Früher musikalischer Angriff des Schwarm wilder mutierter Wellensittiche
Gleich zu Beginn zitiere ich auszugsweise mellow: „Verstanden hatte mich damals keiner meiner Kumpels, als ich die LP Bandolier anno ’75 anschleppte und von einem außergewöhnlichen Werk schwärmte. Ich war offenbar ein abgedrehter Sonderling mit aus dem Ruder gelaufenen Geschmackssinn“. Yeah, und ich bin mit dabei, ebenfalls Sonderling, was ich ja damals bereits wusste, habe das gleiche erlebt wie unser mellow. Wieder so ein Power-Trio mit Potenzial das mehr Erfolg verdient gehabt hätte. Sie teilten leider auch das Schicksal von Captain Beyond, Crow, Stray, Tomorrow oder viele andere Hard-Rocker, denn trotz vorhandener höchster Spiel-Qualität und bündelweise exzellenten Songs, vorgeführt auf ausgedehnten Touren und Festival-Auftritte in ganz Europa, war ihnen der Weg in den Rock-Olymp versperrt. Ich habe Budgie schon am 28. August 1974 im Rahmen der In For The Kill! Tour in der Westfalenhalle 3 erlebt. Mich haben sie begeistert, bin wie mellow Fan bis heute. Bei den Kanadiern von Rush, sogar mit ähnlicher schriller vokaler Klangfarbe, hat das viel besser und erfolgreicher geklappt. Die Cover-Bilder jedoch sind kleine Kunstwerke, ein Aushängeschild der Waliser bis heute.
Keine Käfig-Haltung – Die einzigartige Sirenen-Stimme von Front-Wellensittich Burke Shelley (Bass, Gesang) und der zur damaligen Zeit schon ungewöhnliche Heavy-Metal-Sound, besonders der Alben »Budgie« (1971), »Squawk« (1972), »Never Turn Your Back On A Friend« (1973), waren sicherlich der Zeit sehr weit voraus. Mit den weiteren Alben wechselte auch das Personal und es kamen dadurch neue Einflüsse in den harten Rock der Wellensittiche, machten die Musik noch interessanter und variantenreicher. Die britische Hard-Rock-Band Budgie aus Cardiff (Wales) ist durch ihr fast 45-jähriges gemeinsames Werk, durch die Lieder »Parents« und »Baby Please Don´t Go« (Joe Williams), den Ritterschlag durch zwei durch Metallica gecoverte Titel (»Breadfan«, »Crash Course In Brain Surgery«) und durch diverse Cover-Art-Work von Kult-Designer Roger Dean etwas bekannt. Letztlich wurde die Band jedoch bis heute nie so richtig populär, war immer ein Geheimtipp. Auch Tony Bourge (Gitarre, Gesang) war ebenfalls von Gründung 1968 bis 1978 mit dabei, der Sitz des Schlagzeugers wurde regelmäßiger umbesetzt, einzige Konstante auf diesem Platz bis heute Steve Williams. Zusammen mit Black Sabbath (gemeinsamer Manager, 1984 waren Budgie Vorgruppe für Ozzy Osbourne) stoßen sie ein zukünftiges Mega-Genre an, sind überraschend sehr früh auch hinter dem Eisernen Vorhang präsent (vermutlich wegen mangelnder Bekanntheit) und trotz des nicht so bekannten Namens oft Head-Liner bei Festivals. Auch einige Künstler des New Wave Of British Heavy Metal nennen sie als Vorbild und Inspiration. Die aktuelle 2021-Besetzung besteht aus Craig Goldy (Gitarre: Vengeance, Rough Cutt, Giuffria, Dio), Burke Shelley (Bass, Gesang) und Steve Williams (Schlagzeug, 1973 bis 1986, seit 1999 durchgängig wieder dabei). Nach dem vorletzten Studio-Album »Deliver Us From Evil« (1982) traten die Wellensittiche kürzer, Live immer ein besonderes Vergnügen, waren sind durchgängig immer wieder mal weltweit zu sehen und hören. Zuletzt wurde 2006 das Studiowerk »You’re All Living In Cuckooland« (Arbeitstitel: »Ears Pierced While You Wait«) unbeachtet veröffentlicht.
Früher Vogel findet keinen Wurm – Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist noch, das die zwei Waliser Gründungsmitglieder Tony Bourge (Gitarre, Gesang) und Ray Phillips (Schlagzeug), sie spielten auch die ersten drei klassischen Budgie-Alben mit ein, Anfang der 80er das Hard-Rock-Projekt Tredegar (Ort nördlich von Cardiff) mit verschiedenen Begleitpersonal starteten. 1986 erschien das selbstbetitelte Debüt, eine Single-Auskopplung und 1991 noch die limitierte Audio-Kassette »The First Demo: Wales 1982« in dreistelliger Auflage, jedoch total unbeachtet. Das alles zeigt leider den Stellenwert auch dieser Band. Musikalische Qualität hatten die Waliser, aber du brauchst mehr um Erfolgreich zu sein. Auch die erstklassigen Budgie dürfen hier mal wieder genannt werden.
