☺ Frau und Mann ☺ Australien und Britannien ☺ Altstimme und Bariton ☺
Es gibt Formationen die dem gängigen Muster eines klassischen Bandgefüges nicht entsprechen. Aber dennoch musizieren bis heute auch Solokünstler oder Duos manchmal über Jahrzehnte wie eine vielköpfige Band. Mit der fortschreitenden technischen Entwicklung ist das bis heute immer einfacher geworden. In dieser Serie habe ich bereits gestartet und ja schon das Projekt Archive vorgestellt. Diesmal ist es ein gemischtes Doppel, Frau und Mann, Australien und Britannien, Altstimme und Bariton.
Lisa Germaine Gerrard – Sie hat anglo-irische Wurzeln, wurde am 12. April 1961 im australischen Melbourne geboren. Lisa startete 1980 ihre Karriere zunächst in den beiden australischen Post-Punk-Eintagsfliegen Microfilm und weiter Junk Logic. Als Solo-Künstlerin veröffentlichte sie bereits ein Jahr später ihren ersten Titel »Mosaic«. Zusammen mit Brendan Perry gründete sie 1981 Dead Can Dance. Das Duo spielte Gästegestützt ein Dutzend guter Alben ein, die weltweite Bekanntheit stieg kontinuierlich, heute haben sie Kultstatus. Lisa ist für ihre tiefe Altstimme bekannt und singt damit fast ausschließlich in einer außergewöhnlichen Pseudosprache. Durch diese Kombination gehört sie zu einem erlesenen Kreis, durch die Instrumentierung und Ausrichtung der Musik, hat sie praktisch ein Alleinstellungsmerkmal. Im Film »El Niño De La Luna« (1989) spielt sie eine der Hauptrollen. Noch während ihrer Zeit im Gefüge Dead Can Dance veröffentlichte sie bei ihrem Mutterlabel 4AD auch Soloarbeiten, »The Mirror Pool« (1995), »Duality« (1998), später noch weitere. Nach erster Auflösung von Dead Can Dance 1998 wurde die Gothic-Sirene hauptsächlich als Komponistin für Film und Fernsehen tätig. Einige bekannte Filme, zu denen sie die Filmmusik komponierte, »Insider« (1999), »Ali« (2001), »Black Hawk Down« (2001), »Whale Rider« (2002), »Mann Unter Feuer« (2004). Außerdem sang sie für den US-Blockbuster »Gladiator« (2000), die Musik komponierte sie dazu zusammen mit dem bekannten deutschen Filmkomponisten Hans Zimmer. Dafür erhielt sie 2001 als erste und bislang einzige Frau den Golden Globe Award Kategorie Beste Filmmusik zugesprochen. 2005 ging Dead Can Dance wieder auf Tournee in Europa und Nordamerika. Von der Tour erschienen weltweit verschiedene Live-CDs. 2006 wurde die Karriere-Doku-DVD »Sanctuary« veröffentlicht. Lisa Gerrard arbeitete in dieser Zeit auch an einem weiteren Solo-Album »Mantras Of A Lost Archetype«, wurde abgebrochen und stattdessen erschien »The Silver Tree« (Rubber Rec). Selbst komponierte Stücke, darunter aber auch Live-Material aus 2005. Damit ging sie auch auf weltweite Tour. Mit Elektronik-Legende Klaus Schulze gab es dann das außergewöhnliche Album »Farscape« (11-2007) und 2008 traten die beiden mit diesem Duo-Programm sogar zusammen beim Night-Of-The-Prog-Festival Loreley (Mitschnitt »Rheingold«), im Schillertheater Berlin und in Polen (»Dziękuję Bardzo – Vielen Dank«) auf. Mit The Mystery Of The Bulgarian Voices (2018: »BooCheeMish«) und in Kooperation mit dem Dead-Can-Dance-Keyboarder Jules Maxwell das Album »Burn« (2021) waren die letzten Werke. Lisa war parallel auch als Schauspielerin tätig, bekam auch dafür verschiedene Auszeichnungen, vor allem in ihrer Heimat.
