The London Rock And Roll Show, 5. August 1972

Das was da am 5. August im Londoner Wembley-Stadion über die Bühne ging kann man im Nachhinein sicher als historisch bezeichnen. The London Rock And Roll Show war das erste eigentliche Rockfestival das in der ehrwürdigen Sportstätte über die Bühne ging.

Der Name des Musikfestivals war natürlich Programm, die Show sollte das gerade stattfindende Rock’n’Roll-Revival befeuern und da eignete sich keine andere Stadt besser als London, es war das Epizentrum der aktuellen Popmusik. Amerikanischen Rock’n’Roll-Legenden die ein Comeback ins Auge fassten hatte fast keine andere Wahl denn in den USA war das einst revolutionäre Musikgenre längst ins Hintertreffen geraten, King Elvis war nach einem gelungenen Comeback anno ’68 wieder in rosa Plüsch versunken und die anderen „Alten“ hielten sich mit Auftritten an Nostalgie-Events über Wasser.

Um die Show auch cineastisch auszuschlachten engagierten die Veranstalter den australischen Filmemacher Peter Clifton der sich auf das Drehen von Musikfilmen spezialisiert hatte, sein Karrierehighlight erfuhr er später mit dem Konzertfilm The Song Remains The Same (1976) von Led Zeppelin.

Künstlerisch/filmtechnisch gesehen ist der Streifen The London Rock And Roll Show eigentlich nicht viel wert, Clifton hielt einfach fest was abging auf der meist chaotisch wirkenden Bühne und schweifte mit der Kamera immer wieder durch das bunt gemischte Publikum das Teddy Boys, Rocker, Hippies, Normalos, ein paar Glamrockfans und einen T-Shirt-Verkäufer namens Malcolm McLaren (den späteren Strippenzieher der Sex Pistols) umfasste. Einigen der auftretenden Bands schenkte Clifton keine Beachtung, MC5, Gary Glitter und Roy Wood’s neue Band Wizzard die anstelle seiner eben aufgelösten und auf den Plakaten gelisteten Move ihr erstes Konzert spielten, tauchen im Konzertfilm nicht auf, ohnehin fehlten die angekündigten Platters, die Drifters sowie die Coasters.

Die britischen Rock’n’Roller Joe Brown, Emile Ford & The Checkmates, Billy Fury ignorierte der Australier ebenfalls, einzig vom Auftritt von von Screaming Lord & The Savages geistert eine nicht im Film verwendete 5minütige Sequenz durchs Web. Vermutlich war der Lord zu wild und schräg oder die Stripperin zu heiss und deshalb kam die Schere zum Einsatz. Auch ein kurzer Einspieler von The Houseshakers‘ „Be-Bop-A-Lula“ ist erhalten geblieben, der Sänger dieser ehemaligen Begleitband des 1971 verstorbenen Gene Vincent war übrigens Graham Fenton und nicht Heinz, das wird immer wieder mal falsch gelistet auf DVD-Veröffentlichungen. The Houseshakers stellten an diesem Tag auch die Begleitband für Bo Diddley und Chuck Berry, mit Demolition Rock (1972) hinterliessen die Band der Nachwelt eine feine, leider unbeachtet gebliebene LP.

Heinz, der ehemalige Bassist der Tornados („Telstar“) stand auf der Bühne als die Türen geöffnet wurden und die Festivalbesucher ins Innere des Stadions stürmten. Hier kommt es wieder zu einer dieser unglaublichen Verknüpfungen die es nur in der Rockgeschichte gibt: Seine hippiesken Begleiter waren keine Geringeren als Gitarrist Wilko Johnson, Bassist John B. Sparks und Drummer John Martin die drei sollten in nicht allzu ferner Zukunft als Dr. Feelgood in die musikalischen Geschichtsbücher eingehen. Ich denke mir immer wieder mal, dass Heinz der in den Sixties mit „Just Like Eddie“ (eine Hommage an Eddie Cochran) einen Hit gelandet hatte, durchaus eine Alternative gewesen wäre zum Feelgood-Frontmann Lee Brilleaux. Leider ist es auch nie zu einer späteren Kollaboration von Heinz und Steve Marriott einem der Erfinder des Stadionrocks gekommen, die beiden hatten ja 1963 im Movie Live It Up! (mit David Hemmings) gemeinsam vor der Kamera gestanden, der Film beinhaltete zugleich auch das Leinwanddebut eines gewissen Ritchie Blackmore der einen hüftverrenkten Auftritt mit seinen Outlaws ablieferte.





