Mitte 80er war ich ja ziemlich genervt von der damaligen Popszene und hatte die Nase voll von all dem synthetischen Mist à la Wham, Frankie Goes To Hollywood oder Depeche Mode, versuchte diese neue Popmusik zu ignorieren (allerdings mochte ich Falco, Julian Cope, The Church, die Psychedelic Furs), begab mich stattdessen auf Spurensuche, lebte in musikalischen Mauerrissen und hoffte darauf, dass sich die Musikwelt von selber heilen würde, das Warten auf ein Wunder sozusagen…
So verpasste ich natürlich dies und jenes, beinahe auch The Damned die sich 1985 neu erfunden hatten. Ich muss zugeben, ich verlor sie eigentlich schon vor ihrem überwältigenden Black Album (1980) für ein paar Jahre aus den Augen, ich hatte vermutlich ganz einfach zu viele andere musikalische Baustellen. „Grimly Fiendish“ kriegte ich dann aber mit, der Song lief ab und zu in der Kneipe in der ich Stammgast war, trotzdem war das anno domini keine Veranlassung mich mit Phantasmagoria näher zu beschäftigen, im Nachhinein betrachtet ein Versäumnis. Heute, mit Jahrzehnten Verspätung höre ich dieses faszinierende Album mit geläuterten Ohren.
Die Punkveteranen The Damned waren brutal in die Krise gerutscht, ihre Gallionsfigur Captain Sensible klinkte sich nach einigen Achtungserfolgen als Solokünstler aus, überliess Sänger David Vanian und Trommler Rat Scabies die zwischenzeitlich ohne Plattenvertrag dastanden, ihrem Schicksal. Die verbliebenen Verdammten gaben allerdings nicht auf, sie zimmerten sich über Nacht ein neues Image, machten die Dracula-Suspense-Aura ihres Sängers zur Bandnorm und traten damit eine Welle los, Experten bezeichneten die neue Sparte im Nachhinein als Gothic-Rock.
Bei MCA kriegten The Damned Asyl, die Anfang ’85 veröffentlichte Single „Grimly Fiendish“ stieg die britischen Charts hoch. Im April standen The Damned für zwei Wochen im Studio und spielten Phantasmagoria ein. Der damned’sche Punkrock rutschte aus dem Blickfeld, stattdessen dominierten nun Pianos und Fairlight-Synthesizer (obwohl zu der Zeit eigentlich kein fester Keyboarder zum Lineup gehörte, live bediente jedenfalls Paul Shepley die Tasten) die Szenerie. Bei The Damned entstand trotz dieses Tastenzubehörs eine gelungene Gratwanderung zwischen alt und neu, glasklar, dank der transparenten Produktion jederzeit nachvollziehbar und in keinem Moment erdrückend, stattdessen mit Augenzwinkern und Humor auf den Punkt gebracht.
Es sind allesamt kleine Preziosen die von Rat’s Drumming angetrieben werden, die einzelnen Songs sind faszinierende Melodiebögen mit der Gabe den Geist des Zuhörers auszuklinken. Und an Experimentierfreude fehlte es wahrlich nicht: Bei „Street Of Dreams“ wird frech ein Sax eingeflochten und auf den zahlreichen existierenden Alternativversionen welche die Record Company begleitend als Singles (7-inches/12-inches) veröffentlichte, wurde der Fairlight ausgelotet, dass es eine wahre Freude ist. Gitarren gab es natürlich noch immer, nicht mehr so dominant wir zu Sensible-Zeiten, aber zu verfolgen wie sie aus dem Nichts auftauchen, sich jeweils herausschälen und aufbauen im Gesamtsound ist schon faszinierend.
Phantasmagoria ist schlussendlich ganz grosses Ohrenkino geworden, da verschmilzt die Musik in perfekter Art und Weise mit dem auf Kniehöhe herumwabernden Nebel…
LONG LIVE GOTHIC ROCK!
mellow
The Damned – Phantasmagoria
(LP, 1985, MCA / DoCD, 2009, Universal/Island)
Disc 1:
1. Street Of Dreams
2. The Shadow Of Love
3. There’ll Come A Day
4. Sanctum Sanctorum
5. Is It A Dream
6. Grimly Fiendish
7. Edward The Bear
8. The Eight Day
9. Trojans
Bonustracks:
10. Grimly Fiendish
11. The Shadow Of Love
12. Is It A Dream
Disc 2 (Bonusmaterial):
1. Grimly Fiendish
2. Edward The Bear
3. The Shadow Of Love
4. Nightshift The Damned
5. Let There Be Rats (Rat Scabies)
6. Wiped Out (Rat Scabies)
7. Would You
8. Is It A Dream
9. Street Of Dreams (Live)
10. Curtain Call (Live)
11. Pretty Vacant (Live)
12. Wild Thing (Live)
13. The Shadow Of Love (BBC Radio 1 Session)
14. Is It A Dream (BBC Radio 1 Session)
15. Street Of Dreams (BBC Radio 1 Session)
The Damned (1985):
David Vanian – Vocals
Rat Scabies – Drums
Roman Jugg – Guitar
Bryn Marrick – Bass
Andy Richards, Paul Shepley – Keyboards