Großer Komponist, Solist, Bandformer verlässt 2021 die Bühnen dieser Welt
Solche Ereignisse sind leider normal, im Moment während der COVID19-Pandemie sowieso. Und diesmal ist es ein US-Künstler, Komponist, Pianist, einer der ganz großen Jazz-Rocker des 20-Jahrhundert, Armando Anthony „Chick“ Corea ist am 09. Februar 2021 kurz vor seinem 80igsten Lebensjahr verstorben. Leider wieder mal ein ungünstiger Zeitpunkt für eine kurze Karriereübersicht es Jazz-Musikers der in einem Atemzug mit Miles Davis, John Coltrane, Keith Jarrett, Herbie Hancock genannt werden muss. In nur zwei Jahren spielt er mit Miles Davis zwischen 1968 und seinem Ausstieg 1970 die Klassiker »Filles De Kilimanjaro«, »In A Silent Way«, »Bitches Brew« und zwei weitere Live-Alben ein. Danach formierte Chick Corea sein eigenes Quartett und gründete schon 1971 mit Dicke-Saiten-Wizard Stanley Clarke, Saxophonist Joe Farrell, Schlagzeuger Airto Moreira sowie seiner Frau Flora Purim (Gesang), die Gruppe Return To Forever (RTF). Schon 1972 nahm diese Fusion-Formation das überragende selbstbetitelte Debüt auf. Kurz danach nahm diese Allstar-Band zusammen mit Saxophonist Stan Getz dessen ebenso exzellentes Instrumental-Album »Captain Marvel« (1975) auf. Schon mit dem zweiten RTF-Album »Light As A Feather« hatte Corea sich in nur fünf Jahren in einen Legenden-Status gebracht. Das war sicher nicht sein alleiniger Verdienst, denn er hat zu dieser Zeit, aber auch später von 1986 bis 2006 in der Elektric Band, mit den absolut besten Fusion-Musikern der weltweiten Szene gearbeitet und seine enorme Kreativität brachte diese Kollektive immer zu Höchstleistungen und damit zu Unsterblichkeit. Zumindest in der Jazz-Musikgeschichte und damit schließt sich hier der Kreis. RIP oder Ruhe in Frieden meisterhafter US-Piano-Man aus Massachusetts an der Atlantik-Küste.
Eine Zeit lang lagen auf meinen verschiedenen Thorens Vinyl-Abspielgeräten fast ausschließlich Alben der Labels Blue Note, Columbia, CTI, ECM, Enja, und Verve auf. Natürlich auch das volle Programm von allen in diesem Beitrag genannten Fusion-Zauberern und unzählige mehr. Allein die genannten Alben von Chick Corea Solo, im Gruppengefüge und mit Return To Forever sind allesamt Meilensteine des modernen Jazz-Rock. Allein zu diesem großen Themakreis modernen Jazz gäbe es sicher 100 Beiträge zu schreiben. Jeder aufgeschlossene Rockfan, besonders auch der noch keine oder wenig Berührung mit Jazz-Rock und Fusion hatte, sollte hier bei Chick Corea, und weiter beim Bassist Stanley Clarke: »Journey To Love«, Schlagwerker Lenny White: »Venusian Summer«, Saitenzauberer Al Di Meola: »Land Of The Midnight Sun«, Violinist Jean-Luc Ponty: »Enigmatic Ocean«, Flügelhorn Chuck Mangione: »Children Of Sanchez« mal reinhören, suchtpotenzial. Nachfolgend sind aber weitere exemplarische Beispiele für die kompositorisch sehr erfolgreiche Phase dieses Komponisten, Pianisten und Grenzgänger Chick Corea.
Return To Forever – Nach seiner kurzen Zeit mit Miles Davis und seinen folgenden immer einfallsreicheren Alben, konnte man durchaus mit weiteren interessanten VÖ von Chick Corea rechnen, aber kaum einer hat mit so einem atemberaubenden, stilbildenden Album dieser besonderen Art gerechnet. Jedoch das feine Münchener Label ECM hatte gleich mit seiner 22igsten VÖ den Weg für so eine World-Jazz-Granate geebnet. Schon mit dem Trio-Album »A.R.C.« im Verbund Chick Corea, David Holland, Barry Altschul (ECM 1009) und den beiden schönen Solo-Alben »Piano Improvisations Volume 1« (ECM 1014) und »Piano Improvisations Volume 2« (ECM 1020) hatte Chick Corea hier schon innerhalb von nur einem Jahr mächtig vorgelegt. Dann kommt ein Meisterstück welches in der damaligen Zeit in jeder Hinsicht Maßstabe setzt, ein bedeutendes Jazz-Rock-Album für die Ewigkeit. Das als Solo-Album angelegte »Return To Forever« (ECM 1022) kommt 1972 dem Aufbau der Miles Davis Projekte dieser Zeit sehr nahe.
