New York, Rio, Tokio – Beim Big Foot gibt es nicht nur Global keinerlei Grenzen
Startpunkt – Als ich kürzlich angefangen habe für den Beitrag über diesen Musiker-Titanen intensiver zu recherchieren, wusste ich natürlich fast alle wichtigen Eckpunkte und Wegbegleiter seiner Karriere. Dennoch habe ich auch viel Neues erfahren. Einige im Rockzirkus werden sich natürlich jetzt auch fragen, warum der Beitrag des in Hildesheim geborenen erst an Nummer Fünf (vier plus Beitrag Elektrolurch Mani Neumeier) erscheint. Antwort: Das ist hier keine Rangliste, sondern nur eine Aufzählung, damit jeder der zufällig auf einen Beitrag Deutsche Legenden stößt, weiß das es noch weiteres Legenden-Lesefutter gibt. Egal wo man in der Geschichte der deutschen Rockmusik zwischen 1965 bis 2020 sucht, es ist wie mit dem Hasen und dem Igel, Harald ist/war schon da. Hier aufzuzählen mit wem dieser Ausnahme-Musiker in den letzten sagenhaften 55 Jahre zusammen musiziert hat, sprengt diesen Beitrag, kann aber detailliert auf der sehr informativen Heimseite von Harald Grosskopf nachverfolgt werden. Von seiner großartigen digitalen Präsentation habe ich auch einige Details aus erster Hand hier im Beitrag mit eingearbeitet. Selten das man so ein üppiges, gut strukturiertes, informatives digitales Tagebuch in Text und Bild sieht, Rockzirkus hier mal ausgenommen. Der SchoTTe (ja auch ich habe meine Tarnnamen, Big Foot) konzentriert sich wie üblich auf die nicht so bekannten Stationen und Protagonisten. Eine Legende wird man sicher nicht nur, weil man virtuos und bei einer (oder mehreren) sehr beachteten Kapelle musiziert, sondern wenn man über Jahrzehnte immer wieder interessante Visionen hat und die auch tatkräftig mit Kollegen oder auch als Solist umsetzt. Der Lohn dafür ist oft gering und zahlt sich nur in wenigen Fällen richtig aus. Das sagte Harald in dem Interview (Interview Mit Harald Grosskopf) sinngemäß auch selbst: „Alles was über den KS- und TD-Rand hinausschaut wird ignoriert“. Nicht so von den Fans wie Stephan Schelle, vom SchoTTen oder tausenden HG-Liebhabern weltweit. Egal, Klangtüftler Harald Großkopf folgt seit Mitte der 60iger bis heute seiner eingeprägten DNA und musikalischen Visionen, musiziert mit Freunden von/auf allen Kontinenten dieses blauen Planeten. Dagegen gibt es erfreulicherweise bis heute weder Impfung, Medizin oder Immunität. Wie seit 1965, immer kreativ weitermachen. Mani Neumüller, Klaus Schulze, Manuel Göttsching, Lutz Ulbrich (Lüül) und einige andere Krautrock-Recken sind bereits im Wachsfiguren-Museum im Tokio-Tower als Double ausgestellt. Wann endlich auch unser Harald Grosskopf !!
Sechziger – Es geht schon früh unter dem Namen Großkopf des in Hildesheim geborenen Harry los, der trifft im Kindergarten mit drei Jahren auf Rudolf Schenker, mit dem geht es dann aber erst viele Jahre später bei den The Scorpions weiter. Die erste Beat-Band Mitte der 60iger zusammen mit Uli Worobiec (Bass) Wolfgang Stryj (Rhythmus Gitarre) Christian Holik (Gitarre, später Dull Knife) war The Stuntmen. Bereits 1967 trommelt er dann kurz bei der Hannoveraner Hard-Rock-Band von Rudolf und auch bei Bill Barone’s Band. Bei dieser Beat-Band arbeitete Harald mit US-Boy Bill Barone zusammen, was in der Folge später im Herbst 1971 zur Prog-Rock-Band Blitzkrieg und nach ein paar Auftritten und notwendiger Namensänderung dann zum legendären Symphonischen Rock-Orchester Wallenstein führte. Hier hatte der großgewachsene Schlagzeuger seine erste international beachtete Station in der deutschen Rock-Szene, spielt dort unter anderem mit Dutch Bass-Man Jerry Berkers und Jürgen Dollase (Gesang, Keyboards, Komponist) vier beachtete Studio-Alben ein. Schon in dieser Phase hat Harald Grosskopf intensiven Kontakt mit unterschiedlichsten Schwergewichten der deutschen Szene: Dieter Dierks, Rolf-Ulrich Kaiser, Klaus Schulze, Edgar Froese, Witthüser & Westrupp und vielen anderen die bereits schon genannt sind und später im Text noch werden.
