren Gospel-Chor Siyahamba Pattensen durch das schöne stimmige Vokal-Programm, inklusive vom Chor nicht erwarteter Zugabe. Nach kurzer Ruhepause heizt uns die Boogie-Kathi mit ihrer Boogie Blues Revue dann so richtig ein. Zuerst sitzt die gebürtige Australierin allein vor ihren Keyboards, spielt sich und die Besucher warm. Dann kommt Andreas Bock an den Trommeln dazu. Weiterhin stoßen mit jedem Titel neue Mitspieler an Akustik-Bass, Blues-Harp (Dieter Kropp), Keyboards (K.C. Miller), Sängerin (Viveca Lindhe) dazu. Einige kennen wir schon vom Vortag und sie werden noch in anderen Formationen an den beiden folgenden Tagen und auch heute noch einmal in Erscheinung treten. Die zum Finale hin sechs Musiker spielen sich in Rage und die Stimmung auf der Bühne und in den Kirchenbänken davor nimmt immer weiter bis zum tosenden Applaus zu. Wer soll da noch an Dynamik und Personalstärke einen draufsetzen. Es tritt nun zum Abschluss die brandheiße Formation Mrs King & Her Jewels um die charismatische Sängerin Meike König an. Und schon der Einzug der Musiker unter Applaus der Besucher, wieder von hinten durch die beiden zentralen Gänge, zeigt auf wohin der Blues-Express seinen Weg nehmen soll. Meikes 90-minütiges Programm reicht von verschiedenen Spielarten des Blues, Boogie, Soul bis hin zu Rock’n’Roll. Tanzen ist hier ausdrücklich erwünscht, kann aber wegen der Enge nur eingeschränkt in den engen Sitzreihen stattfinden. Und einige der Juwelen haben wir bei der Boogie Blues Revue von Kathi schon aufblitzen sehen. Zudem dabei sind Reiner Hess (Saxofon), Marius Labsch (Piano), Frank Rihm (Blues-Harp), ein Gitarrist und im letzten Drittel auch noch Sängerin Viveca Lindhe. Acht erstklassige Künstler mit Instrumenten auf der Altar-Bühne, da ist es fast so beengt wie vorher beim vielköpfigen Gospel-Chor. Über das gesamte Konzert, stachelt Meike ihre Männer ständig an, singt mal mit sensibler oder rau-herber Stimme, liegend, kniend in betender Stellung oder sogar im Duett mit Viveca oben neben dem Altar von der umlaufenden Loge. Ungewöhnliche Blues-Unterhaltung auf höchstem Niveau. Dreimal Frauen in der Poll-Position, drei einmalige mitreißende Auftritte. Auch viele Vokallisten des Gospel-Chor Siyahamba Pattensen sind bis zum Abschluss des heutigen Tages geblieben und haben die wunderbaren Vorträge gebahnt mitverfolgt.
Vierseitenhof Kleukers 1 – Späte Nacht, weit nach der Geisterstunde brodelte es immer noch am Freitag bei Die Lohmann Kapelle und Samstag bei den The Bluesanovas auf dem imposanten Vierseitenhof Kleukers. Die Menge ist an beiden Abenden angestachelt, immer aufgepeitscht durch Anheizer Andreas Bock und wirken völlig außer Kontrolle. Ich höre Rufe nach der Feuerwehr, erbarmen, die sind ja mit Grillzangen und feuerfesten Handschuhen mitten in diesem tobenden Mob. Eine sich windende Menschenschlange schlängelt sich unter der druckvollen Musik von der Bühne. Und vorne weg ein schwankender Gaukler, der auch noch krächzende Töne ausstößt. Nee, jetzt erkenne ich es im diffusen Licht des Hofplatzes besser, nein es ist ein trötender Saxofonist der wie eine Dampf-Lokomotive die Reihe der Menschen