Wer ist in diesem Quartett eigentlich Schwer und wer das Leichtgewicht
Für mich gehört David Bowie zu den etwas überbewerteten Künstlern, wie viele andere die zufällig und mit Glück in das Rampenlicht geraten sind und auch lange dortbleiben. Dennoch hatte er zwei großartige Phasen für die er Schulterklopfen verdient, seine Berlin-Trilogie und Tin Machine. Eine recht unbekannte Band, die aber bei vielen Fachkundigen einen positiven Eindruck hinterlassen hat und die in der Rubrik Supergroups geführt wird. Auf David Robert Jones alias Rock-Chamäleon David Bowie als Pop-Rock Künstler möchte ich hier erst mal nicht näher eingehen. Grund: Über den TM-Frontmann David Bowie (Gesang, Gitarre, Piano, Saxophon) ist praktisch alles was vor seiner Geburt, während seines Lebens und nach seinem Tod im Januar 2016 zu berichten gab/gibt schon x-mal in allen Schattierungen und in aller Ausführlichkeit berichtet worden und kann in vielen Büchern, Magazinen, digitalen Beiträgen nachverfolgt werden. Über die anderen drei guten US-amerikanischen Mitmusizierenden die Brüder Hunt Sales (Gesang, Schlagzeug, Perkussion) und Tony Fox Sales (Bass, Back-Gesang), Söhne vom US-Komiker Soupy Sales, sowie Reeves Gabrels (Gitarren, Orgel, Back-Gesang), dagegen ist nicht so viel bekannt. Formationen bei denen alle Bandmitglieder auch singen, sind natürlich vom Gesang abwechslungsreicher. Wenn es dann auch noch zwei Hauptstimmen gibt, ist es noch klangfroher. Die Bandmitglieder fanden 1988 zusammen, offiziell gegründet wurde dann Anfang 1989.
Wer den RZ-Beitrag über den US-Gitarristen Bob Welch & Paris genau gelesen hat, wird sich an die Brüder Hunt & Tony Sales erinnern. Sie waren die Rhythmustruppe bei den Meisterwerken des US-Gitarristen Bob Welsh. Die Hunt-Brüder spielen routiniert und wie aus einem Guss, alle Songs bekommen so ein stabiles Fundament. Die Überraschung ist Reeves Gabrels, unglaublich welche Sounds dieser Mann aus seinem Instrument herausholt, er sorgt so auch am ehesten für proggige Momente. Reeves ist nach Tin Machine lange ein musikalischer Wegbegleiter von David Bowie geblieben. Und über die gesangliche Qualität von David Bowie muss nicht viel gesagt werden, wobei er in dieser Formation zu Höchstform aufläuft, ein Bowie als echter Hard-Rock-Shouter. Er ist aber auch an den Instrumenten Gitarre, Piano und Saxophon ein kollegiales und vollwertiges Mitglied. Dass das Vertrauen in David’s Songwriting, nach dem in dieser Hinsicht sehr schwachen »Never Let Me Down« (1987), nicht mehr allzu groß war, mag der eine Beweggrund gewesen sein, warum er den nächsten Karriereschritt als Mitglied in einer Rock-Band machte. Die folgenden drei Rock-Alben mit ihm haben es aber wieder in sich und durchaus auch verdient, einfach als Werk der Gruppe Tin Machine bewertet zu werden, und nicht immer nur im Hinblick auf Meister Bowie.
Folgendes ist hierzu auch noch zu erwähnen. Tim Palmer war immer maßgeblich am fetten Sound des Quartetts beteiligt, als Produzent, Gast-Musiker und am Mischpult. David und er blieben sich treu und Tim schmiedete später auch immer wieder das Eisen bei verschiedenen Pop-Perlen des Berlin-Liebhabers David. Weiterhin unterstützte der Britische Multi-Instrumentalist Kevin Armstrong auf den beiden Studio-Alben und auf der ersten Tour (siehe »Live At La Cigale Paris, 25th June, 1989«) sowie US-Gitarrist Eric Schermerhorn auf Tour 2 (siehe »Live: Oy Vey Baby«).