Bo Diddley: Das Kurzset umfasste „Roadrunner“ und „Mona“, und ja, diese „Mona“ ist göttlich, das was The Black Gladiator und seine Backgroundsängerin Connie V. alias Cornelia Redmond unterstützt von den Houseshakers bei ihrem Set auf’s Parkett legten ist schlicht atemberaubend, hier kam der wahre unverfälschte Kern der Musik zum Vorschein, Rock’n’Roll war nie hypnotischer und vielleicht ja doch ein vom Teufel inszeniertes Schauspiel. Bo’s Auftritt ist für mich die aufregendste Sequenz des Filmes, inklusive seiner schicken Tanzschuhe, Hut ab, ein solches Detail muss man erst mal erkennen hinter der Kamera. Als er nach seinem Set von Chuck Berry überschwänglich beglückwünscht wurde schien ihm das fast peinlich: „Ey Alter, ich hab‘ doch bloss meinen Job gemacht“.

Jerry Lee Lewis: Man hätte ihn genauso gut als Vertreter für Staubsauger oder Stabmixer durchwinken können, keiner hätte es gemerkt. Der „Killer“ steckte damals schon länger in der Krise, seine gar nicht mal schlecht gemachten Country- und Southernausflüge (z.B. die LP Who’s Gonna Play This Old Piano von 1971 oder The „Killer“ Rocks On von 1972) kamen weder bei seinen Fans noch beim avisierten Country-Publikum an, er hielt sich bei seinem Wembley-Set denn auch an seine alten Standards und wirkte ziemlich blass. 1973 folgten die London Sessions die Remo4 kürzlich unter die Lupe gelegt hat.

Bill Haley: Hier wird so richtig klar, dass die Zeiten sich gewandelt hatten. Das Bild des biederen Rock’n’Roll-Urgesteins und seiner Comets in Schlips und Anzug vor einer Wand aus Marshall-Türmen passt nicht wirklich zusammen und es verhielt sich ja auch tatsächlich so, dass dem Begründer des Rock’n’Rolls der künstlerische Sprung in die Seventies nicht gelang, stattdessen pflasterten unzählige Billig-Best-Of-Platten mit Hits aus den 5oern seinen Weg. Vor solchen Verstärkertürmen hatte Muddy Waters bereits in den späten 60ern gewarnt: Hütet euch davor, je grösser die Verstärker-Anlagen, desto geringer der musikalische Gehalt!


Little Richard: Klar, auch er hämmerte alte Gassenhauer in die Klaviatur. Little Richard hatte von allen alten Rock’n’Rollern wohl die grösste Wandlung durchgemacht, zur Zeit der Wembley-Revival-Show versuchte der irre Showman ja gerade ein Comeback bei dem er mit einer genialen Mixtur aus Soul, Funk und Rock herum jonglierte, beispielsweise beim Album King Of Rock And Roll (1971). Mehr Charisma und Rock in der Stimme ist eigentlich gar nicht möglich, da war wohl sogar der anwesende Zaungast Mick Jagger neidisch und vermutlich ging selbst „der da oben“ in die Knie vor seinem hervorragend geschminkten Prediger im sexy Bühnenoutfit.

Chuck Berry: Seine Auftritte hatten schon immer Qualitätsschwankungen, die Performance im Wembley gehört meiner Meinung nach nicht unbedingt zu seinen Grosstaten, jedenfalls erreicht das Set an diesem Abend längst nicht das Niveau der BBC-Show vom 29. März 1972. Vielleicht trugen auch die technischen Stage-Probleme ihren Teil dazu bei, beim Festival-Finale kam es gegen Schluss jedenfalls zu einem Stromunterbruch auf der Bühne, irgendwie passte das zum ganzen chaotisch wirkenden Event bei dem offenbar vieles improvisiert werden musste.

Den meisten der involvierten Alt-Stars verhalf The London Rock And Roll Show nicht wirklich zum Aufschwung ihrer Karriere. Das Rock’n’Roll-Revival riss schlussendlich eine nachkommende Generation an sich, gerade in England erlebte der Rock’n‘Roll ab Mitte der 70er eine Renaissance, die Abräumer hiessen beispielsweise Mud, Showaddywaddy, Matchbox (mit Graham Fenton) oder etwas später die Stray Cats, um die bluesige Abteilung kümmerten sich Acts wie Dr. Feelgood.

Ein offizieller LP- oder CD-Soundtrack mit den LIveaufnahmen der London Rock And Roll Show existiert nicht, das war/ist offenbar aus urheberrechtlichen Gründen nicht möglich. Manche Sampler suggerieren zwar sie seien so etwas wie ein Festivalsoundtrack, sie sind es aber definitiv nicht, normalerweise werden bei diesen billig aufgemachten Compilations Studio- und fremde, nicht am Festival gespielte Liveversionen obskurer Herkunft der einzelnen Künstler verbraten. Der Film zum Festival wurde nach Fertigstellung hauptsächlich von TV-Stationen ausgestrahlt. Die Qualität der kursierenden DVD’s ist unterschiedlich, High-End-Ausführung kann nicht erwartet werden. Den ganzen Film, aber auch nur einzelne Kapitel kann man sich kostenlos auf den bekannten Videoportalen zu Gemüte führen.

