Toyah Willcox – Brit-Barden 2

Bunter Paradiesvogel sagen die einen, kreatives Chamäleon die anderen

Barbara & Beric – Um es gleich hier zu Beginn zu sagen, Toyah Ann Willcox ist kein Anhängsel von Robert Fripp, sondern eine Künstlerin die mit dem King-Crimson-Boss auf Augenhöhe steht. Damit ist dieses leidige, allgegenwärtige Thema abgehakt. Vater Beric Willcox führte eine erfolgreiche Tischlerei und besaß drei Fabriken, ihre Mutter Barbara Joy Rollinson war eine professionelle Tänzerin. Toyah hat die älteren Geschwister Nicola und Kim und das Talent der Mutter in die Wiege gelegt bekommen. Sie wuchs ohne Not sehr privilegiert auf, hatte aber gesundheitliche Probleme und frühes starkes Interesse an Musik, Tanz und Schauspiel. Der Paradiesvogel mit grell gefärbten Haaren wurde von der Punkbewegung angezogen, orientierte sich nach London um sich dort eine Karriere Bereich Schauspiel und Musik aufzubauen. Bedingt durch ein Engagement für »Tales From The Vienna Woods« (Figur: Emma) am National Theatre zieht Toyah 1977 nach London und startete dort auch ihre parallele Musik-Karriere. Ein leuchtender Stern am Kulturhimmel beginnt seinen langen und erfolgreichen Weg.

I Was A Teenage Toyah Fan

Ann & Adam – In der Punk-Verfilmung Jubilee spielte die damals 20-jährige Schauspielerin Toyah Ann Willcox an der Seite des britischen Sängers und Musikers Adam Ant (Stuart Leslie Goddard), der ist von 1977 bis 1982 Frontmann der Punker und New-Waver Adam & The Ants, die Hauptrolle Mad. Ann und Adam arbeiteten auch kurz im Punk-Projekt Maneaters zusammen und veröffentlichen zwei Singles bei Polydor. Deshalb, aber auch wegen ihrer Bandgründung, konnte sich Toyah Ann die Rollen im Bereich Musik nun aussuchen. Die Figur Monkey im Film »Quadrophenia« (1979) der Skandal-Rocker The Who ist ihr praktisch auf den Leib geschnitten, sie beendete die Dreharbeiten sogar trotz einer Lungenentzündung. Hier gibt es auch ein Wiedersehen mit dem »Glitter«-Kollegen Phil Daniels (hat auch eine Rolle im Film »Free Rock And Roll« mit The Alarm, mit ihm an Gitarre hatte sie dort ihre akustische Ballade »Floating Free« präsentiert), der in der Rocker-Mod-Geschichte auch eine gewichtige Rolle als Jimmy bei den Rollerfahrern hatte. Ebenso ist dort eine andere Hauptrolle vom jungen Polizei-Punker Sting sehr gut besetzt und souverän gespielt. Die Geschichte »The Great Rock ’n‘ Roll Swindle« der Sex Pistols fiel dann aber später bei Toyah durch. So ging es kontinuierlich Schlag auf Schlag, wie sie selbst sagt, in ihrem höher intellektuellen Broterwerb, bis heute weiter. Die musikalische Karriere bezeichnete sie selbst als Nebenerwerb. Schön wenn man so etwas als Künstler sagen kann. Ich kenne genügend Musiker die trotz überregionalen Erfolgen und guten Verkaufszahlen, diese Kunst nur als Zubrot und Hobby betreiben. In diesem Zusammenhang drängt sich tatsächlich der Begriff Brotlos (nicht niveaulos) auf. Im Frühjahr 1980 hilft Toyah auch beim Live-Projekt The Stranglers And Friends aus (»Live In Concert«, VÖ 1995 bei Receiver Records), als Sänger und Gitarrist Hugh Alan Cornwell wegen Drogendelikten im Gefängnis sitzt. Weitere beteiligte prominente Gäste sind: Phil Daniels, Robert Smith (The Cure), Hazel O’Connor, Peter Hammill (VDGG), Wilko Johnson (Dr. Feelgood), Nik Turner (Hawkwind), Ian Dury, Larry Wallis (The Pink Fairies, Motörhead), Steve Hillage (Gong, System 7), Jake Burns (Stiff Little Fingers) und natürlich Robert Fripp. Ein Staraufgebot wie beim Projekt Green Bullfrog.