hinter sich herzieht. Aber erst einmal Rücksetzen zum Freitagnachmittag, da soll das Programm mit den Norwegern The Jelly Roll Men eröffnet werden. Aber da kein Wikinger zu sehen ist, startet der Hamburger Gitarrist Jan Mohr mit den Backsratchers etwas verspätet den dritten Tag des Festivals. Wieder bekannte Gesichter am Schlagzeug (Andreas Bock), Gitarre (Jan Mohr) und Blues Harp (Frank Rihm), dazu Dirk Vollbrecht am Akustik-Bass und ein weiterer Gitarrist. Mit soliden Blues-Rock starten wir in diesen dritten Tag und während die Backsratchers zu Höchstform auflaufen, treffen auch die fünf Rockabilly-Norweger ein. Die stürmen nach Beendigung des Auftritts sofort auf die Bühne und bedanken sich wortreich und mit vielen Umarmungen bei ihren Kollegen. Mit den fünf Gel-Rollen-Männer gibt es ursprünglichen Blues im Stil und Soundgewand der 40er und 50er. Die Band wurde von den beiden Brüdern Kent Erik (9Fingers) und Thomas Grim Thorvaldsen (Pee Wee) als The Nine Fingers Blues Band gegründet. 2016 Namensänderung, 2017 das Debüt »Jelly Roll Shuffle«, 2023 sind noch Petter Skoglund (Schlagzeug), Ole Martin Røsten (Kontrabass), Gitarrist Christian Øynes (Schoolboy), Øyvind Stølefjell (Piano), mit hier in Jeinsen. Gekleidet, frisiert und agierend wie in der Rockabilly-Zeit heizen sie den Zuschauern über eine Stunde ein. Auf der Tanzfläche neben der Bühne ist Partystimmung und mächtig Platzmangel. Danach geht es skandinavisch weiter mit Greger Knock-Out Greg Andersson aus Stockholm. Der Blues-Harp-Man und Sänger ist ein Veteran, seit 1988 dabei und Aushängeschild der nordischen Bluesszene. Er übernimmt mühelos den Staffelstab der Norweger, begleitet mit seinem Quintett The Scandinavian Blue Flames das Publikum in die Nacht, spielt Blues, Power-Soul, Country & Western in vortrefflicher Weise. Neben seinem jüngeren Bruder Marcus Andersson (Schlagzeug) musizieren noch Lars Näsman am Akustik-Bass, der finnische Gitarrist Tomi Leino und der Pianist Fredrik von Werder in der Combo. Mit zwei erstklassigen nordischen Volltreffern ist das Qualitätsmaß schon extrem hoch gesetzt. Aber ich sage es gleich, mit der Bielefelder Blues-Tanz-Kapelle von Lohmann R&B Kapelle endet der Freitag wie der schon anfangs beschriebene Samstag mit den The Bluesanovas. Die acht Lohmanns, alle nicht verwandt oder verschwägert, spielen nicht nur Rhythm & Blues der 40er bis frühen 60er in Ultradruck, sondern auch die nähere und weitere Blues-Verwandtschaft kommt zu ihrem Recht: Swing, Rock’n’Roll, Soul, Ska, Surf-Musik, es ist alles dabei was gute Laune macht. Sie leben ihren Stil-Mix ungezügelt und ohne Kompromisse auf und vor der Bühne aus. Denn die reicht manchmal nicht, dann ist die Grenze zwischen Musikern und Publikum niedergerissen und es ist eine tobende Masse Menschen die zusammen feiern. Wer sich im Auge des Hurrikans befindet, wird unerbittlich in dieses Knäul hineingezogen. Ausruhen ist nicht, dafür sorgt ständiger Nachschub an bluesigen Krachern, der von der Big-Band pausenlos druckvoll nachgeliefert wird. Wer hier orthopädische Probleme hat, sollte hinten bei den kopfschüttelnden Sanitätern in Sicherheit bleiben.
