The Ventures – Live In Japan ’65

Von wann?
1965?
Echt?
Unglaublich!

Weil bei diesem Live-Konzert der Ventures drehst du dich wie der Hamster im Rad, wobei die Hamsterradabdeckungen schon bei der ersten gespielten Note wegfliegen, und zwar, verd… naja, extrem weit. Hier kriegst du das Gefühl vermittelt, du seist bei der Geburtsstunde von Punk oder Hardrock anwesend.

1965?
Wirklich kein Scherz?
Nein…

Also jetzt weiss ich endlich von wem Marky Ramone‘s Powerdrumming beeinflusst ist, ich könnte wetten der Punkrocker hat sich jahrelang mit dem Drumstil von Mel Taylor beschäftigt. Ausserdem ist dieses Konzert eine 1a-Lehrstunde für Gitarristen, Nokie Edward‘s Gitarrensolo im Stegbereich mit nachfolgendem Downtuning bei „Bulldog“ lässt wohl sämtliche Sixstring-Bediener mit offener Klappe zurück. Was auf diesem anno ’65 nur in Japan als DoLP All About The Ventures veröffentlichten Konzert abgeht, lässt den Grossteil der damaligen Konkurrenz uralt aussehen, The Ventures waren innovativ wie niemand anders möchte ich mal behaupten, Liveaufnahmen von anderen Acts aus dieser Zeit sind nichts weiter als laue Luft.


Hier gibt es im Vergleich zu europäischen Konzertaufnahmen aus den Sixties übrigens kein Teenager-Gekreische, das Publikum das am 5. März ’65  in der Tokyo Kosel Nenkin Hall diesem Gig beiwohnte ist absolut diszipliniert und meldet sich mit solchen Kundgebungen nur zwischen den einzelnen Songs oder wenn der japanische Stagespeaker in witzigem Japanisch/Englisch seine Erläuterungen zu den Songs abgibt oder die Bandmitglieder vorstellt. In Japan der 1960er galt es noch als höchst unanständig wenn man den Vortrag eines Künstlers störte, es war also „Mund zu und auf die Hände sitzen und Konzert geniessen“ angesagt.

Der Druck der Aufnahmen ist unglaublich, man macht sich automatisch Sorgen um die Verstärkeranlagen. Die Ventures gingen an die Grenze, mangels Verzerrern (die wurden erst noch erfunden vom Pedal Steeler und Tüftler Red Rhoads) fuhren sie die zur Verfügung stehenden Amps und Speakerkabinette bewusst jenseits des Distortionbereichs um möglichst nahe an die Vision des eigenen Sounds zu kommen. Leider ging das Zeug dafür auch dauernd kaputt und man musste bei den zuständigen Anbietern Druck machen um an leistungsfähigere Gerätschaften zu gelangen. Während die Beatles jammerten über das mangelhafte Equipment jener Zeit, versuchten die Ventures das zu ändern indem sie zusammen mit den zuständigen Lieferanten nach Lösungen suchten. Den einen Schritt hatten sie da schon geschafft, der Gitarrenbauer Semie Moseley hatte mit der Mosrite ein Signature-Modell für die Ventures entwickelt das Rhythmusgitarrist Don Wilson und vor allem Nokie Edwards punkto Klang und Handling befriedigte. Laut, kräftig, wütend, schmutzig und roh musste der Sound rüberkommen. Der Begriff „clean“ ist bei den Ventures so oder so eine doppeldeutige Angelegenheit, häufig verwandelte sich bei ihnen „clean“ in eine Art „electric mud“ bei dem die Soundkontrolle zum spannenden Abenteuer wurde, man fuhr an die Grenze des eigenen Sounduniversums und war gespannt darauf was passierte wenn man diese imaginäre Linie überschritt. Was geschieht wenn ich… kollabiert dann die Kiste und mir fliegen die Trümmer um die Ohren?