Siebziger – Ein Kollektiv von Musikern sollte auf Initiative von Label-Chef Kosmische Musik 1972 das Album »Tarot« von Walter Wegmüller einspielen. Für das Projekt Kosmische Kuriere konnten noch neben den vorher bereits bekannten Protagonisten vor allem von Wallenstein auch noch Hartmut Enke, Klaus Schulze, Manuel Göttsching, Walter Westrupp, Bernd Witthüser gewonnen werden. Grosskopf wirkte in der Zeit auch bei vielen anderen Produktionen anderer Künstler, die bei Rolf-Ulrich Kaiser unter Vertrag waren, mit. Eine kreative Zeit in der viel ausprobiert wurde und ungewöhnliche Formationen zusammenkamen. Beispielsweise die Dierks-Kaiser Jam-Sessions die zum Teil nicht autorisiert durch die Musiker als Sternenmädchen, Gilles Zeitschiff, Cosmic Jokers und Galactic Supermarket mit auch für die damalige Zeit teilweise bizarren Tönen die Musikwelt beschallten. Zwei ebenso starke Blöcke und Meilensteine wie Wallenstein waren in der zweiten Hälfte der 70iger die enge Zusammenarbeit mit Klaus Schulze und Manuel Göttsching’s Ashra. Mit Beiden spielte Harald wegweisende Alben ein, die heute fast ausnahmslos zu Klassikern des elektronischen Krautrock gehören. Diese Musik, aber besonders die Protagonisten sind sehr verdient Kult in Japan. Ich wurde bei meiner Tätigkeit in einem namhaften japanischen Unternehmen regelmäßig auf die deutsche Musik der 70iger angesprochen. Wenn ich dann erzählte, dass ich ein Hardcore-Fan dieser krautigen Musik bin und praktisch alle bekannten Bands mehrmals auf der Bühne (manchmal war es auch nur eine Ecke im Saal) erlebt habe, da wurden die Augen groß und mein Ansehen stieg meist gewaltig. Ich bin sehr dankbar für die vielen krautigen Erlebnisse in kleinen Sälen und riesigen Hallen, in Clubs und Jugendzentren. Den Harald habe ich öfters erlebt und immer bewundert, zuletzt im Sommer 2018 mit seinen Kumpels Mani und Eberhard beim Finkenbach Festival. Selbst meine Hippie-Christa war voll aus dem Häuschen. Ein Auftritt die fünfstelligen Besucherzahlen verdient gehabt hätte, leider nicht hier, in Nippon sicher. Harald’s 70iger sind eigentlich gut dokumentiert, wobei oft die „großen Namen“ im Vordergrund stehen. Jedoch war und ist seine künstlerische Arbeit in allen Bereichen ebenso gehaltvoll und signifikant bis heute. Deshalb auch diese berechtigte Würdigung eines Titanen der deutschen Rock-Musik.
Achtziger – Und dann die 80iger, sie sind wild, bunt, punkig und wellig. Und wieder ist Harald mittendrin. Wer kennt nicht den »Goldenen Reiter« vom Duesenberger und Herbergsvater Joachim Witt. Hier lebt Harald neben seiner analogen Leidenschaft am Schlagzeug nun auch die Digitale am Synthesizer aus, nicht von ungefähr denn er arbeitete gerade auch an seinem fulminanten Solo-Debüt. Witt’s Album »Silberblick« (1980) wird zu einem Verkaufsrenner und Hitparadenstürmer. Aber besonders bei der Berliner NDW-Band Lilli Berlin (Gründer: Nice Pair Uschi & Jürgen) zeigt Harald als Chamäleon in Musikstil und Auftreten. Das Elektro-Pop-Trio, Manfred Opitz (Keyboards), Uschi Lina (Performance), Harald sowie Jürgen Barz (Komponist, Drahtzieher), nimmt von 1980 bis 1983 drei Alben und mehrere Singles (auch »True Love« mit Jürgen Zeltinger) auf und musizieren auch regelmäßig Live. Unter anderem auch bei Festivals, wie 1983 beim Fest Der Jugend in Bochum. In diesen Wave-Jahren und danach entstehen auch die Solo-Werke »Synthesist« (1980) und »Oceanheart« (86). Dieses Jahrzehnt steht aber auch schon sehr stark für Electro und Ambient mit Lutz (Lüül) Ulbrich und Manuel Göttsching, Klang-Kunst-Projekte, You und Synthie-Trio Central Europe Performance (1989: Breakfast In The Ruins).