An Ecstasy Of Fumbling – Zum Neustart der Wellensittiche veröffentlichte Repertoire Records 1996 eine schöne Zusammenstellung mit insgesamt 29 Titeln auf zwei Silberscheiben. Hier ist wahrlich alles versammelt was den Fan des Budgie-Rock erfreut. Von jedem Album mindestens ein Titel, rare Single B-Seiten, ein Titel bisher unveröffentlicht, sogar 2 Stücke von der raren EP »If Swallowed, Do Not Induce Vomiting« (1980) sind dabei. Wer diese Kompilation irgendwo zu bezahlbaren Preis entdeckt, bitte zugreifen, lohnt sich sehr.
2 Days Prog + 1: TUBE Veruno 2018 – Auch diesmal haben es die Schweizer nicht erfunden, das Dampf-Hammer-Trio, sondern die Briten mit zuerst Cream und Hendrix Experience, später eher Taste, Budgie und The Gun. Aber beim benennen ihrer Musik als Psychedelic-Brain-Blues könnten sie schon wieder die Nase vorn haben. Und dieses im einheitlichen Doppel-Seiten-Overall gekleidete Baseler Dreier-Gespann Beni Bürgin (Schlagzeug, Perkussion, Gesang) sowie Pascal Grünenfelder (Bass, Gesang), Stefan (Stef) Strittmatter (Gitarren, Gesang, Kapell-Meister), beide auch Fido Plays Zappa, vorne Maus-Grau und hinten Flower-Power-Bunt, legen gleich enorm gut verzahnt im Stil der vorher genannten Klassik-Power-Trios richtig energiegeladen los. Wer auf Musik als Droge steht, bekommt hier das volle Brett, aber auch druckvollen, voluminösen Gesang Solo und im kollektiven Chor, was ist das ein Riesen-Spaß. Die einzelnen teils 10-minütigen Stücke haben hohen wiedererkennungswert und einen eigenen Charakter, erinnern mich oft an die vorgenannten Trio-Klassiker. Bei The Universe By Ear [TUBE] lernt man in 90 Minuten tatsächlich richtig was für das Leben, und zwar wie die Löcher in den Schweizer Käse kommen. Ganz einfach, mit ordentlichem, gleichbleibendem Druck fliegen hier nämlich die vorgestanzten Stücke heraus. Aber Vorsicht nicht in den ersten Reihen in Abflugrichtung der Pfropfen stehen. Aber nun Spaß beiseite, das Trio The Universe By Ear [TUBE] präsentiert sehr respektabel und perfekt eingespielt ihr eigenes gutes Material des selbstbetitelten Debüts von 2017, eine heiß brodelnde Suppe aus Progressive, Alternative, Space und Heavy Psychedelic Rock. Die Drei geben echt alles, gehen glücklich & schweißüberströmt mit gehörigem Applaus der schon recht großen Schar Hard-Prog-Fans von der Bühne. 2019 erschien das Studiowerk »TUBE II« bei Sireena Records.
Eigentlich sind alle drei vorgestellten Bands, Budgie – Tredegar – The Universe By Ear, auch wieder mal so tragische Geschichten des Musikgeschäfts. Leider aber nicht Tragödien genug. Künstler wollen eigentlich nur ihrer Musik machen, bleiben wie so oft auf der Strecke. Rockzirkus ist eine Plattform, die sich 100 Prozent auf die Seite der Legionen von guten Künstlern stellt und deren Wirken unabhängig von Bekanntheit würdigt. Ich bin sehr stolz an dieser Mission mitarbeiten zu können/dürfen und verweise gerne an dieser Stelle an viele großartige Beiträge aus der Feder von remo4 und mellow. Zukünftig wird es regelmäßig weiter neue interessante Beiträge geben. Es müssen nicht immer die TOP-50 der meistbekanntesten Bands/Künstler sein, wie bei anderen analogen/digitalen Magazinen, alle hier genannten Künstler sind auf gleichem Niveau. Schaut rein, hört rein, genießt es !!
Weiterlesen RZ: Crow – Tomorrow – Klingende Grüsse, Der SchoTTe
Ergänzungen:
Gitarrist John Thomas starb 2016 im Alter von 63 Jahren.
Pete Boot (er trommelte auf In For The Kill) starb 2018, er wurde 67 Jahre alt.
Aufgrund gesundheitlicher Probleme (Aortenaneurysma, Zusammenbruch während der damaligen Osteuropa-Tour) anno 2010 hat Burke Shelley seine musikalischen Aktivitäten plus/minus eingestellt. Budgie existieren seither nur noch virtuell (zwecks Nachlassverwaltung, Merchandising), Live-Auftritte von Budgie (respektive neue Tonträger) gab es seither keine mehr.
mellow