Klar, da weiss man auf der Stelle um was es geht: Sommer, Sonne, Ferien, Kalifornien, Mädchen, Jungs, endlose Parties und gnadenlos gute, beschwingte und schwerelose Popmusik die keinem etwas zuleide tut, irgendwo angesiedelt zwischen byrdsigem Jingle-Jangle-Folk, beatleskem Ob-La-Di-Ob-La-Da-Maxwell’s-Silver-Hammer-Gute-Laune-Pop, exotisch angehauchten aber leicht verdaulichen südamerikanischen Rhythmen, luftig, locker, beschwingt und immer mit Texten, Melodien und Harmonien versehen die man nach einmaligem Hören ohne grosse Anstrengung bereits vor sich hin summen kann. Oft auch in Moll- anstatt Dur-Tonart, ruhig und sanft aber eigentlich immer mit atemberaubend guten, vielstimmigen Gesangs-Arrangements, abgehoben, „Up, Up And Away“ (5th Dimension) sozusagen, am besten mittels Luftballon, Kaugummi- oder Seifenblase.
Ja, die musikalische Welle die ab ca. 1965 bis Mitte 70er um die Welt zog ist schon ziemlich einzigartig, entspricht aber durchaus dem damaligen Lebensgefühl. Diejenigen die nicht zu Hardcore-Beatfans oder Hippies mutierten sollten sich trotzdem der jungen Generation zugehörig fühlen und deshalb mit einer gesunden Portion Popmusik im Easy-Listening-Tarnmantel abgeholt werden, Popmusik für Erwachsene, für den Mittelstand, neu, frisch und mindestens so aufregend wie Farbfernsehen.
An vorderster Front traf man in diesem Segment selbstverständlich Easy-Listening-Papst Burt Bacharach an, oft flankiert von seinen Bischöfen Ray Conniff, Herb Alpert oder James Last die immer die aktuellsten Mode-Strömungen der Popmusik in ihre Produktionen packten. Natürlich, vielleicht war Sunshine Pop ein Stück weit auch die Flucht aus der Realität, die Epoche war ja gespickt mit Kriegen und der Wohlstand der Wirtschaftswunderjahre manifestierte sich längst nicht überall. Auch die Filmszene begann sich zu wandeln, die Streifen wurden realitätsnaher, die dazugehörigen Soundtracks von Goodbye Columbus (1967, The Association) oder The Graduate (1968, Simon & Garfunkel) setzten auf die Karte softe Popmusik, der argentinische Komponist Lalo Schifrin begann Jazz und Pop mit Hollywood zu verschmelzen und wurde damit zum unumstrittenen Filmscore-Trendsetter.
Ernst genommen wurde der Sunshine Pop aber eigentlich nie, höchstens einzelnen Vertretern wurde im Softtone-Segment ein gewisses künstlerisches Talent zugestanden, den Beach Boys etwa, den Beatles, Donovan, Mama & Papas, Turtles, Bee Gees, Paul Simon, Art Garfunkel und weiteren Gallionsfiguren. Wer die Scheuklappen angesichts leichter Muse ablegen kann, wer sich nicht von manchmal auftauchenden „sha-la-la-la‘s“, „dap-dap-dap-du-dap’s“ und „ba-ba-ba-pa-pa‘s“ abschrecken lässt, der wird auf eine gigantische Quelle unterschiedlichster Musik stossen, von den Tremeloes und ihrem Megahit „Silence Is Golden“ über The 5th Dimension, Vanity Fare, Mercy, The Cowsills, The Eight Day (die Popband, nicht das Soul-Projekt aus Detroit), The Love Generation, The Collage, The Aerovons, Sagittarius, The Free Design, The Pleasure Fair, The Friends Of Distinction (oder waren die doch eher Soul?), Chad & Jeremy die im Zuge der britischen Beat-Invasion in Kalifornien strandeten über die Szenegiganten The Association bis zu sogenannten Süsswaren-Vertretern wie The Archies, Peppermint Rainbow, Ohio Express, Lemon Pipers und 1910 Fruitgum Company. Der Gesang rückte fast immer ins Zentrum der Aufnahmen, schrille Begleitung war definitiv nicht angesagt, stattdessen gab es oft akustische Gitarre, Perkussion, Strings, Flutes und Gebläse, meistens gefällig und nie aufdringlich, Musik für die Lounge, für Gäste und Kellner in der Hotelbar oder für Liftmonteure die in abgrundtiefen Aufzugs-Schächten für das reibungslose Funktionieren dieser unverzichtbaren Personentransportgeräte sorgten.
