Musikalische Projekte die sich ausschliesslich aus Frauen zusammensetzten waren in den 1960ern eher aussergewöhnlich. Gemeint natürlich Musikerinnen die auch selber die Instrumente spielten und nicht nur Gesangsensembles waren. Die bekanntesten Vertreterinnen waren vermutlich die Liverbirds aus Liverpool, sozusagen aus demselben Heimathafen wie die Szenehirsche Beatles, (verrückt, die vier berühmten Popmusiker aus Liverpool wurden offenbar noch nie eigenständig abgehandelt im Rockzirkus, deshalb der Link zu den französischen Coverversionen). Exotisch vielleicht, aber so ganz neu war die Idee der All-Woman-Unternehmung nicht, reine „Damenorchester“ gab es in der Swingszene schon lange vor der Beat-Welle, Damen-Kapellen die sich als Anheizer für die grossen Showorchester verdingten, siehe hierzu auch den RZ-Artikel zu Viola Smith.
Goldie And The Gingerbreads stammten aus New York und basierten auf einer Idee der Sängerin Genyusha „Goldie“ Zelkowitz (1940 in Lodz zur Welt gekommen, sie, ihre Schwester und die Eltern überlebten Holocaust und emigrierten 1947 in die USA). Als die Sängerin (die bereits eine Ehe hinter sich hatte) der Escorts zu Beginn der Sixties auf die Schlagzeugerin Ginger Panabianco traf, reifte der Entschluss auf reine Frauenpower zu setzen. Keyboarderin Carol O’Grady ergänzte die Truppe, eine passende Gitarristin zu finden erwies sich als schwierigeres Unterfangen, erste Engagements in Europa (eine Tour durch Deutschland und die Schweiz im Vorprogramm von Chubby Checker) absolvierten Goldie und ihre Kolleginnen als Trio. Nach einigen Personalumstellungen fand sich 1963 mit Carol MacDonald endlich die passende Gitarristin und Margo Lewis setzte sich hinter die Orgel (auf der sie in der Tradition der Jazz-Organisten jeweils auch die Basslinien spielte). Die klassische Gingerbread-Formation war somit komplett (im Anfangs- und Endstadium der Band drückten sich unzählige Musikerinnen die Klinke in die Hand), die Karriere konnte gestartet werden. Auf einer Party spielten Goldie And The Gingerbreads 1964 zur musikalischen Untermalung vor prominenten Gästen wie den Rolling Stones und Ahmet Ertegun, Gründer und Mastermind von Atlantic Records. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort könnte man sagen, Keith Richards schwärmte gegenüber den Kumpels von den Animals von den Gingerbreads und bei einem Promo-Trip nach New York wurden sie von Chas Chandler (Bassist der Animals, Hendrix-Entdecker und Manager von Slade) in Augenschein genommen. Chandler und Alan Price brachten Goldie And The Gingerbreads 1964 nach England, per Schiff übrigens, das war billiger als ein Linienflug.
Kaum angekommen standen sie im Londoner Decca-Studio und nahmen „Can’t You Hear My Heartbeat“ auf, eine Nummer die Produzent Shel Talmy dann auch Herman’s Hermits zuschanzte. Wegen fehlender Arbeitsbewilligung in Britannien konnten vorerst keine Live-Auftritte gebucht werden, die Band wurde im November ‘64 deshalb zuerst einmal für zwei Monate im Hamburger Star-Club untergebracht. Zurück in England ging es wieder ins Studio und vor allem raus auf die Bühne: Auf dem 65er-Frühlingstour-Package der Rolling Stones bekamen sie den „Hot Seat“, Goldie And The Gingerbreads durften also direkt vor dem Hauptact auf die Bühne. Und sie liessen sich nicht lumpen, genossen die Hysterie mit den kreischenden Kids und empfahlen sich für weitere Aufgaben. Es folgten Tourneen mit den Yardbirds, Beatles, Hollies (immerhin habe ich diese Fraktion im Blog schon mal mit Allan Clarke verewigt) und den Kinks, sie waren offenbar auch bei dem historischen Vorfall zugegen als Drummer Mick Avory auf Dave Davies losging und versuchte den Kontrahenten mit einem Becken zu schreddern.
