Auch nee hart arbeitende Band, ohne bleibende Erinnerung zu hinterlassen
Ich habe kürzlich den sehr guten Beitrag von mellow über die US-Rocker von Glass Harp (1968-73) mit Front-Harfenist Phil Keaggy aus Ohio gelesen. Drei im diesem Beitrag sehr schön vorgestellte hervorragende Alben, dennoch bis heute keine große Beachtung, noch nicht einmal von dem harten Kern der Rock-Fans. Eine US-Band die sicher mehr Aufmerksamkeit verdient gehabt hätte, genau wie die Briten Stray aus Sherperds Bush, West-London, die ich diesmal in meinem Beitrag wieder in Erinnerung rufen möchte. Wieder eine Band, die trotz einem Dutzend guter Studio-Alben, exzellenter Rock-Musik (Stil: Cream, Thin Lizzy, Mountain), toller und ständiger Live-Performance, kaum jemand kennt. Die Gruppe gehörte auch zu den Ersten, die damals auf ihren Touren eine eigene Licht-Technik einsetzten. Es gibt natürlich auch Menschen die zufälligerweise auf ein Album der Band Stray stoßen, manchmal auch auf ein mittelmäßiges Bootleg (das ist auch immer wieder Thema im Rockzirkus), damit kann man dann sicherlich nicht leichtfertig auf die Gesamtkarriere dieser Band rückschließen. Aber mal ganz ehrlich, welche noch so bekannte Band hat über 50 Jahre immer nur brillante Alben herausgebracht. Wer harten Blues-Rock mit verschiedenen Zulegungen mag, kommt bei Stray auf jeden Fall immer auf seine Kosten. Dave Wyndorf von Monster Magnet nennt die Brit-Rocker Stray nicht grundlos als Anstoß für seine Bandgründung.
Die Gruppe Stray wurde 1966 von den Arbeiterklasse-Kids Steve Gadd (Gesang), Derek Del Bromham (Gitarre), Gary Giles (Bass), Steve Crutchley (Schlagzeug) als Schüler-Band in London Shepherd’s Bush gegründet. Sie starteten Live mit Soul und R&B Cover-Songs. Bereits 1968, schon vor der ersten Album Veröffentlichung, ging Crutchley und Richard Cole kam. Alsbald begann Del Bromham eigene Songs in seinem eigenen typischen psychedelischen Stil zu komponieren. Bei Transatlantic und Pye erschienen 1970-77 acht durchweg gute, abwechslungsreiche Studio-Alben und zwei Kompilationen. Die sind allesamt Mitte der 2000er bei Castle Music mit Bonus-Titeln wieder veröffentlicht worden. Trotz Wechsel bei Musikern und Manager stellte sich kein dauerhafter Erfolg ein und 1977 war erst einmal Pause, bis dann 1980 ein neuer Versuch mit Elan gestartet wurde, der nur »Live At The Marquee« (1984, Gull Records) hervorbrachte und leider noch viel weniger Erfolg hatte. Bis hierhin erinnert mich die Geschichte ein wenig an verschiedene andere Bands, aber aktuell auch an das Berliner Quartett von Crystal Palace. 1993 trat Stray in der Besetzung Bromham, Gadd, Giles, Cole für einige Konzerte wieder auf und 1995 gab es eine weitere Wiedergeburt, dieses Mal mit Del Bromham sowie Dusty Miller (Bass), Phil McKee (Schlagzeug). In dieser Formation entstand als Del Bromham’s Stray das fetzige Live-Album »Alive And Giggin’« (1996), dem dann direkt das Studiowerk »New Dawn« (1997) und etwas später »10« (2001), alle drei bei Mystic Records, folgten. Die 30-jährige Studioarbeit wurde mit dem zehnten Album gefeiert und mit der DCD-Werkschau »Time Machine – Anthology 1970-1977« (2003) dann würdig abgerundet. 2004 war Stray schon wieder mal auf Tour, diesmal als Begleit-Band von Leslie West (Gitarrist Mountain) der bei einer Club-Tour auch in Deutschland einige Stationen hatte.