MC5 gingen Ende ‘72 in die ewigen Jagdgründe ein.

Roy Wood veröffentlichte mit Wizzard hervorragende
Platten (u.a. Eddie And The Falcons, 1974) und gründete
zusammen mit Jeff Lynne das Electric Light Orchestra.

Bill Haley verabschiedete sich im Jahr 1981 von dieser Welt.

David Edward Sutch nahm sich 1999 das Leben, er litt an Depressionen.

Heinz Burt starb 2000 an den Folgen einer Muskelkrankheit.

Bo Diddley wurde 2008 von seinem Herz im Stich gelassen, aber
bis dahin schaufelte er unermüdlich seine Grooves unter die Leute.

Chuck Berry ging zwar 2017 von uns, sein „Johnny B. Goode“ ist aber in Form
einer goldenen Datenplatte an Bord der Raumsonde Voyager unterwegs zu den Sternen.

Peter Clifton verstarb 2018, er hatte im Laufe seiner Karriere auch Videos für die Beach Boys, Eric Clapton und vor allem für die Rolling Stones produziert.

Jerry Lee Lewis lebt auf seiner Ranch Ranch in Nesbit, Mississippi, er war unzählige Male verheiratet.

Richard Wayne Penniman (aka Little Richard) wurde 1986 als erster der alten R’n’R-Garde in die Rock And Roll Hall Of Fame aufgenommen. Er lebt irgendwo in Tennessee und verbreitet vermutlich noch immer das Wort Gottes. Halleluja brothers and sisters, praise the Lord… halleluja, praise the lord… and I am the king… THE KING OF ROCK AND ROLL… halleluja!

IT’S ONLY ROCK’N’ROLL
(BUT I LIKE IT) !

mellow

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2 Kommentare

  1. Klasse „Coming Out“… hahaha!

    The London Rock And Roll Show sah ich irgendwann Mitte Siebziger als unsere alpenländische, staatliche TV-Anstalt (damals noch mit Monopol-Status) den Film im Jugendprogramm ausstrahlte. Bei Recherchen zu Bo, Little Richard und Heinz stolperte ich dann vor ein paar Jahren im Web wieder über den Streifen, respektive über einzelne Uploads daraus. Was mich beim Musikstudium immer wieder begeistert sind solche Querverbindungen, in diesem Fall Heinz/Feelgood oder Heinz/Marriott.

    mellow

  2. Als Zeitdokument passend. Gerade das etwas chaotische macht diesen Film aus und natürlich die rohen Mitschnitte der Auftritte. Die DVD hatte ich mir vor Urzeiten wegen Screaming Lord Sutch gekauft (die einzige Version die ich kriegen konnte war eine Gebraucht-DVD aus Uebersee – und so sieht sie auch aus). Angesehen, für gut befunden und weggelegt). Gut, könnte man sagen, und jetzt?

    Es ist mir klar, mir wird nachher die Dr. Feelgood / Wilko Johnson Fan- und Sammellizenz entzogen (ich oute mich trotzdem, auch wenn das auf der Peinlichkeitsskala eine 10+ erreicht). Mir war sehr wohl bewusst, dass Dr. Feelgood mal als backing Kapelle für Heinz herhielten. Aber das war ein kurzes Intermezzo und gut ists. Jahre später komme ich ins Gespräch mit einem „Brother In Arms“ und wir sprechen über die DVD und er fragt mich, „hast du übrigens Dr. Feelgood in dem Video gesehen“? Nein, natürlich nicht (und ich habs sofort zugegeben). Bis heute weiss ich nicht wie mir das entgehen konnte.

    Wenns irgendjemand anders gewesen wäre, d’accord, aber Dr. Feelgood und dann einen auf Ignoranz machen. Oder, sagen wir, ich wäre ein „casual“ Fan der Combo, ja, dann hätte ich Ausreden zuhauf. Aber so, das wird mich bis ins Grab verfolgen und dann steht auf meinem Grabstein „hier liegt ein selbsternannter Dr. Feelgood / Wilko Johnson Fan der die Band nicht mal im Hellen und am Revers angeschrieben erkennt“. Super „Experte“, vielen Dank.

    Cheers

    Roland

    P.S.: Diesen anderen Dr. Feelgood Fan habe ich vertraglich verpflichtet nie ein Wort darüber zu verlieren und seither mache ich jedes Jahr eine Banküberweisung in ungenannter Höhe, damit die Peinlichkeit nicht ans Licht kommt.

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