Brendan Michael Perry – Der britische Multi-Instrumentalist wurde am 30. Juni 1959 in einem Londoner Stadtteil Zentrumsnah geboren, migrierte als Kind mit seinen englisch-irischen Eltern früh nach Auckland, Neuseeland. Dort brachte er sich als Autodidakt das musizieren bei. Er begann 1977 seine Karriere als Musiker in einer der ersten neuseeländischen Punk-Bands, dem Quartett The Scavengers. Dort spielte er unter dem Pseudonym Ronnie Recent den Bass. 1978 übernahm er auch den Leadgesang, nachdem die Frontstimme die Band verlassen hatte. 1979 zog die Band ins australische Melbourne um, wechselte ihren Namen in The Marching Girls, traten hier in lokalen Pubs auf. Die Handvoll Titel der beiden Bands sind 2008 bei Zerox erschienen. Brendan Perry verließ die Band 1981, setzte die bereits geplante Idee um und gründete mit seiner Bekannten Lisa Gerrard sowie Simon Monroe und Paul Erikson die Formation Dead Can Dance. Der Bariton Brendan Perry ist seither in erster Linie für seine ruhige, Multi-Ethnische Musik bei diesen Gothic-Rockern bekannt. Bereits nach zeitnahen übersiedeln der Band nach London waren sie 1982 schon ein Duo. Auf dem 4AD-Label von Produzent Ivo Watts-Russell und Peter Kent nahm Dead Can Dance bis zur deren Trennung im Jahr 1998 acht erstklassige Studio-Alben und eine EP auf, zuletzt 1996 »Spiritchaser«. 1993 kaufte Brendan Perry die 1855 gebaute Quivvy Church im County Cavan (Irland) und baute sie zu einem Aufnahme-Studio aus. Unabhängig hatte er damit die gleiche Idee wie John Martyn mit seinem Kirchen-Studio in England. Viele seiner späteren Titel als Projekt und Solo entstanden hier in dieser alten Kirche. Schon 1995 begannen die Arbeiten, aber erst vier Jahre später veröffentlichte Perry sein erstes Solo »Eye Of The Hunter« (1999), stärker am Folk-Rock und akustischen Saiteninstrumenten ausgerichtet. Dann nach 11 Jahren sollte das nächste Werk »Ark« dann bei Cooking Vinyl erscheinen. Er coverte auch immer wieder Titel von Tim Buckley, unter anderem »I Must Have Been Blind«, »Happy Time« und »Dream Letter«. Für Touren in Europa und Nordamerika wurde Dead Can Dance im Jahr 2005 reaktiviert. 2008 trennte sich Perry vom Label 4AD. Heute lebt Brendan Perry in Irland (Cavan Eire), ist dort in verschiedenen Musik-Projekten involviert. Das Album »Songs Of Disenchantment – Music From The Greek Underground« erschien zuletzt 2020. Es ist stark von traditioneller griechischer Musik, insbesondere Rembetiko (griechischer Blues, Hauptinstrumente: Bouzouki, Gitarren, Baglamas, Geige, Akkordeon) beeinflusst.
Dead Can Dance – Im südaustralischen Melbourne treffen sich 1980 die Arbeitskollegen Brendan Perry und Lisa Gerrard, gründen 1981 eine Band, musizieren als Duo dann ab 1982 in UK/Irland gemeinsam fast zwei Jahrzehnte. Dieses außergewöhnliche Duo verstand sich nach Wechsel vom australischen Melbourne ins britische London, treibende Kraft war Perry, als Künstler-Kollektiv. Sie hatte durch ihre Vorgeschichten und auch durch das multiethnische Umfeld im Melbourner Stadtviertel East Prahran (beide hatten dort Nebenjobs) einen ganz eigenen Klangkosmos entwickelt. Dead Can Dance nutzen die ganze Vielfalt globaler Musikkultur, beziehen sich auf mittelalterliche Musik, viele ethnische Musikrichtungen, Neo-Klassik und rockigen Elementen. Diese Musik und dazu auch noch der ungewöhnliche Gesang von Brendan und besonders Lisa lassen eine Klang-Melange entstehen die einzigartig ist und einen sehr hohen Wiedererkennungswert hat. Das Duo und einige Gäste erzeugen mittels afrikanischer Perkussion, australischen Didgeridoos, asiatische Saiteninstrumente (auch chinesische Yangqin), herkömmliche Gitarren sowie vielen anderen exotischen Musikgeräten, sphärische Klangräume wie aus einer anderen Welt. Die Musik ist ideal zur Vertonung von visuellen Darbietungen, dort wird sie deshalb sehr häufig eingesetzt. Nach der ersten Trennung 1998 arbeiten beide unabhängig voneinander an verschiedenen Filmmusiken und Projekten. Deren weitere Geschichte siehe bei den Profilen von Lisa und Brendan.