Vierseitenhof Kleukers 2 – Nach einer für viele Nachtschwärmer kurzen Pause und etwas Ruhe geht es auf dem Vierseitenhof Kleuker bereits in die vierte Runde. Mittags trudeln langsam wieder die ersten Gäste ein. Bei sommerlichen Wetter und bei Musik vom Berliner Duo The Juke Joint Smokers hat es den Eindruck man ist irgendwo in den US-Südstaaten bei einem typischen Dorffest der lokalen Rancher. Harp-Spieler Adam Sikora aus Polen und der italienische Multi-Instrumentalist Luis De Cicco bestreiten mit ihren fantastischen Kurzeinlagen an zwei Tagen das Programm zwischen den Bühnenauftritten und sorgen damit für kontinuierliches Blues-Futter. Manchmal kommt auch noch einer der Gäste zum Musizieren dazu. Mit der Magic Ed Combo (ehemals The Bootleggin‘ Hobos) nimmt die Blues-Party wieder Fahrt auf. Gitarren-Frontstimme Marcus „Ed“ Staab sowie Gerhard Philipp (Schlagzeug) und Basser Detlef Schmidt wirken wie aus einem Guss und können schon zum Frühschoppen vollends überzeugen. Mir hat dieser Auftritt des Dreigestirns aus Aschaffenburg wegen der handwerklichen Qualität und Präzision sehr gut gefallen. Zwar wird nun ein Gang runtergeschaltet, aber auch das Akustik-Duo Down Home Percolators fallen Qualitativ nicht ab. Das Frankfurter singende Blues-Duo Klaus „Mojo“ Kilian (Blues-Harp) und Bernd Simon (Gitarren) sind aus der Matchbox Bluesband hervorgegangen und begeistern seit über 20 Jahren mit ihrem dynamisch-kraftvollem, authentischen, akustischem Blues. Klaus arbeitet auch immer wieder mit vielen anderen Kollegen zusammen, wie beispielsweise auch in den verschiedenen Formationen von Blues-Urgestein Norbert Egger. Ich bin nun den vierten Tag wieder vollkommen in diese Blues-Welt abgetaucht, fühle mich heute wie vorher schon erwähnt im ländlichen US-Süden. Ich bin dort viel gereist, habe dort die wunderbarsten Landschaften genossen, dort die Kraft dieser Natur und auch deren Protagonisten gespürt. Inklusive deren wunderbaren Musik von Blues, Country und Jazz. Blues, Swing-Jazz, besonders Boogie Woogie und pure Lebensfreude das sind die wichtigen Zutaten beim erfahrenen Boogie Royale Trio. Das haben wir schon mit dem vielbeschäftigten Andreas Bock, der in Berlin lebenden schwedischen energischen Sängerin Viveca Lindhe und dem Pianisten K.C. Miller, am Donnerstag in der Kirche Sankt Georg schon zweimal erleben dürfen. Zusammen bringen die drei Blues-Profis, unterstützt von Harmonikaspieler Frank Rihm, handgemachte Musik ohne viel Elektronik auf die Bühne, alles tanzbar, konzertant und reich an Vielfalt. Ein Genuss und eine Freude, hier genießt das Publikum Boogie-Standards, Blues Hits und innovativ Neues erfrischend gut. Für die junge Hoffnung des Blues Till Seidel (Gitarre, Gesang) aus Hildesheim, der arbeitet auch mit Roger C. Wade im Duo It Takes Two zusammen, ist es praktisch ein Heimspiel. Dennoch muss auch er mit Dennis Koeckstadt (Piano, Orgel), Dirk Vollbrecht (Bass), Dennis Brendes (Schlagzeug) Vollgas geben um die Blues-Gemeinde in Jeinsen zu überzeugen. Und das Quartett schafft es leicht mit einem Potpourri aus seinen Veröffentlichungen »King Of Lazy Man’s Land« (2017) und »Get On Board« (2020). Damit ist der Weg vorbereitet für die eingangs erwähnte Party mit dem dreifachen Gewinner des German-Blues-Award The Bluesanovas aus Münster und mit ihrem wie sie selbst sagen, zeitgemäßen Blues des 21. Jahrhunderts. Und dass sie den Blues haben, sieht man daran, dass diese junge Truppe vier gute Alben in vier Jahren veröffentlicht, damit eine enorme Fangemeinde aufgebaut haben und niemand geringerer als Eric Clapton die fünf Münsteraner für seine Deutschlandtour 2022 als Support-Act einladen hat. Mit kollektiven Feiern klingen vier schöne Tage beim Jeinser Blues Festival aus.
Hier beim Jeinsen Blues 2023 bekam der Slogan, dass ich das noch erleben durfte, eine besondere Bedeutung. Dieses bluesige Gesamtkonstrukt vier Tage mal in voller Fahrt erleben zu dürfen, war sehr beeindruckend. Alles berichtete sollte euch animiert haben vielleicht im Juni 2024 auch mal an einer oder allen der drei Spielstätten in Jeinsen vorbei zu schauen. Denn eigentlich hätte so eine vom Kollektiv mit enormen Arbeitsaufwand vorbereitete und durchgeführte Blues-Veranstaltung auf diesem Niveau mehr Besucher vor der Bühne verdient.
Weiterlesen RZ: Back To The Blues Roots – Klingende Orte – Rhythmische Grüsse, Der SchoTTe
Weiterlesen RZ: Deutsche Legenden – Neue Deutsche Meister – Klingende Grüsse, Der SchoTTe
Fotostrecke Jeinsen Blues Festival – Mittwoch & Donnerstag
Fotostrecke Jeinsen Blues Festival– Freitag
Fotostrecke Jeinsen Blues Festival – Samstag