Neunziger – Auch dieses Jahrzehnt ist nun wieder geprägt von neuzeitlicher Mucke, auch der Berliner Schule, wie Kooperationen mit verschiedenen Szenegrößen, beispielsweise Mario Schönwälder, Bernd Kistenmacher, Ron Boots, Eric van der Heijden, Klaus-Hoffmann Hoock (Mind Over Matter), natürlich Ashra und viele mehr. Weiterhin aber auch eine neue Ausrichtung von Big Foot Grosskopf in Richtung World-Ambient und Electro-Experimental. Schon das dritte Solo-Werk »World Of Quetzal« zeigt das nicht nur mit den Titelnamen. Harald arbeitet in verschiedenen weiteren interessanten Projekten wie The Ambush (mit Oliver Lieb), N-Tribe (mit Steve Baltes), Phonoroid (mit Axel Manrico Heilhecker, Vanessa Vassar), besonders aber mit Baltes & Heilhecker bei Sunya Beat. Für mich gehören besonders die Alben »Sunya Beat« und »Delhi Slide« dieses Projekts zu meinen Allzeit-Favoriten. Ein ähnliches Projekt hat mit »Passage« auch der Mannheimer Peter Seiler mit Gitarrist Michael Lorenz aus dem Hut gezaubert. Leider wie viele Meisterwerke der Neo-EM recht unbeachtet.
Zweitausender – Gleich 2001 erscheinen vier Titel des Trio Baltes, Grosskopf, Heilhecker als »4 x 3 (Viermal Drei)«. Wer bei so vielen Bands und Projekten mitgewirkt hat, dem geht die Arbeit nicht aus. Manch einer hätte nun den Satz mit „er verwaltet sein Vermächtnis“ zu Ende gebracht. Aber das ist so sicher nicht in der DNA von Harald Grosskopf verankert. Er ist neugierig geblieben, im wahrsten Sinne immer gierig nach Neuem. Mit seinem Weggefährten Lüül musiziert Harald auch bei den Berliner World-Folk-Jazzern 17 Hippies. Immer wieder tourte er auch in verschiedenen Konstellationen mit Steve Baltes und/oder Axel Heilhecker sowie mit Ashra. Stellvertretend hier noch ein Link zu einem Auftritt Baltes, Heilhecker, Grosskopf. In den letzten Jahren lebt er seine musikalischen Leidenschaften in einer Kooperation mit Eberhard Kranemann namens Krautwerk aus. Wie bereits erwähnt, hatte ich das Vergnügen bei dem famosen Auftritt beim Finkenbach Festival, hier mit Elektrolurch Mani Neumeier an den analogen Trommeln, dabei sein zu dürfen. Mit dem Projekt »Behind Closed Doors 10th September 2020« des TD-Vermächtnisverwalter Thorsten Quaeschning mit Paul Frick und Harald Grosskopf wird nun ein großer Bogen geschlossen.
Verbeugung – Ambient, House, Techno, Trance, Trip-Hop, Tribal verbindet man zuerst mal mit jungen Leuten, nicht mit einem Krautrocker der am 23. Oktober 2020 stolze 71 Jahre jung geworden ist. Denn wenn man den vitalen Harald erlebt, glaubt man das kaum. Nichtdestotrotz konnten das aber die vielen Besucher bei seinem ersten gefeierten DJ Auftritt im legendären Berliner Techno Club Grießmühle miterleben. Und mal ehrlich, diese Rhythmus-Maschine alias The Synthesist, setzt analog und digital locker die internationalen Maßstäbe mit. Dass es selbst in der Musik-Szene nur so wenige wissen, ist beschämend. Jedoch hat mein Kollege und Fachkundige Stephan Schelle (auch) ein tolles Interview Mit Harald Grosskopf geführt. Lest dort mal nach, da gibt es noch viele Details mehr zu der Legende & Krautwerker aus dem Land des Krautrock. Eingangs habe ich bereits einiges über das Rüstzeug eines Ausnahme-Musikers erwähnt. Jedoch zum Abschluss: wer an verschiedenen Instrumenten, genreübergreifend und wiederkehrend höchste Qualität im Studio und Live produziert der ist ein Meister. Ich bin gespannt auf das nächste Meisterstück und auf ein Wiedersehen egal auf welcher Bühne Europas.
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