Ralf Dombrowski – Basis-Diskothek Jazz
Wenn ich noch ein Buch sehe in einem Laden oder sonstwo, welches sich mit der Thematik „Die 1000 besten Platten, die du gehört haben musst, bevor du stirbst“, „Die 1000 besten Bücher, die du gelesen haben musst, bevor du dir das vorlesen lassen musst“, „Die 1000 besten Whiskies, die du probiert haben musst, bevor dich deine Leberzirrhose erledigt“ oder „Die besten 173 Erdbeermarmeladen die du gegessen haben musst. bevor dich die Diabetes eingeholt hat“, ja, dann ist Alarmstufe rot. Ich kann den Quatsch in jeder Form nicht mehr sehen. Billigstbücher die zu einem Premiumpreis verkauft werden. Recherche unnötig, reicht wenn ich eine Liste aus dem Internet kopiere und einen Satz dazu schreibe, die Bilder klau ich mir, wenn ich schon dabei bin, ebenfalls aus dem WWW. Ehrlich, fällt euch nichts mehr ein?
Ich weiss schon, mit dem geringstmöglichen Aufwand die Kohle einsacken, dass ist das Geschäftsmodell. Andererseits, will ich wirklich wissen, dass ich mir mindestens 5 Platten der Beatles oder Robert Zimmermann zulegen muss um in den Augen des Verfassers hip genug zu sein um in den erlauchten Kreis aufgenommen zu werden? Kurzum, Aufzählungen und Listen sind für die Füchse, obwohl ich denen eine gewisse Faszination nicht abstreiten kann. Vielleicht dient es ja dem einen oder anderen dazu, dass man an einen bestimmten Whisky erinnert wird, den man komplett aus dem Gedächtnis verloren hat oder die Blumenau Erdbeermarmelade mit 5 % Datteldicksaft ist mir noch nie untergekommen und löst jetzt gerade bei mir etwas aus. Leute, ihr habt das völlig übertrieben, wenn die nächsten hundert Jahre kein Buch mehr in der Richtung erscheint, dann ist es immer noch zu früh, danach wieder eines dieser „Fachbücher“ erscheinen zu lassen.
Es geht auch anders. Es gibt Bücher in der Richtung die kein Sendungsbewusstsein für sich in Anspruch nehmen, die nicht im Internet abgeschrieben wurden und die vor allem informativ sind und nicht seitenlang aus warmer Luft bestehen. So ein Büchlein ist die Basis-Diskothek Jazz von Ralf Dombrowski. Erschienen bei Reclam in der ersten Auflage 2005 und in der bereits fünften Auflage 2018. 234 Seiten (2005) und 271 Seiten (2018). Woher der Seitenzuwachs kommt, erschliesst sich mir nicht wirklich, sind doch seit der Erstausgabe gerade mal 5 zusätzliche Platten aufgenommen worden (aktuell 125). Es scheint mir eine etwas grössere Schrift zu sein, aber ich könnte mich da auch täuschen.
Wieso braucht man das Bändchen? Es versucht nicht mal im Ansatz dir zu erklären, wieso du diese und jene Platten hören „musst“. Es ist informativ. Die kurzen Texte sind nicht das 08/15 Geschwafel eines Lohnschreibers bei einem Musikmagazin. Es ist handlich (wie alle Reclam Büchlein) und es ist weniger ein Nachschlagewerk sondern eher eine Durchleseband. Ich habe die erste Ausgabe von vorne bis hinten durchgelesen und das auch wieder mit der fünften Ausgabe gemacht. Vor allem wenn ich im öffentlichen Verkehr unterwegs bin, dann kommt so etwas gut. Die kurzen Texte liest man hintereinander weg, packt es ein wenn man angekommen ist und nimmt es wieder hervor auf der Rückfahrt.