Ihr Debüt-Album »Tin Machine« (1989) erreichte in UK Position 3, in Deutschland immerhin noch Position 13 (AT #19, US #28). Damals fand ich das Debüt nicht so besonders herausragend, aber heute mit größerem Abstand höre und sehe ich die Qualität dieses Quartetts in einem ganz veränderten Licht. Wenn man das sonstige Material von Bowie kennt, geht es hier schon schonungsloser zur Sache. Die harte Rocknummer »Heaven’s In Here«, mit einem genialen Riff, ist ein toller Song gleich zum Einstieg. Auf gleichem Niveau sind meiner Meinung nach auch das gradlinige »Crack City«, sowie das sehr melodische »Under The God«, beides Bowie Kompositionen. Auch »Prisoner Of Love« ist kein Mittelmaß. »Tin Machine« und »I Can’t Read« fallen etwas ab sind ebenfalls noch auf hohen Niveau. Auf der zweiten Hälfte finden sich eher Durchschnittsnummern, wobei alle Titel weiter ziemlich abwechslungsreich gestaltet und hörenswert sind. Etwas irritierend war für mich damals das John-Lennon-Cover »Working Class Hero«, ein toller Song der aber anderen Helden der Arbeiterklasse, zu denen gehören sicher Hunt, Tony und Reeves, viel besser zu Gesicht steht und auch von denen besser interpretiert wurde als vom aristokratisch wirkenden Glam-Boy David. Beispielweise 10 Jahre vorher von Marianne Faithfull auf ihrem Solo-Album »Broken English« (1979). Was dieses Album aber aus der Sicht von heute so wertvoll und beachtenswert macht, ist ein letztmalig in seiner Karriere entfesselter David Bowie in einer echten, rauen TOP-Band. Tin Machine waren ihrer Zeit um einige Jahre voraus, noch weit vor der Grunge Welle und alternativen Rock lieferte dieser rockige Vierer hier eine Vorlage für sich erst später etablierende Rockströmungen. Aus dieser Sicht funkelt nun diese ungewöhnliche Version des Lennon-Klassikers Working Class Hero dennoch in einem ganz anderen Licht. Auch andere große Stars haben immer mal solche Phasen gehabt, sich kompromiss- und grenzenlos ausgelebt. Beispiele dazu möchte ich mir wie immer ersparen.
Mit ihrem zweiten Studio-Album »Tin Machine II« (1991, Victory Music) hatte das Quartett nur mäßigen Erfolg (UK #23, US #126, AT #25, DE #56). Es spaltet die Kritiker in zwei Lager, Befürworter und Bemängeler. Wertfrei würde ich sagen, in der Gesamtheit ähnlich gut aber doch ein wenig glatt polierter als der Vorgänger. Die Texte sind fast ausschließlich von Bowie, die Musik ist meist von Bowie/Gabrels. Eine Ausnahme bildet der Hunt Sales Song »Sorry«, ein eher ruhiges Stück von guter Qualität, die beiden Sales-Brüder bildeten ja die andere rhythmische Hälfte der Gruppe. Aus dem Album wurden die Singles »You Belong In Rock’n’Roll«, »Baby Universal« und »One Shot« erfolgreich ausgekoppelt. Den Titel »Baby Universal« hatte Bowie dann noch einmal 1996 für sein Album »Earthling« (1997) neu aufgenommen, später aber nicht darauf veröffentlicht. Er wurde schließlich erst im Jahr 2020 für die Bowie EP »Is It Any Wonder?« verwendet.