Die Gingerbreads mit „Can’t You Hear My Heartbeat“ bei
Ready Steady Go! (1965), weitere BBC-Auftritte sind verschollen.
Einzig mit der Hitplatte wollte es nicht klappen, „Can’t You Hear My Heartbeat“ landete in den UK-Charts auf Platz 25, Herman’s Hermits (…Eintrag folgt… irgendwann… I swear…) räumten hingegen mit ihrer Version in den USA gross ab (No. 2). Die nachfolgenden 45er scheiterten, weshalb auch immer, so ist beispielsweise „Please, Please“ aus der Feder von Carol MacDonald Highspeed-R&B allererster Güte, mindestens so aufregend wie viele Titel der männlichen Konkurrenz. Im Gegensatz zu den eingangs erwähnten Liverbirds die Grossteils bekannte Standards spielten, getrauten sich Goldie And The Gingerbreads auch eigenes Material zu schreiben, klasse Tracks zwischen Soul und Rock die meist von der fauchenden Hammond-B3-Orgel von Margo Lewis getragen wurden, Goldie And The Gingerbreads hörten sich mindestens so brachial wie der Schottland-Import Lulu & The Luvvers. Bei der einen Recording-Session war auch Nicky Hopkins am ergänzenden Piano zugegen, die Beteiligten hatten riesigen Spass an der Sache. Im angesagten Club Ricky Tick spielten die Gingerbreads Seite an Seite mit John Mayall und Zoot Money, sie freundeten sich auch mit den Pretty Things an.
Die Gingerbreads mit Mick Jagger, rechts die (rare) französische EP
Trotz dem ganzen Rummel um die Musikerinnen (selber waren sie übrigens Fans von Sounds Incorporated) blieben die Einkünfte bescheiden, die vier Musikerinnen teilten sich nach wie vor eine Wohnung in London die sie von den Animals übernommen hatten. Im Oktober 1965 kam es zum Split, Goldie verkündete sie wolle eine Solokarriere starten. Frustriert und enttäuscht über die Entscheidung ihrer Frontfrau kehrte Ginger zurück in die Staaten, um den Flug bezahlen zu können verscherbelte sie Teile ihres Schlagzeugs. Margo und Carol fanden Jobs als Sessionmusiker, Margo Lewis‘ Orgel ist beispielsweise auf Pretty Things‘ „Midnight To Six Man“ hinterlegt. 1966 beschlossen die beiden Freundinnen ebenfalls die Rückkehr nach Big Apple. Dort angekommen stellten schon bald eine neue Girl Group zusammen. Glücklicherweise erkannte Ginger Bianco, dass sie als Playboy-Hase ziemlich untalentiert war, Margo und Carol hatten also schon bald wieder die vertraute Drummerin in ihrer Truppe. Für das Atlantic-Label fand eine erste Aufnahmesession statt, bei Atlantic wollte wünschte man sich allerdings die Urformation mit Goldie hinter dem Mikro.
Drüben in England kam Goldies angestrebte Karriere als Solosängerin nicht in die Gänge, Andrew Loog Oldham veröffentlichte nur gerade eine Single auf seinem Immediate-Label (eine weitere 45er bei Fontana ging ebenfalls unbemerkt unter), weitere Aufnahmen blieben im Archiv hängen, die Sängerin hielt sich mit Studiojobs als Backgroundsängerin über Wasser. Schlussendlich folgte sie 1966 dem Angebot das sie von ihren ehemaligen Mitstreiterinnen erhielt, die Gingerbreads versuchten einen Neustart. Weitere Aufnahmen blieben aber grossteils unveröffentlicht, die Single „Think About The Good Times“ (mit einer tempogedrosselten, aber nicht minder spannenden Neuaufnahme von „Please, Please“ auf der B-Seite) wurde bei ATCO veröffentlicht. Goldie trennte sich dann irgendwann vom Spitznamen (den ihr ihre Mutter verpasst hatte) und den Gingerbreads und nannte sich ab da Genya Ravan. Ohne Genyas Mitwirkung veröffentlichten die Gingerbreads 1967 die letzte Single „Walking In Different Circles“.