Toyah Willcox: Promo_1

Toyah Willcox: Promo_2

Toyah Willcox: Promo_3

Toyah & Safari – Wer so eine Bombe als Frontfrau hat, bräuchte sich um seine Karriere keine Sorgen mehr machen. Voraussetzung: er kann ein Instrument einigermaßen spielen, aber etwas besser als die Ramones. Inspiriert von ihrer ersten Rolle als Musikerin in »Glitter« (BBC-Serie »Second City Firsts«), gründete sie als Frontfrau früh die Band Toyah mit Joel Bogen (Gitarre), Mark Henry (Bass), Steve Bray (Schlagzeug), Peter Bush (Keyboards). Sie lebte im Mayhem, einem umgebauten Lagerhaus der British Rail, das auch nebenbei als Studio diente. Dort entstanden die ersten Demos. Safari Records war durch die filmischen Darbietungen auf den Paradiesvogel aufmerksam geworden, die Debüt-Single »Victims Of The Riddle« wird veröffentlicht und erobert die Indie-Charts. Es folgte sofort die 6-Titel-EP »Sheep Farming In Barnet« (SAP 1) sowie die gleichnamige LP bei Safari Records. Die Nachfolger »The Blue Meaning« (1980) und dem Schachtruf der Japaner über Pearl Harbour »Toyah! Toyah! Toyah!« (Live Lafayette Club, Wolverhampton) festigten den Status der Punk-Lady. Für »Anthem« (1981) mit Phil Spalding, Nigel Glocker und Adrian Lee Umbau der Band, nur Gitarrist Joel und Toyah bleiben die Konstanten. Die Strategie der Band auf halbe Alben (sprich EP) zu setzen, ist sehr erfolgreich. 1982 wieder einen Doppelschlag mit Doppel-Vinyl »Warrior Rock: Toyah On Tour« und dem düsteren »The Changeling« sowie dann mit poppigen, schnörkellosen, melodisch erstklassigen »Love Is The Law« (vorher eher mystisch, schräg, experimentell, oft Soundspielereien) ist dann 1983 mit der Toyah-Band und Wegbegleiter Joel Bogen Schluss. Toyah ist 1983 vor allem stark mit ihrer schauspielerischen Karriere beschäftigt (Film »The Ebony Tower« und Hauptrolle Bühnenstück »Trafford Tanzi«), die Nachtschichten im Studio bringen dennoch ein schlüssiges und fesselndes Album. Trotzdem die glücklichste Zeit ihres Lebens, wie sie selbst sagt. Toyah Willcox veröffentlichte 1985 das Solo-Album »Minx« bei Portrait Records (EG) mit mehreren exquisiten Cover-Versionen (Alice Cooper, Rare Bird, Latin Quarter, etc.), sowie bei Safari Records das Werk »Mayhem« mit unveröffentlichten Material aus den vollen Archiven. Die damalige Vinylausgabe beinhaltete ein umfangreiches, großformatiges Begleitheft mit vielen S/W-Fotos. Ein würdiger Abschluss des ersten Karriereabschnittes.

Sheep Farming & Blue M 79/80

Toyah: Anthem (1981)

Love Is The Law (1983)

Willcox Solo – Nach dem 85er-Cover-Album war leider »Desire« (1987) weniger erfolgreich, 1988 dann mit dem experimentellen Konzept-Album »Prostitute« (EG Records) fast eine Provokation. Ein Album mit dem Toyah Willcox ihrem Frust etwas Luft machte, der sich aufgrund des Wandels von der omnipräsenten, fast allmächtig scheinenden Künstlerin zur unsichtbaren Frau in nur einem 1-jähriger Ehe vollzogen hatte. Robert Fripp begleitete seine Frau 1991 auf ihrem Album »Ophelia’s Shadow« (1991), das zusammen mit »Dreamchild« (1994) wieder ansprechende Kritiken erhielt. Für das Pop-Rock-Album »Take The Leap« (1993) trommelte Toyah Ann wieder ihre Punk-Kumpels Joel Bogen, Steve Bray, Peter Bush, Nigel Glocker, Adrian Lee und viele weitere Weggefährten zusammen. 1996 veröffentlichte Toyah »The Acoustic Album« bei Aardvark Records, mit Streichern des Royal Philharmonic Orchestra und produziert von Oliver Davis. Das Corona-Werk »Posh Pop« (08-2021) entstand in Zusammenarbeit mit dem Multi-Instrumentalisten und Band-Weggefährten Simon Darlow. Der ist auch meist der dritte Komiker, der bei den Video-VÖ von »Toyah & Robert’s Sunday Lunch« dabei ist.