Von Down Under ins Königsreich – Die erste gemeinsame (aber erst 1986 in der 4AD-Kompilation »Lonely Is An Eyesore« veröffentlichte) vierspurige Studioaufnahme, bei dem Lisa Gerrard die Lead-Stimme sang und das Yangqin spielte, war die improvisierte Komposition »Frontier«. Hier sind bereits alle Stilelemente dieser Truppe zu hören: den nichtlyrischen, phonetischen Gesang von Lisa, atmosphärische elektronische Klangstrukturen, stark verknüpft mit einer Vielzahl von akustischen Instrumenten. Der frühe Demo-Titel wurde zusammen mit ein paar anderen 1982 in einem Studio in Belgrave, einem östlichen Stadtteil von Melbourne aufgenommen. Später erschien dieser Song 1984 auf dem selbstbetitelten Debüt (Cover mit ritueller Maske) in einer Neuaufnahme mit britischen Musikern. Die Aufnahmen der ersten vier Titel für die John Peel BBC Radio Show entstanden am 19. November 1983 im Maida Vale Studio Four. Schon Ende Februar 1984 erschien das selbstbetitelte »Debüt« der Gothic-Rocker weltweit. Das in einem Achtspur-Studio (Vineyard) entstandene Werk, fand nie die Zufriedenheit des Duos, hat aber alle Merkmale dieser Formation. Die mangelnde technische Qualität ist auch der Grund weshalb auf den beiden schönen Zusammenstellungen »1981-1998« (2001, 3CD+DVD) und »Wake« (2003, DCD) dieses Debüt nicht berücksichtigt wurde. Eine zweite Session mit erneut vier Titel wurde für die BBC im Maida Vale Studio Four am 02. Juni 1984 aufgenommen. Das zweite reguläre Studiowerk ist die 4-Titel-EP »Garden Of The Arcane Delights«, die schon im August 1984 auf den Markt kam. Damit wurden damals der aufflammende Hunger der Fans gestillt und auch dem Qualitätsanspruch der Band genüge getan. Alle acht vorher erwähnten BBC-Aufnahmen findet man auf einer Deluxe-Ausgabe dieser EP (2016: 4AD). Mit dem Wechsel in die Woodbine Street Studios, dort wurde mit Gäste-Unterstützung der Nachfolger »Spleen And Ideal« aufgenommen und im November 1985 veröffentlich, war der Durchbruch geschafft und der Siegeszug der Totentänzer begann.
Hoheiten des Düsteren – Mit den nächsten Alben »Within The Realm Of A Dying Sun« (1987) und »The Serpent’s Egg« (1988) veränderte sich der Stil immer mehr weg von klassischer, elektronikgestützter Rock-Musik hin zur klassischen, akustisch geprägten Musik und den dazugehörigen Elementen. Es war daher kein Zufall, dass sich die Filmindustrie verstärkt für ihre Arbeit zu interessieren begann. Im Jahr 1989 schrieben Gerrard und Perry den Soundtrack zu Agustí Villarongas Film »El Niño De La Luna« (Moonchild), in dem Sirene Lisa Gerrard auch ihr Schauspiel-Debüt hatte. Diese sperrige Bildermusik für Publikum erfolgreich auf Bühnen zu präsentieren, war immer Bestandteil dieses Projekt, wurde aber zunehmend komplizierter. Dennoch folgte 1990 die erste große Tour durch die USA und erneut mit »Aion« (griechisch: Ewigkeit, Begriff der Antike) ein bärenstarkes Studio-Album. Mit gregorianischen Gesängen, traditionellem Liedes-Gut, mittelalterliches Instrumentarium wie Drehleier, Dudelsack und Schlagwerke, die Renaissance ist darin noch stärker gewichtet. Inzwischen weltweit auf der Erfolgswelle, ist eine Retrospektive unvermeidlich. 1991 folgte deshalb »A Passage In Time« mit zwei neue Stücken »Bird« und »Spirit«. Diese Zusammenstellung ist aber nicht meine favorisierte Best-Of des Projekts, das ist klar die DCD »Wake«. Dennoch ist diese erste Kompilation auch ein kreativer Baustein dieses Künstler-Duo. Alle 14 Titel puls zwei neue Kompositionen wurden neu gemischt und mittels Glasmastering, sowie den damals besten technischen Möglichkeiten, nur auf CD veröffentlicht. Das Werk ist durch die Wahl der Songs und deren geschicktes zusammen setzen wie eine fließende Klangstruktur. Manche Fans meinen es ist das zwölfte Studio-Album des Projekts.