Ginger, Margo und (die 2007 verstorbene) Carol stürzten sich nach der Auflösung der Gingerbreads vereint in neue Band-Projekte, die Krönung war dann ISIS, ihr gemeinsames 8-Frau-Projekt mit dem sie zwischen 1974 und 1977 drei furiose Longplayer im Bereich Rock/Funk/Brass realisierten, für mich persönlich eine perfekte Ergänzung zu Birtha und Fanny. Anspieltipp: „Saviour Servant“ mit seiner bei „Black Sabbath“ ausgeliehenen 3-Klang-Basslinie, aber eigentlich kann ich ja alle drei Alben uneingeschränkt empfehlen, gerade jetzt hallen noch die funky Grooves des eben gehörten Albums Ain’t No Backin’ Up Now nach.
ISIS (1974, LP, Buddah Records)
Ain’t No Backin’ Up Now (1975, LP, Buddah Records, produziert von Allen Toussaint)
Breaking Through (1977, LP, United Artists, ohne Ginger Bianco)
Genya Ravan bildete von 1969 bis 1971 den vokalen und optischen Mittelpunkt der Fusionband Ten Wheel Drive, stimmlich mutierte sie immer mehr zur wilden Rockröhre.
Ab 1972 verwirklichte sie sich mit Genya Ravan (LP, Columbia) ein erstes Mal solo, auf dem zweiten Album They Love Me, They Love Me Not (1973, Dunhill) spielte unter anderem Gerry McGee von den Ventures Gitarre. Das Album von 1974 nannte sich verwirrenderweise Goldie Zelkowitz (LP, Janus Records) und wurde von Gabriel Mekler (dem Hausproduzenten von Steppenwolf) betreut.
Die beiden hörenswerten Rockscheiben Urban Desire (1978) und …And I Mean It! (1979) erschienen bei 20th Century Fox Records und machten Genya Ravan einer jüngeren Generation bekannt, die zeitlose Mischung aus Rock, Bluesrock und Powerpop hat bis heute nichts von ihrer Faszination verloren. Der Titel „Love Is A Fire“ schaffte es 1979 in den Soundtrack des Kino-Streifens The Warriors. Genya Ravan konzentrierte sich danach vermehrt auf das Fach Musikproduktion, das Singen gab sie allerdings nie auf. 2006 gehörte sie zu den letzten Acts die im New Yorker Club CBGB auftraten und 2016 veröffentlichte sie ihre Memoiren in Form des Buches Lollipop Lounge. Das letzte Album ICON (CD, RUM BAR) mit neuem Material (der mittlerweile älteren Lady) stammt von 2019.
Goldie And The Gingerbreads waren zwar mittendrin in einem der heissesten Kochtöpfe der Musikgeschichte, Profit konnten sie aber nicht daraus schlagen. Es blieben ihnen einzig die Medaillen „Ruhm & Ehre“ und die sind bekanntlich 1000 x mehr wert als mit Kohle vollgestopfte Koffer.
Zitat Genya Ravan:
„I don’t have any children, I don’t have a family, but, you know what,
my records are my family, I’m very lucky, honey.“
LONG LIVE ROCK!
mellow
Der Grossteil der Aufnahmen von Goldie And The Gingerbreads wurde von ACE Records auf CD versammelt, inklusive der bis dato unveröffentlichten Archiv-Titel aus dem Atlantic-Archiv. Für einmal sind CD-Konsumenten im Vorteil, die gleichnamige LP-Version verzichtet beispielsweise auf das grandiose Orgel-Festival „Margo’s Groove“ und das Re-Recording von „Please, Please“.
Thinking About The Good Times –
Complete Recordings 1964-1966 (2021, CD, ACE Records)
Tracklist CD:
01. Can’t You Hear My Heartbeat
02. THink About The Good Times
03. That’s Why I Love You
04. Chew Chew Fee Fi Fum
05. Sailor Boy
06. I See You’ve Come Again
07. Something Beautiful
08. Little Boy
09. Look For Me Baby
10. V.I.P.
11. The Skip
12. Please, Please
13. What Kind Of Man You Are
14. Skinny Vinnie
15. Bye Bye Baby
16. Sporting Life
17. Margo’s Groove
18. Take My Hand
19. Please, Please
20. 85 Westbourne Terrace