Die Information selbst besteht aus:
Interpret
Titel
Label und Plattennummer
Trackliste
Musiker mit Instrumenten
Ort und Datum der Aufnahme
Text über die Platte (meistens so um die zwei Seiten)
That’s all you need to know! Die Daten von Interpret zu Ort und Datum der Aufnahme sind interessanter als sich das hier nun so knochentrocken anhört. Mir hat das enorm geholfen, eine Aufnahme in einen Kontext innerhalb der Jazzgeschichte zu setzen. Allerdings ist mir nicht klar, welches Label und welche Katalognummer hier angezeigt wird. Original Erstpressung? Deutsche Erstpressung? Ein wenig schade ist das schon, ist doch sonst die Basis-Diskothek Jazz vom Inhalt her sehr durchdacht. Sogar die Trackliste ist hier wichtig, ist doch vieles im Jazz von anderen Interpreten weiter verabeitet worden und die Information zeigt einem auch ein wenig den Weg.
Ganz wichtig ist da natürlich die Angabe der beteiligten Personen mit den gespielten Instrumenten. Viele Musiker haben in ad-hoc Formationen mit anderen Koryphäen der Szene gespielt, aber viele Male hat es gerade zu einer Aufnahme/Platte gereicht. Diese Information ist von höchstem Interesse wenn man sich im Dickicht des Jazz zurecht finden will. Damit man nicht ganz auf dem trockenen sitzt, hilft eben auch die örtliche und zeitliche Information zu den Aufnahmen.
Die Texte sind, trotz oder gerade wegen der Kürze, etwas vom Besten, dass ich über Jazz gelesen habe. Kurz. Prägnant. Ohne Firlefanz, aber bis zum Rand voll mit Informationen. Und nie patronisierend. Auf letzteres will ich ausdrücklich hinweisen. Keiner der Texte gibt auch nur den Anschein einer Empfehlung ab, wenn ich je neutrale, aber trotzdem informative Texte zu Platten gelesen habe, dann diese. Das Lesen der Texte gibt bei mir so eine Idee, dass Ralf Dombrowski weniger Empfehlungen abgibt, sondern eher eine Auswahl ins Schaufenster stellt und jeder kann damit machen was er will.
Meine Jazzaffinität beginnt eigentlich bei Free Jazz über Avantgarde zu Noise und so weiter, mit anderen Worten, vieles was Jazzfans schon gar nicht mehr als Jazz bezeichnen würden (aber viele davon sind ja auch extrem verbohrt, bei denen ist schon John Coltrane abgeschrieben). Allerdings kann ich schon mit Bop, Hard Bop und Be-Bop. Ganz klar ist z.B. das Label Blue Note auch bei mir sehr hoch auf der Liste angesiedelt. Und das ist das andere Interessante an diesem Band. Ich kann nicht mit altem Jazz (von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen) in der Definition „vor Bop“. Das Büchlein schafft es aber, dass ich auch die Texte zu Louis Armstrong, Duke Ellington, Benny Goodman etc. gerne und mit grossem Interesse lese. Das heisst nicht, dass ich mir von den Genannten jetzt Tonträger zulegen würde (mache ich nicht), aber ich finde das schon ziemlich erstaunlich. Auf der Rock-/Pop-/Blues-Schiene würde ich mir nie einen Text über, z.B., Neil Young oder Robert Zimmermann antun wollen. Das spricht aber für die Qualität von Ralf Dombrowski und eher nicht dafür, dass ich mit letztgenannten einfach mal nicht kann. Vielleicht gibt’s ja gute Texte zu den zweien, aber ich hab sie, offensichtlich, noch nie gesehen.
Tatsächlich würde ich die Basis-Diskothek Jazz nicht als Basis zu einer eigenen Sammlung nehmen, dafür ist das ganze Genre zu vielfältig (was hier auch abgebildet wird). Falls Louis Armstrong „floats your boat“, o.k., fang damit an, taste dich vor und treffe deine eigenen Entscheidungen. Ich gestehe, ich kenne nicht viele Leute die Jazzsozialisiert sind, aber die, von denen ich weiss, haben sich alle auf eine bestimmte Epoche, ein Subgenre (oder zwei) oder tatsächlich ein Instrument beschränkt (Saxophon, Piano, Gitarre etc.). Ich vermute, dass das auch die Intention von Ralf Dombrowski ist, ein Interesse und eine Schallplattensammlung muss organisch wachsen und nicht anhand einer Vorlage zusammengestoppelt werden.