Der junge Band-Chef lässt den Mitspielern viel Spiel-Raum und damit ist trotz durchgängigen facettenreichen nuancierten Band-Sound immer die Individualität spürbar und gegeben. Jedoch ist die musikalische Ausrichtung diesmal elektrischer, hauptsächlich mit E-Piano, E-Bass, aber auch mit perlender, brasilianischer Perkussion und einer allzeit guten Balance und anhaltenden Wärme. Stanley Clarke, einer der beständigsten musikalischen Partner von Corea, hat hier seinen ersten richtig großen Auftritt an verschiedenen Bässen und mit dem großartigen jung verstorbenen Joe Farrell an Flöten und Sopran-Saxophon ist ein weiteres Schwergewicht der US-Fusion-Szene dabei. Der Clou ist aber diesmal das brasilianische Ehepaar Flora Purim, sie bereichert mit ihrer dynamischen vokalen Akrobatik zwischen flüstern und kreischen und Airto Moreira, der mit Latino-Schlagzeug und Perkussion besonders stark die Latino-Akzente einbringt. Aktuell ist von diesem Duo »Live At Jazzfest Bremen 1988« erschienen. Das homogene Zusammenspiel in den nur vier Titeln des Debüts, »Sometime Ago – La Fiesta« füllt eine ganze LP-Seite, aufgenommen am 2. und 3. Februar 1972 im A & R Studios in New York City (siehe auch Album-Titel »A.R.C.«), wahrlich magisch, die individuellen Charaktere einfach großartig. Auch die Lyrik von Neville Potter (auch bei »Light As A Feather«) und die Produktion von Manfred Eicher fallen hier nicht ab und müssen auch nachdrücklich erwähnt werden. Das Album und der titelgebende Track »Return To Forever« sind damit einzigartig im Lebenswerk von Chick Corea, aber dennoch auch ein gutes und naheliegendes Verbindungsstück zwischen dem Solo-Corea vorher und seinen nächsten starken Fusion-Alben. Absolut höchste Empfehlungsstufe für diese exzellente Mucke !!
Light As A Feather – Schon Anfang Oktober 1972 geht es weiter, aber diesmal mit Polydor ein neues Label, mit I.B.C. Sound Recording Studios, London ein neuer Aufnahmeort. Die fünf Musiker sind wie beim Debüt in Höchstform. Allein mit den sechs Stücke des originalen Albums »Light As A Feather« (1973) knüpfen sie qualitativ nahtlos an den Vorgänger an. Aber es ist auch, absolut nicht zum Nachteil, die Weiterentwicklung der Band und ein anderer Produzent deutlich spürbar. In der limitierten Wieder-Veröffentlichung als Doppel-CD (1998: Verve Master Edition) sind sehr viele Aufnahmen vom 08. und 15. Oktober 1972 zusammengefasst. Für echte Liebhaber sind die zehn Bonus-Titel, mit »Matrix« und »What Games Shall We Play Today?« aber nur zwei neue vormals unveröffentlichte Kompositionen, ein Muss. Die beiden Titel »Captain Marvel« und »500 Miles High« werden später im Stan-Getz-Album »Captain Marvel« (1975) als Instrumentals noch einmal aufgefrischt reaktiviert. Für Fans dieser modernen Jazz-Musik reicht das reguläre Album mit seinen sechs Stücken von 1973, das damit tatsächlich meines Erachtens die magischsten Momente dieser zwei Sessions abbildet.
The Mothership Returns – Chick Corea, Frank Gambale (Gitarren), Jean-Luc Ponty (Violine), Lenny White (Schlagzeug), natürlich wieder Stanley Clarke treffen sich, um 2012 dieses wunderbare Doppel-Album für Eagle Records einzuspielen. Wer das Glück hat die Limited Edition zu besitzen oder noch zu bekommen, kann auf der DVD tief eintauchen in die Welt von Return To Forever. Warum so ein großer Sprung ?? Ganz einfach, allein die Werkschau von Return To Forever würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen, von allen Aben an denen Chick dabei war mal abgesehen. Deshalb hier konzentriert nur die Muss-Man-Haben-Alben. Auf diesem Doppeldecker sind neun Kompositionen der legendären Formation im frischen Gewand neu eingespielt. Für Hardcore-Fans bringt natürlich die 65-minütige Dokumentation »Inside The Music« und der kurze Trailer »The Story Of Return To Forever« sehr interessante tiefe Einblicke. In der Zusammenarbeit mit Eagle Vision ist auch noch der Video-Mitschnitt »Returns Live At Montreux 2008« entstanden. Aufgenommen wurde am 18. Juli 2008 im Stravinski Auditorium beim berühmten Montreux Jazz Festival (CH) und Bonus-Material (5 Titel) gibt es auch noch vom Auftritt in der Ruth Eckerd Hall, Clearwater, Florida (US) 31. Juli 2008 obendrauf. Das alles auch in HD-Qualität auf Blue-Ray-Scheibe. Würde ich mir einen Warenkorb von den Fusion-Amis zusammenstellen, wären mindestens diese vier Leckereien darin. Und was hat der SchoTTe wohl alles in seiner Fusion-Kiste, ihr könnt ja mal raten.
Es gibt aus dieser Zeit noch eine Menge weiterer unglaublich spannende musikalische Label übergreifende Projekte, beispielsweise bei ECM/Enja mit den Norwegern Jan Garbarek (gerade wieder mal ein Werk vom Saxophon-Bläser preiswert abgeschoTTeT) und dem Landsmann Terje Rypdal, den US-Gitarristen John Abercrombie (08-2017 verstorben), Pat Metheny, Ralph Towner (siehe sein Porträt, Beitrag: Oregon-Solstice-Codona) und Steve Tibbetts sowie vielen anderen interessanten Künstlern aus der ganzen Welt. Ein großes musikalisches Areal das man auch mal näher unter die Lupe nehmen müsste und nehmen wird, versprochen !!
Weiterlesen RZ: Oregon-Solstice-Codona – Klingende Grüsse, egal wo Folks, Der SchoTTe