Der Namenstitel für das Livealbum »Live – Oy Vey Baby: Live In Hamburg« (1991) ist wohl aus einem Wortspiel entstanden und angelehnt an das Erfolgsalbum »Achtung Baby« von den irischen Kollegen U2. Diese Idee stammte von Schlagmann Hunt Sales. Als David Bowie ab 1992 an seinem Solo-Album »Black Tie, White Noise« arbeitete, verlor er etwas das Interesse an hartrockiger Musik, die Band hörte dann auf zu existieren. Auch die Planungen für ein zweites Live-Album, das den Namen »Use Your Wallet« tragen sollte, wurden schnell wegen fehlenden Erfolg und Rückzug von Bowie beiseitegelegt. Die Messlatte war sehr hoch gelegt, die vier Artisten übertrafen sie aber locker. Aber ohne den kreativen und charismatischen Frontmann war es tatsächlich dann Unsinn in diesem Projekt weiter zu machen. Trotzdem: Ein schönes Bühnen-Dokument zum Abschluss der kurzen Karriere von Tin Machine. Für Fans und Sammler ist das Live-Album ohnehin ein Muss, aber auch für alle anderen durchaus hörenswert. Kleine Anekdote am Rande: Genervt von der ständigen unverhältnismäßigen Ablehnung und teilweise unqualifizierter negativer Kritik an seiner Rock-Band hatte David Bowie für diese Tour spezielle T-Shirts mit der Aufschrift F*** You – I LOVE Tin Machine bedrucken lassen, welche von den Roadies, teilweise auch von Bowie selbst, getragen wurden. That’s really Rock’n’Roll !!
Manchmal wundert man sich, das brauchbares und gutes Material Jahrzehnte lang in irgendwelchen Archiven vergessen schlummern, schlimmer noch unbeachtet und nicht gesichtet verstauben oder vergammeln, oft niemals veröffentlicht werden. Klar, es gibt meist zeitliche, qualitative, rechtliche, strategische, Marketing, sonstige und teils auch unwichtige Gründe, das von Fans gewünschtes und geschätztes Material nicht veröffentlicht wird. Das fördert natürlich die Bootleg-Szene, der Konsument bekommt dann sehr oft mieses Material, was weder dem Künstler, offiziellen Musikfirmen, Musik-Liebhaber etwas bringt und nur die Taschen von dubiosen Händlern füllt. Zu diesem Thema wurde ja kürzlich schon im Rockzirkus beim Beitrag Audio Vaults leidenschaftlich diskutiert. Noch einmal deutlich der allstimmige Rockzirkus-Appell an alle Musik-Fans: Kauft Originale, am besten beim Künstlern selbst !! Auch bei dem kürzlich pünktlich zum dreißigjährigen Jubiläum als Download VÖ »Live At La Cigale Paris, 25th June, 1989« (2019) ist es vermutlich David gewesen der nicht gewollt hat, dass seine leibhaftige Mitarbeit bei Tin Machine weiter breit in die Öffentlichkeit gelangt. Das ist aber nur gemutmaßt, aber wer die Geschichte von David Bowie etwas näher kennt, der wird mir eventuell zustimmen. Auch schon das zweite offizielle Live-Album (Arbeits-Titel: Use Your Wallet) verschwand leider schnell in den Archiven und aus den Köpfen der Musik-Maschinerie. Beim La Cigale Mitschnitt verbeugt sich die Band mit »Working Class Hero« und »Maggie’s Farm« von zwei ganz großen Helden der populären Rock-Musik. Ihr dürft gerne raten wer gemeint ist. Die restlichen sechs weiteren Titel sind vom Debüt-Album und einer B-Seite einer weiteren Single/Maxi (das gab es damals tatsächlich noch). Damit ist dann der Kern der Geschichte der Tin Machine erzählt.
Wer sich für weitere US-Rock-Cowboys interessiert, folgt den drei Weiterleitungen unten:
Weiterlesen im RZ: Lee Clayton – Roy Buchanan – Moon Martin
@Schotte; ich höre mir ja immer wieder gerne eure Anspieltipps an – diesmal war wieder ein Brüller dabei: WORKING CLASS HERO von MARIANNE FAITHFULL. Auf das Crossover von LENNON und PINK FLOYDs ONE OF THESE DAYS muss man erst mal kommen. Macht Spaß! Gruß – Ronald;-)