Eigentlich war es nur ein Versuchsballon mit dem der britische Produzent, Songwriter, Musiker Mike Hurst (er spielte in den Sixties mit Dusty Springfield bei The Springfields, danach entdeckte er Cat Stevens) zusammen mit dem Gitarristen Ray Fenwick (Spencer Davis Group), den Studiomusikern Mo Foster (Bass), Henry Spinetti (Drums) und dem Session-Keyboarder und Arrangeur Alan Hawkshaw den Rock-Klassiker „Wild Thing“ von Chip Taylor etwas auffrischen wollte.
Der Titel sollte gemäss Hurst „sexy“ und schmissiger als die Troggs-Version von 1966 daherkommen und andererseits nicht so ausgeflippt extrovertiert wie die Stage-Version von Jimi Hendrix klingen, er sollte ganz einfach der Glamrocklandschaft des Jahres 1973 angepasst werden. Der Titel erhielt in der Bearbeitung einen kraftvoll stampfenden Unterbau und einen knurrenden Fuzzbass verpasst worüber die hart gespielte Gitarre von Fenwick und das zirpende Synthesizer-Solo von „Musical Director“ Hawkshaw zu liegen kamen. Die Backingvocals stammten von Hurst und Fenwick den Leadgesang – respektive das Gestöhne – wurde von Helen Caunt übernommen, eigentlich gar keine Sängerin, man kannte sie viel eher von einem bebilderten Auftritt in einem Herrenmagazin (Penthouse UK, 1971, Vol. 6). Egal, es war ja nur Spass, „Wild Thing“ wurde auf Single gepresst und von Atlantic in Europa unter dem Namen Fancy (ein Kreation von Hurst, er fand der Name passe zu den Aufnahmen) in einer „Caunt-plus-schwarze-männliche-Models“-Hülle veröffentlicht.
Helen Caunt schaffte es mit einer offenbaren Fake-Fancy-Platzhalter-Band im Hintergrund immerhin auf den Bildschirm der holländischen TV-Musik-Show TopPop. Es geschah aber weiterhin nichts, erst als das Label Big Tree Records die Kurzrille 1974 in den USA auf den Markt brachte, mauserte sich „Wild Thing“ überraschenderweise doch noch zum Hit, zumindest in Übersee.
Um den Erfolg weiterverfolgen zu können wurde nun eine Band zusammengestellt: Hurst, Fenwick (der bei unzähligen Einsätzen als Studiomusiker auch für Jon Lord und Roger Glover arbeitete) und Foster engagierten den Drummer Les Binks der den vielbeschäftigten Spinetti ersetzte. Helen Caunt traute man die Position einer Leadsängerin nicht zu, stattdessen holte man sich Annie Kavanagh an Bord, sie hatte Erfahrung bei Bühnenversionen von Hair und Jesus Christ Superstar gesammelt, ausserdem war sie als Backgroundsängerin tätig gewesen und als solche hatte sie sich eigentlich auch bei Solid Gold, der Produktionsfirma von Mike Hurst beworben. Die Chemie mit Annie Kavanagh stimmte auf Anhieb, es entstanden weitere Titel um möglichst schnell einen Longplayer präsentieren zu können. Mit der LP Wild Thing im Gepäck ging es 1974 als Anheizer für Steppenwolf, Kiss und Wishbone Ash auf US-Tour. Die Album-Auskopplung „Touch Me“ wurde nochmals ein kleinerer Hit in den Staaten, die LP hingegen verkaufte sich weniger gut, auch in Britannien und dem Rest von Europa lief das Geschäft eher lausig, da halfen auch umjubelte Auftritte in der US-Metropole Los Angeles nichts.
Atlantic verlor danach das Interesse, Mike Hurst handelte einen Vertrag mit Arista Records aus und produzierte 1975 die Nachfolge-LP Something To Remember die in den Staaten mit anderem Cover als Turn You On in den Plattenläden strandete. Dieses zweite Album ist bereits wesentlich organischer als das Debut Wild Thing, man hört hier deutlich, dass die Platte in einem Rutsch produziert wurde und Fancy mittlerweile ein eingespieltes Kollektiv waren. Die Musik hatte sich nicht gross geändert, zumeist war es bluesiger Hardrock mit Ohrwurmpotential, da und dort mit funky Kolorierung, immer mit tanzbaren Grooves und der grossartigen Stimme von Kavanagh die gar nicht so weit weg angesiedelt war von derjenigen einer Maggie Bell. Das exquisite „She’s Riding The Rock Machine“ wurde eine weitere Single-Auskopplung, erlitt aber ebenso Schiffbruch wie die Vorgänger-Single „Music Maker“, auch eine Tour mit 10cc brachte Fancy keinen Schritt weiter. Irgendwie strandete dann die Unternehmung Fancy und als Ray Fenwick von einem legendären Rockshouter angefragt wurde ob er Lust hätte bei einer neuen Band einzusteigen, sagte er zu, die nächsten Jahre wurde er zu einem Eckpfeiler der Ian Gillan Band. Les Binks tauchte bei Judas Priest und bei Roger Chapman wieder auf. Mike Hurst produzierte weiter, mit Showaddywaddy landete er in den Charts dort wo Fancy nie hingekommen waren, an der Spitze. Mo Foster spielte wieder mehrheitlich im Studio für andere Künstler Bass und Annie Kavanagh schlug sich nach Fancy wieder als Sessionsängerin durch, verabschiedete aber sich zu Beginn der 80er nach Australien und arbeitete dort später als Gesangslehrerin.
Fancy waren ein kurzes Kapitel in der Geschichte der Rockmusik, der Produzent und die beteiligten Musiker hatten eine Zeit lang ihren Spass damit und konnten die Chose dann problemlos weglegen und sich neuen Arbeiten zuwenden. Die beiden LP’s wurden 2001 von Angel Air Records auf CD zusammengefasst.
Wie ich auf die vergessenen Fancy stiess möchte der geneigte Leser wissen?
Nun, kürzlich stolperte ich über die Single „She’s Riding The Rock Machine“ und nachdem sie sich mittlerweile zu einem der am häufigsten angewählten Titel in meiner Jukebox entwickelt hat, war es nur eine Frage der Zeit bis ich mich intensiver um Fancy kümmern würde.
LONG LIVE BRITISH ROCK MUSIC!
mellow
Fancy – Wild Thing (LP, 1974, Atlantic / Big Tree Records)
01. Wild Thing
02. Love For sale
03. Move On
04. I Don’t Need Your Love
05. One Night
06. Touch Me
07. U.S. Surprise
08. Between The Devil And Me
09. I’m A Woman
10. Feel Good
11. Fancy (B-Seite von „Wild Thing“, Bonustrack CD)
Fancy – Something To Remember / Turns You On (LP, 1975, Arista / RCA)
01. She’s Riding The Rock Machine
02. I Was Made To Love Hime
03. You’ve Been In Love Too Long
04. Something To remember
05. Everybody Cryin‘ Merci
06. The Tour Song
07. Stop
08. Music Maker
09. Bluebird