Die Performance des eingespielten Quartetts ist atemberaubend, genauso wie das Tempo mit dem Mel Taylor durch die Nummern nagelte, das hier war Instrumentalrock für starke Jungs und für weltoffene Japaner. „Apache“ spielten sie auch damals, aber natürlich meilenweit entfernt von der Süsse der Shadows und mit dem finalen zehnminütigen „Caravan“ (Duke Ellington) sprengten sie zum Schluss das gängige 3-Minuten-Songformat. Die Nummer mit dem Schlagzeug- und Bass-Solo von Mel Taylor und Bob Bogle wurde an diesem Tag das erste Mal in der Extended-Version aufgezeichnet, es war die erste Version von unzähligen Versionen die noch folgen sollten in der Zukunft, Ventures-Livealben „Made In Japan“ (fast immer mit ihrem Klassiker „Caravan“) wurden irgendwann zu Ventures-Trademarks. Taylor beharkte bei „Caravan“ mit den Drumsticks jeweils die Bassdrähte seines Sparringpartners während Bob Bogle mit den Fingern nur das Griffbrett seiner Bassgitarre bearbeitete. Die Dauer dieser Showeinlagen variierte, Mel Taylor begann in den 80ern Elektronikspielereien einzuflechten und da entstanden ab und zu auch mal Karawanen in XXL-Länge. Dieses Drum/Bass-Fenster gehört bis heute zum festen Repertoire der Band und wird auch von Mel’s Nachfolger, seinem Sohn Leon Taylor zelebriert.

Die Aufnahmen erschienen 1965 in Japan in Form einer randvollen DoLP.
Der Rest der Welt war für so etwas vermutlich noch nicht reif dafür, das Album erschien im Westen erst 1995 in Form der CD The Ventures – Live In Japan ‘65.

The Ventures waren vermutlich die ersten US-Amerikaner die nach dem Krieg in Japan mit offenen Armen empfangen wurden. Der Ventures-Rock traf punktgenau die Gefühlswelt der japanischen Fans, das sieht man auch gut im Konzert-Reise-Dokumentarfilm Beloved Invaders (1966), die Ventures und ihre Musik wurden in Japan verehrt wie sonst nirgends auf der Welt. The Ventures widmeten im Gegenzug viele ihrer instrumentalen Nummern ihrer treuen fernöstlichen Gefolgschaft indem sie bewusst Titel wie „Kyoto Doll“, „Nagasaki Memories“ oder “Nagoya Express“ für neue Songs wählten.

Eine aktuelle Diskussion über unterschiedliche Erwartungen und Ansprüche bei Live-Aufnahmen gab den Ausschlag, mir wieder mal mir dieses einmalige, atmosphärische Tondokument anzuhören. Die Tokyo-Tapes von 1965 kommen der Stimmung die ich von Live-Aufnahmen erwarte recht nahe, sie sind mit Leben gefüllt und haben diese magische zusätzliche räumliche Dimension die man eben nur bei einem Live-Konzert verspürt und vor allem sind sie ein Kontrast zu Studioaufnahmen.

Wie gesagt, 1965, mir ist weltweit keine einzige Rockband bekannt die zu dieser Zeit mit solcher Power und wahnwitziger Spielfreude hantierte.




Printscreens: The Ventures – Beloved Invaders (1966)


LONG LIVE ROCK!

mellow

 

The Ventures – All About The Ventures / Live In Japan ’65
(1965, 2 x LP, Liberty / 1995, CD, EMI)
1. Introduction
2. Cruel Sea
3. Penetration
4. Bulldog
5. I Feel Fine
6. Band Member Introductions
7. The House Of The Rising Sun
8. Out Of Limits
9. Slaughter On Tenth Avenue
10. Besame Mucho Twist
11. Love Potion No. 9
12. Walk Don’t Run ‘64
13. When You Walk In The Room
14. Rap City (Brahms, Hungarian Dance No. 5)
15. Wipe Out
16. Medley: Walk Don’t Run / Lullaby Of The Leaves / Perfidia
17. The Lonely Bull
18. Telstar
19. Driving Guitars
20. Mariner #4
21. Pink Panther Theme
22. Yellow Jacket
23. Apache
24. Pipeline
25. Surf Rider
26. Journey To The Stars
27. Bumble Bee Twist
28. Diamond Head
29. Caravan

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