Das Debüt – Warum diese Band nie den Status einer Band der Top-Liga erlangt hat, wird vermutlich eine der großen unbeantworteten Fragen der Rock-Historie bleiben. In Deutschland ist diese Gruppe scheinbar nur Insidern bekannt. Ich habe das Vinyl wieder mal rausgesucht, das weiße Klapp-Cover ist schon sehr abgegriffen. Eine Truppe, die schon imn Alter von 17 mit Deep Purple und Spooky Tooth einheizen durften, später mit Größen wie Black Sabbath, Spirit, Rush, KISS, Iron Maiden und Judas Priest (um nur einige zu nennen) aufgetreten sind. Iron Maiden covert (neben Free, Golden Earring, Led Zeppelin) sogar »All In Your Mind« als Bonus auf deren Neuauflage von »No Prayer For The Dying« (1995). Der große Durchbruch (jedenfalls bei uns) blieb leider aus. Die Musik ist eine gute Mischung aus psychedelischem und progressivem Rock. Die Akustik-Gitarre wird verstärkt (im wahrsten Sinne des Wortes) eingesetzt. Stereoeffekte, wie sie zu dieser Zeit sehr beliebt waren, spielen eine sehr große Rolle. Eine Scheibe die mich bis heute an unsere langen Nächte mit meinen Kumpels erinnert, wo das Debüt mit »All In Your Mind«, »Time Machine«, »Move On« und »In Reverse/Some Say« rauf und runter gedudelt wurde. Die fünf Bonus Songs der Ausgabe von Castle Music sind eine schöne Zugabe, aber für mich entbehrlich. Dieses Debut-Album ist ein absolutes Meisterstück das so einige Bands späterer Generationen beeinflusste. Die erwähnte limitierte Ausgabe von Castle Music (2005) beinhaltet vier gute Bonustitel plus die Single-Version »All In Your Mind«.
Die Retrospektiven – 1. Die schon erwähnte Doppel-CD -Retrospektive »Time Machine: Anthology 1970-1977« (2003), ist sicher der Preis-Leistung-Sieger der Band Stray aus London. Auf den beiden Mini-Silber-Scheiben sind jeweils vier Titel der ersten acht Alben, plus zwei Outtakes vom Album »Saturday Morning Pictures« (1971). 2. Die 4CD-Box »All In Your Mind: The Transatlantic Years 1970-74« (2017) bündelt alle fünf Alben von Transatlantic Records und ein gutes Dutzend Bonus-Titel. Die Doppeldecker: 3. Stray und Saturday Morning Pictures als »All In Your Mind« (1997: Recall), 4. Neuaufnahmen Live & Studio »Dangerous Games« (2001: Receiver Records), 5. 10 und Live: In Yer Face als »On Top Of The World« (2005: Ambitions), 6. New Dawn und Alive And Giggin’ (2010: Angel Air Records), 7. Drei Alben Dawn und Pye als »Fire & Glass The Pye Recordings 1975-1976« (2017: Esoteric Recordings) sind allesamt großartiges Rockfutter, aber eher was für die Komplettisten. Mein Album-Favorit ist wie bereits geschrieben nachfolgend auf Startplatz Eins in der Diskografie, die unbedingt notwendige DCD-Kompilation »Time Machine: Anthology 1970-1977«. Britisches Rock-Kulturgut !!
Bis heute ist Del Bromham mit seiner völlig unterbewerteten Band Stray unterwegs, spielt leider vorwiegend auf den großen Brexit-Inseln in der Nordsee. In einem sehr ausführlichen englischsprachigen Beitrag spricht Del von Gangster-Managern, Plage von sehr miesen Platten-Verträgen, durch Pech und eine verfluchte Karriere nur eine Fußnote in der Musikgeschichte, keine mit Gold & Platin Alben gepflasterte Wand, keine Galerie, Vitrine oder Regal mit Auszeichnungen, Pokale, Medallien. Sicher, das trifft auf die Mehrzahl der Bands zu, aber hier bei Stray trifft Derek den Nagel auf den Kopf. Und er spricht es aus, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, Chapeau !! So ist das in dieser skurillen Welt der Musikkultur, deshalb läuft dieser Beitrag nicht unter der Rubrik Tragische Rocker, denn das ist die noch härtere Realität der jetzigen Szene. Es gehen inzwischen einige Künstler (auch sehr bekannte) dazu über überhaupt keine physikalischen Alben mehr auf den Markt zu bringen. Wie armselig !! Ein Redakteur einer bekannten digitalen Plattform schrieb mir dazu sinngemäß: Solche Sachen rezensiere ich nicht, kein Art-Work, kein Büchlein mit Texten oder Informationen. Diese Verweigerung unterstütze ich einhundert Prozent. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter. Auch wenn das so einer Band wie bespielweise Stray leider nicht mehr so viel nutzt, ich werde meine Zeit lieber für Beiträge über die vergessenen Musiker nutzen. Hierbei ist der Rockzirkus die beste Plattform im deutsprachigen Raum, getragen von einem Kollektiv von ins alter gekommen Musik-Verrückten mit unterschiedlichen Werdegang, Vorlieben, Sichtweisen, Prägungen. Wir werden weiter rücksichtigslos die Schätze der rockigen Musikkultur und darüber hinaus heben. Viel Spaß beim heben der Perlen.