The Changeling (1982)

The Acoustic Album (1995)

In The Court OT Crimson Queen

Sunday All Over The World – Eine Zusammenarbeit von Paul Beavis, Robert Fripp, Toyah Willcox, Trey Gunn von 1988 bis 1991. Der ursprüngliche Bandname war Fripp Fripp. Die Vier tourten 1988 zuerst unter diesem Namen, nach Umbenennung zu Sunday All Over The World dann noch einmal 1989. Das einzige sehr beachtete Album »Kneeling At The Shrine« erscheint 1991, danach ist schon Schluss. Ein fantastisches Album mit den King Crimson Mastermind Robert Fripp und seiner Künstler-Ehefrau Toyah Willcox. Eine hervorragende Band, visionäre Klangbilder und beherzte Kompositionen, reichen aber manchmal nicht. Alles wohl aber zu elitär für die damalige Zeit. Dieses Projekt namens Sunday All Over The World mit ihrem bisher leider einzigen, erstaunlichen und hörenswerten Album Kneeling At The Shrine, hätte eine längere Halbwertzeit gutgetan. Ein sehr gutes zeitloses Musikwerk. Toyah hatte wohl nun Geschmack auf experimentelle Arbeiten bekommen, arbeitete deshalb wohl auch bei dem Projekt Kiss Of Reality (K.O.R.) des australischen Gitarrist David Pittaway (Robert Fripp & The League Of Crafty Guitarists) mit. Bei dem einzigen selbstbetitelten Album (M+D Records), aufgenommen im April und Mai 1993 in Berlin, übernahm die britische Künstlerin Texte und Gesang.

Kneeling At The Shrine (1991)

Kiss Of Reality (1993: K.O.R.)

Noise In Your Head Box (2020)

The Humans – Zusammen mit Multi-Instrumentalist Bill Rieflin (The Blackouts, Ministry, King Crimson, REM, The Revolting Cocks, Lard, KMFDM, Pigface, Swans, Chris Connelly, Nine Inch Nails) aus der Seattle-Szene und Chris Wong, formiert Toyah das Trio The Humans 2007. Der Grund war auch die Geburtstagsfeier von Toomas Hendrik Ilves (Präsident von Estland), dort ist Toyah und Robert sehr beliebt. Ihren Stil beschreibt die Gruppe als „European Experimental meets West Coast American Grunge.“ Das Gesamtwerk, »We Are The Humans« (2009), »Sugar Rush« (2011), »Live At Scala London« (2013), »Strange Tales« (2014), plus Bonusmaterial ist in der üppigen 4CD-DVD-Box »Noise In Your Head« (2020) zusammengefasst. Edel-Helfer war in der Zeit wie so oft Robert Fripp. Musik im Grenzbereich, so wie man sie von vielen Projekten im Dunstkreis King Crimson kennt. Die poppigen The Buggles (Geoff Downes, Trevor Horn) treffen auf sperrige Japan von David Sylvian.

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Toyah: Posh Pop (08-2021)

Filme, Schauspiel & Serien – Einige ihrer ersten Rollen waren neben Katharine Hepburn im George-Cukor-Film »Das Korn Ist Grün« und neben Sting in der Verfilmung des Musicals »Quadrophenia« von The Who. 1979 spielte sie die Miranda in Derek Jarmans Fassung von Shakespeares »Der Sturm«. Weitere Rollen waren neben David Hemmings in einer Neuverfilmung von »Dr. Jekyll und Mr. Hyde« und neben Laurence Olivier in »Ebony Tower«. In den 1990er und frühen 2000er Jahren war sie Synchronstimme eines der Teletubbies in der britischen Originalversion der gleichnamigen Fernsehserie für Vorschulkinder und sie wirkte bei der zweiten Staffel der britischen Version von Ich bin ein Star – Holt mich hier raus! mit. Im Londoner West End stand sie 1987 in »Cabaret« auf der Bühne. Das ist nur eine kleine Auswahl ihrer Aktivitäten als Schauspielerin.