Mittelstück, Filet oder Panade – Christopher von Deylen alias Schiller sagte kürzlich in einem TV-Interview: „Mit meiner Musik versuche ich Bilder und Filme im Kopf entstehen zu lassen.“ Das trifft auf die Klänge von Dead Can Dance ebenso zu. Im September 1993 erschien »Into The Labyrinth«, das wieder mehr elektronische Weltmusik einband und die medienstärkste VÖ des Duos ist. Perry und Gerrard steuern im selben Jahr einige Stücke zum US-Film »Baraka« bei, arbeiteten mit dem Avantgarde-Künstler Hector Zazou auf »Sahara Blue« (MTM) zusammen. Das auf der US-Tour aufgenommene Live-Album »Toward The Within« (1994), enthielt überwiegend bislang unveröffentlichte Titel. Damit zählt es bei den DcD-Fans ebenso als vollwertiges Album, es verschwimmen damit die Schubladen Demo, Studio, Live, Neuaufnahme. Es gibt auch noch einige sehr gute offizielle Bootlegs von der Tour. Auf dem 1996 erschienenen Album »Spiritchaser« bewegten sich Dead Can Dance stärker in Richtung afrokaribischer Elemente. Hier dominieren rhythmische Strukturen, eingespielt von bis zu einem Dutzend Perkussionisten. Brendan Perry blieb auch bei diesem letzten gemeinsamen Album der musikalische Steuermann, entwickelte musikalische Visionen und strukturierte die gemeinsame Projekt-Arbeit. Am 9. Dezember 1998 kam ein sehr trauriger Tag für die DcD-Fans, Lisa und Brendan trennten sich aus ungenannten Gründen, das Duo-Projekt wurde kommentarlos aufgelöst. Lisa Gerrard auf ihrer Webseite unter dem Titel The Dead Can Dance Statement: „Wenn die Angst dorthin kommt, wo die Liebe sein sollte, ist es an der Zeit, weiterzuziehen!“ Mein Urteil zu Filet oder Panade: Eindeutig ein erstklassiges Mittelstück.
Tourneen 2005 – Nach einer 6-jährigen Projekt-Pause, in der Lisa sowie Brendan intensiv an jeweils eigenen Projekten arbeiteten, sind Dead Can Dance überraschend dann 2005 mit Tourneen wieder in Europa (März/April, 12 Auftritte) und Nordamerika (September/Oktober, 8 Auftritte) erfolgreich aktiv. Alle Auftritte sind über offizielle Bootlegs und Promos gut dokumentiert. Auch diesmal war die Hoffnung wieder groß das Lisa Gerrard und Brendan Perry nicht nur auf der Bühne zusammenarbeiten könnten. Viele Gerüchte einer Reunion lagen in der Luft. Anlass dazu gab natürlich das mit »Saffron«, »Yamyinar«, »The Love That Cannot Be«, »Crescent«, »Minus Sanctus« und »Hymn For The Fallen« auch eine Handvoll neue Lieder der beiden Komponisten auf dieser Tour präsentiert wurden. Allerdings kommentierte Lisa Gerrard erneut die drängenden Nachfragen zu Dead Can Dance mit zu unterschiedlicher musikalischer Ausrichtung und dass dadurch die Differenzen schier unüberbrückbar geworden seien. Aber um es schon mal vorweg zu nehmen, die Zeit heilt manchmal auch größere Wunden.
Tourneen 2012 – Im August 2012 erschien mit passenden Titel Auferstehung (griechisch: »Anastasis«), nach einer Studio-Pause von immerhin 16 Jahren, überraschend dieses nächste gemeinsame Album von Dead Can Dance. Zu hören sind diesmal viel mehr synthetische Klänge, geschickt eingestreute Weltmusik-Elemente, wechselnd jeweils 4-mal Gesang von Perry und Gerrard. Vielen Kritikern gefiel dieses, gefühlt wie an einem Reißbrett produzierte glatte Album, nicht besonders. Denn gerade diese raue Düsternis, gekoppelt mit vielen naturakustischen Klängen und begleitet mit besonderer Vokalakrobatik, war das Markenzeichen dieses Duo. Nicht falsch verstehen, »Anastasis« ist sicher noch weit über Mittelmaß, aber die drei Alben aus Mitte der 90iger sind viel überzeugender, in jeder Hinsicht. Beispielsweise ist der Schwerpunkt bei der vorbildlichen Best-Of-DCD »Wake« (2003) nicht ohne Grund mit fünf Titeln (35 Minuten) von »Into The Labyrinth« (1993) genau auf dieser Zeit. Aus dem Material der begleitenden weltweiten Tour entsteht das erste echte Live-Album »In Concert« (2013) der Band. Zum bisher letzten Album »Dionysus« (griechischer Gott) dauerte es dann nur fünf Jahre, zwei ultralange Titel im typischen Stil. Im April und Mai 2022 kommen Dead Can Dance nach langer Zeit endlich wieder mal nach Europa, nach Berlin, Bochum, Frankfurt, werden live auf ihre lange musikalische Karriere und elf einzigartige Studio-Werke zurückblicken. Hoffentlich ein audiovisuelles Ereignis der Extraklasse.
Alles Gute Lisa Gerrard sowie noch viele Geburtstage in guter Gesundheit und Gesellschaft.
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