Weiterlesen RZ: Crow – Tomorrow – Budgie – Klingende Grüsse, Der SchoTTe
Diskografie Studio & Live: Chronologisch – Stray
- Stray – Transatlantic Records (1970)
- Suicide – Transatlantic Records (1971)
- Saturday Morning Pictures – Transatlantic Records (1971)
- Mudanzas – Transatlantic Records (1973)
- Move It – Transatlantic Records (1974)
- Stand Up And Be Counted – Dawn (1975)
- Houdini – Pye Records (1976)
- Hearts Of Fire – Pye Records (1976)
- Live At The Marquee – Gull (1984)
- Alive And Giggin’ – Mystic Records (1996) – Del Bromham’s Stray
- New Dawn – Mystic Records (1997)
- 10 – Mystic Records (2001)
- Live: In Yer Face – Mystic Records (2002)
- Valhalla – Angel Air Records (2008)
- Live In Japan 2013 – Angel Air Records (2014)
Nach Durchhören der ersten fünf Alben für Transatlantic Records war ich überrascht wie zeitlos die Musik von Stray heute noch klingt und für damalige Verhältnisse sehr gut produziert wurde. Beispielweise mein All-Time-Favorit Saturday Morning Pictures von 1971 mit breiten Rock-Spektrum: Blues, Country, Hard, Pop, Psych, Prog, alles dabei. Ebenso Slide-Gitarre, Geige, Congas, Harmonika, Synthesizer, mehrstimmiger Gesang und vokalen Unterstützung im Hintergrund (mit auch P. P. Arnold), Art-Work: Hipgnosis, Produzent: Martin Birch. Gleich mit Our Song ein tolles Intro, danach das dreiteilige After The Storm. Was ein Rhythmus-Monster, im ersten Teil ein Bass-Riff wie ein Hämmern auf einem Amboss, im Mittelteil startet er mit seiner Viersaitigen durch das Dach der Schmiede in den Orbit, das ist purer Rock’n’Roll mit Leidenschaft gespielt, ohne viele Haken und Ösen, so wollten das die jungen Rocker in den 70igern und das funktioniert nach über 50 Jahren immer noch genauso ekstatisch. Boooaahh, ich höre gerade All In Your Mind, Gary Giles setzt schon wieder zum Freiflug an, Wahnsinn !! Del wird von der Rhythmustruppe in Ektase gebracht. Wem da nicht der Rücken kribbelt hat zu viele Viren abbekommen. Das waren meine Helden neben den UK Big Four: Bloodrock, Budgie, Rare Bird, Stray, Ten Years After !! Bleibt auch 2022 weiter Heiter & Gesund, Rhythmische Grüsse, Der SchoTTe
Klar kenne ich Stray, als ich mit Gitarre anfing liess sich ausgezeichnet zu „All In Your Mind“ improvisieren, der Track (mit der leicht versetzten zweiten Drumspur) war dafür ähnlich gut geeignet wie Longtracks von Hawkwind und Man. Ich blieb der Truppe treu und organisierte mir in den Seventies alle Studioalben, spätestens mit der Landung von Punk und New Wave fanden die sich zu günstigen Preisen in den Grabbelkisten der Plattenläden. Das Riff von „Precious Love“ (auf der LP Stand Up And Be Counted) begleitet mich übrigens schon ewig, ein klasse Vehikel (in meiner Version leicht abgeändert) um auf’m Bass eine Jamsession anzureissen, die Drummer steigen meistens sofort drauf ein.
Der grosse Reinfall dann mit dem 84er-Comeback Live At The Marquee, die habe ich zwar noch eingelagert aber ewig nicht mehr gehört, ich habe schlechte Erinnerungen an die Platte. Später versöhnte ich mich mit Del Bromham, die CD Valhalla fand ich nicht schlecht.
Der mangelnde Erfolg von Stray lag bestimmt auch an den jeweiligen Plattenfirmen, bei Transatlantic waren sie hauptsächlich auf Folk spezialisiert. Um den Anschluss zur Konkurrenz nicht zu verpassen wurde irgendwann alles veröffentlicht was gerade aktuell schien, da litt ziemlich sicher die Ernsthaftigkeit der Promotion darunter. Und PYE hatte den Zenit längst überschritten, das Label war Mitte 70er ein Gemischtwarenladen in dem niemand mehr den Überblick hatte.
ROCK ON!
mellow