Toyah Willcox: Promo_5

Toyah Willcox: Promo_6

Bücher & Literatur – Toyah ist ein echtes Arbeitstier, erst mal im Bereich Musik als Komponistin, Vokalistin, Instrumentalistin in den verschiedensten Projekten, dann als Schauspielerin in Filmen und auf Theater-Bühnen, aber auch als Synchron-Sprecherin und Buch-Autorin. Mit »Living Out Loud« (2000, Hodder & Stoughton Ltd, 304 Seiten) wird hier die Lebensgeschichte und das unglaubliche Phänomen der Rock-Elfe Toyah Willcox von Kindheit und Schulzeit, über Karriere als Künstler, Drogen-Sub-Kultur bis zur Liebe und Heirat aus der Sicht der Autorin beschrieben und ehrlich dargestellt. Eine lange, einsame, oft unverstandene Reise über Jahrzehnte. Auch das Dauerthema Medienwelt, sie bestätigt mit ihren negativen Erkenntnissen nur was ich sowieso schon immer über die Mafia propagiere, wird ausgiebig mit Details ausgewalzt, allein dafür lohnt die Anschaffung. Weiter mit »Diary Of A Facelift« (2005, Michael O’Mara, Books Ltd, 240 Seiten), da beschreibt die prominente Autorin mutig, offen, detailliert ihren Weg durch den eigenen Prozess ihre Schönheit chirurgisch zu behalten und/oder zu verbessern. Dabei lässt sie fast nichts aus, von der Entscheidung es zu machen, über was muss gemacht werden, suche nach der richtigen Praxis/Klinik, die nervenaufreibende Wartezeit vorher und nachher, die Operation selbst, die Genesung und Nachsorge, bis man dann das Ergebnis sehen kann. Das alles hat Toyah selbst durchgemacht und überraschend auch sehr ehrlich, tapfer, gelegentlich grausam, oft auch mit sehr viel Humor dargelegt. Toyah lüftet damit etwas den Schleier über diesem unangenehmen aber auch brandheißen Thema. Sie gibt damit auch Einblicke in die scheinheilige Frauen-Welt des 21-Jahrhunderts. Weiterhin erwähnenswert sind noch zwei Bücher über Toyah Willcox, »Toyah« (1982, Bev Gilligan) und »I Was A Teenage Toyah Fan« (2011, Chris Limb).

Official Toyah Special (1984)

Diary Of A Facelift (2000)

Living Our Loud (2005)

Wer sich weiter für Personen-Themen interessiert, folgt den Weiterleitungen unten:

Weiterlesen RZ: US-Rock-CowboysBrit-BardenFast Vergessene Seelen

Wer sich weiter für die tragischen Rocker interessiert, folgt der Weiterleitung unten:

Weiterlesen RZ: Tragische Rocker – Rhythmische Grüsse, Der SchoTTe

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2 Kommentare

  1. Es ist schön zu wissen das es immer noch Musikfans gibt, die 1. Toyah kennen, 2. Ihre Arbeiten schätzen, 3. So einen langen Beitrag gewissenhaft lesen. Der junge Polizei-Punker Sting bezog sich auf Frontmann von Police. Sting habe ich 1978 mit Eberhard Schoener im Planetarium Bochum und das Trio dann 1981 auf der ersten großen Welt-Tour Live erlebt, Hammer was drei Leute auf der Bühne für Druck machen können. Sting spielt im Film Quadrophenia den Mod und Hotel-Pagen Ace. Ich habe den betreffenden Absatz noch einmal überarbeitet, nun zusätzlich das Punk-Projekt Maneaters (mit Adam Ant) und Live-Projekt The Stranglers And Friends ergänzt. Wer Toyah & Rob mal aktuell in Aktion erleben will: toyah and robert fripp sunday lunch auf einer bekannten Video-Plattform besuchen. Bleibt weiter Heiter & Gesund, Rhythmische Grüsse, Der SchoTTe

  2. Wow! DAS war mal richtig interessant! Alles neu. Soviel gibt es zu Toyah? Mit Robert Fripp ist die liiert? Thanx für DIE Recherche!
    Bisher war sie für mich so eine schnell Verschwundene. Nach dem kleinen Hit „I wanna be free“ (Musikladen; Radio Bremen; irgendwann anfang der 80er)kam per Radio nicht mehr viel durch.
    „It’s a mystery“ war „Halb-Hit“ Nr.2; der es auch via Äther in den Osten schaffte.
    Und an LPs war ja hinter der Mauer gleich gar nicht zu denken, weil die Omas, die Westreisen unternehmen durften, ihren Enkeln dann eher die GROßEN NAMEN mitbrachten. Und Toyah – war keiner.
    War deshalb schon Musikarchäologe, weil ich wenigstens noch „Dance!“ und „Good Morning Universe“ per Radiomitschnitt erbeuten konnte. Aber darüberhinaus ruhte der See.
    (Kleiner Klugschiss am Rande: Quadrophenia-Film – Polizei-Sting? War der nicht Hotel-Liftboy?)

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