Manche vom Sonnenschein geblendete Musiker bewiesen unglaublich Mut, die Vorzeige-Softpop-Souler 5th Dimension legten sogar „Sunshine Of Your Love“ (Cream) und „Moonlight Mile“ (Rolling Stones) auf ihren Seziertisch, für die Fans der betroffenen Bands natürlich ein Affront, selbst wenn die Resultate teilweise fantastisch gut sind, es ging ja um’s Prinzip. Bei der Mystic Astrologic Crystal Band , bei Peppermint Rainbow oder im Song „Free From The City“ der kanadischen The Poppy Family tauchte die E-Sitar auf, der Beweis, dass im Sunshine Pop so ziemlich alles erlaubt war was Spass versprach, aktuelle Trends wurden umgehend absorbiert und in den eigenen Sound integriert, so auch die fernöstlichen Sounds der Hippie-Bewegung.
Der Gesang teilte sich normalerweise in mehrere Stimmen auf, ein unüberhörbarer Grund der den Sunshine Pop in die Nähe solcher Acts wie Beatles, Hollies und Herman‘s Hermits rückte. Viele Gruppen und Ensembles umfassten weibliche wie männliche Sänger die sämtliche Stimmlagen abdeckten, hier gibt es durchaus Verknüpfungen zu Folk und zu volkstümlichem aber auch klassischem Chor und dem Doo Wop der in den 60ern mehrheitlich durch den moderneren Soul an den Rand gedrängt wurde, im Mittelpunkt stehende Solo-Shouter wie im Bereich der allmählich härter werdenden Rockmusik findet man im Sunshine Pop kaum. Viele Verehrer der „ernsten Beat- und Rockmusik“ bekunden natürlich Mühe damit Musik zu akzeptieren die ohne heulende Gitarren, kreischende Orgeln und quiekende Schreihälse auskommt, wer die Moody Blues mag, hat vermutlich weit weniger Vorurteile zu überwinden. Wo man die Grenzpflöcke einschlagen soll ist gar nicht so einfach zu beurteilen, die Genre-Grenzen überlappen sich an allen Ecken und Enden, von Beat, Folk, Swing, Schlager, Chanson, Canzone über Baroque Pop zum Shop mit Bubblegum- und Peppermint-Produkten in der Auslage und selbst der Pillen-Dealer am Surfer-Strand ist nur einen Katzensprung vom Verkäufer in die Sonnenbrillen-Abteilung entfernt. Es bleibt schlussendlich eine individuelle Entscheidung wie man Gruppen und dazugehörige Tonträger im Genre Sunshine Pop einordnen will.
Natürlich verhält es sich beim Sunshine Pop genau gleich wie bei jeder anderen Musik-Sparte auch, es gibt in diesem Bereich Juwelen (z. B. den göttlich guten Groovehammer „Broken Heart“ von den Thee Prophets), es existieren aber auch Dinge die man lieber nicht hören will, ich vermute auf die Partridge Family hat wohl niemand wirklich Lust, ich persönlich auch nicht.
Ein ausgezeichneter Startpunkt für eine Exkursion ins Gebiet Sunshine Pop ist die Compilation Chartbusters USA: Special Sunshine Pop Edition (2009) aus dem Hause ACE Records, eine „Sonne im Herzen“-Zusammenstellung die geläufige Namen, aber auch unbekannterer Künstler berücksichtigt.
Einige Exponate der Sonnenschein-Stilrichtung liegen bei derzeit unter dem Mikroskop und ich bin schlicht begeistert von den Fundstücken die sich als schwergewichtige Tresore mit kostbarem Inhalt entpuppt haben. Und ja, ich lasse es mir nicht nehmen in nächster Zeit einige dieser vergessenen Juwelen einer genaueren Prüfung zu unterziehen.
LONG LIVE SUNSHINE POP!
mellow
Nachtrag:
Die eingestreuten „Sonnenbilder“ entstanden 2019 auf unzähligen Entdeckungstouren, unmittelbar vor, hinter und neben der Haustür des Schreiberlings. Merke: Sonnenschein findet man fast überall. Ausser es regnet oder die Nacht hat grad das Sagen.