Aber wenn man null Ahnung hat und sich mal mit dem kleinen Zeh ins kalte Wasser getraut, dann kann ich mir beim besten Willen kein klügeres Buch als eben diese Basis-Diskothek Jazz vorstellen. Und wenn ihr Freunde habt, welche sich als Jazzfans bezeichnen, macht euch selbst einen Gefallen und hört nicht auf deren Rat. Macht eure eigenen Entdeckungen und findet euren Weg. Und wenn es mit Hilfe von Ralf Dombrowski sein soll, dann ist es eben so (und nicht die schlechteste Variante).
P.S.: EUR 7.80 für die fünfte Auflage ist nun auch nicht die Welt.
P.P.S.: Die gelbe im Bild ist die erste und die rote Version die fünfte Auflage
Heute wurde das Buch beim Buchhändler meines Vertrauens abgeholt. Er hatte auch die Basis-Diskothek Rock und Pop, das wurde auch gleich mit eingetütet. Bei den handlichen Büchern von Reclam stimmt meist die Qualität des Inhalts und die Preise sind o.k..
Rock und Pop bringt mir nicht viel. Entweder passt mein Geschmack nicht mit dem des Verfassers überein oder es sind Platten die in jeder Bestenlisten genannt werden. Abba oder die Beatles gehören nicht in meine Welt, genau so wenig Rumours oder Urban Hymns.
Mit der Basis-Diskothek Jazz komme ich schon besser zurecht. Hier finde ich viele Bekannte aus meinem Plattenregal. Ich bin ein cooler Bebop Mensch und liebe die Musik von Miles Davis, Charlie Parker, Dexter Gordon oder Dizzy Gillespie. Es macht Spaß die Rezensionen zu lesen.
Danke für den Tip!
Gut auf den Punkt gebracht !! Natürlich steckt in jedem Themen-Buch oder Lexikon Bereich Musik immer auch ein wenig die Vorlieben des/r Autors/en. Aber sein wir mal ehrlich, ein Musik-Liebhaber eines Genres, beispielsweise rockige Varianten von Jazz, Blues, Folk, Country, der selbstbewusst ist und sich nicht von außen zu sehr rein quatschen lässt, wird für sich schon eine eigene Highlight-Auswahl haben. Die gemeinsame Schnittmenge zu anderen Liebhabern des Genres ist dann schon sehr hoch. Ich lese sehr viele Beiträge (schreibe auch selbst sehr viele) und ich sage immer, wer braucht in einem Monat wieder 50 Beiträge über Künstler XYZ. Es ist bekannt wer in der rockigen Musik die Geschichte maßgebend und lange Zeit beeinflusst hat. Ich könnte jetzt für jeden Bereich einige nennen die sowieso schon bekannt sind und von Fachkundigen auch nicht in Frage gestellt werden. Das großartige am Rockzirkus, großer Dank an remo4 und mellow, ist das wir uns hier auf dieser Plattform mit den nicht so bekannten Künstlern beschäftigen und das fast immer ohne dafür groß Werbung zu machen oder mit Texten zu polarisieren. Schön ist auch das wir uns (alles echte Musik-Liebhaber mit großer Kompetenz) über solche Dinge wie du sie angestoßen hast austauschen. Für mich ist der Rockzirkus, wie auch dein Beitrag, eine große Bereicherung. Es gibt noch eine ebenso gute und hilfreiche Ausgabe Basis-Diskothek Rock und Pop (von Uwe Schütte). Ich zitiere dich nun: Macht eure eigenen Entdeckungen und findet euren Weg. Und wenn es mit Hilfe von Ralf Dombrowski (oder Rockzirkus) sein soll, dann ist es eben so (und nicht die schlechteste Variante). Das trifft auch genau auf den Rockzirkus zu. Das ist der Grund warum ich mir hier viele gute Beiträge durchlese die mich interessieren. Ich suche immer nach besonderer Literatur und freue mich wenn ich was Besonderes gefunden habe. Demnächst stelle ich zwei Bücher vor. Lesestoff für pure Musik-Liebhaber, ungewöhnliche Darreichungsform, aber tolle Geschichten !! Einmal die 50 Szene-Kurzgeschichten Er Hatte Sie Alle und der Musik-Roman Boogiedogs (gerade erst erschienen, liegt gerade noch neben mir). Bleibt gesund, macht es euch in dieser Zeit mit gut hören und lesen gemütlich. Klingende Grüsse, Der SchoTTe