O’Jays – Ship Ahoy (1973)

Ship Ahoy… Ship Ahoy…  Ship Ahoy… Ship Ahoy… Ship Ahoy…

Der epische Track der anhand seines Titels Sonnenschein, Schaumkronen, blaue See und lustige Bootsfahrt suggeriert, entpuppt sich stattdessen als beklemmendes Soundgemälde, spätestens dann wenn die Ketten rasseln und Peitschen aus den Boxen knallen dürfte dem letzten Zuhörer klar werden, dass Ship Ahoy alles andere als Gute-Laune-Pop ist. Mit düsteren Farben wird hier das Szenario eines Sklavenschiffs des 18. Jahrhunderts skizziert, ein Seelenverkäufer, vollgestopft mit zusammen gepferchten, in Eisen gelegten Menschen die zumeist in die neue Welt verschleppt wurden und dort als Arbeitskräfte verkauft wurden. Ein unrühmliches Kapitel der Menschheit, für jeden der da involviert war, von Regierungen, Reedereien, Kapitänen, Seeleuten bis hin zu den afrikanischen Stammesfürsten die für Kohle Brüder und Schwestern jagten und an die nach der „Ware“ geifernden Händler verkauften…

Das in Philadelphia beheimatete Songwriter/Produzentengespann Kenneth Gamble / Leon Huff und ihr Vorzeige-Gesangstrio The O’Jays knüpften 1973, nach dem riesigen Erfolg des 72er-Albums Back Stabbers und der diversen daraus ausgekoppelten Hitsingles, unverdrossen weiter an ihrem höchst eigenwilligen, sozialkritischen Soulrock-Teppich. Im Gegensatz zu vielen anderen Genre-Artisten wurden The O’Jays , ähnlich wie die Staple Singers, zur Stimme des schwarzen Amerika: Hier hatte jemand etwas zu sagen, hier verwoben sich kirchlich/christliche Gospel-Aspekte mit politischen Botschaften, respektive der Forderung nach Emanzipation, sozialer Gerechtigkeit und Zugang zum Bildungwesen für farbige Bürger.

Die Produzenten lieferten nicht nur die entsprechenden Kompositionen, Gamble/Huff’s hauseigene Band MFSB (Mother, Father, Sister, Brother) versorgte die The O’Jays -Sänger Eddie Levert, Walter Williams und William Powell zudem gleich mit den passenden Grooves und geschmackvollen Strings, Arrangements gar nicht mal soweit entfernt waren von denjenigen der Temptations.

Ship Ahoy ist allerdings alles andere als eine billige Motown-Kopie, Songs wie „Put Your Hands Together“ oder „This Air I Breathe“ sind hervorragende Beispiele dafür, wie sich der Soul der alten Schule in eine neue elektrifizierte, von Funk und Rock durchzogene Form veränderten.

Ob man auf diesem Album dem sogenannten Ur-Philly-Sound (oder Philly-Soul) in Reinkultur begegnet (bevor sich alles in Disco veränderte) weiss ich echt nicht: Es geht hier musikalisch extrem abwechslungsreich zu und her, das später oft abschätzig benutzte Philly-Sound-Etikett (als plötzlich etablierte Musiker wie B.B. King nach Philadelphia pilgerten um sich diesen „Sound“ zu holen) kann ich nirgends ausmachen, Ship Ahoy ist ein absolut hochkarätiger, eigenwilliger und für das Genre thematisch aussergewöhlicher Longplayer.

LONG LIVE SOULFUL MUSIC!
mellow

 


O’Jays – Ship Ahoy (1973, Philadelphia International Records)
1. Put Your Hands Together (4:07)
2. Ship Ahoy (9:37)
3. This Air I Breathe (3:53)
4. You Got Your Hooks In Me (5:33)
5. For The Love Of Money (7:20)
6. Now That We Found Love (4:41)
7. Don’t Call Me Brother (8:56)
8. People Keep Tellin‘ Me (3:58)

Bonustrack auf Sony-Legacy-CD-Edition, 2003:
9. Put Your Hands Together (4:04)
(von der LP Live In London übernommen)

Nachtrag/Nachlese:
Neben Shop Ahoy würde ich dem Soul-Forscher auch Back Stabbers von 1972 empfehlen, die wohl bekannteste Langrille der O’Jays. Hier jagen sich die Hits, ein Kracher folgt dem anderen, unter anderem mit „992 Arguments“ und „Love Train“. Sozusagen das Fundament des Philly-Sounds, der Anfang der wohl erfolgreichsten Phase der O’Jays.

Live In London (1974) ist eine ausgezeichnete Scheibe, das Tracklisting lässt darauf schliessen, dass Live In London nach Back Stabbers anno 1973 aufgenommen wurde. Die O’Jays stellten unter Beweis, dass sie on stage eine Killertruppe waren.

Survival von 1975 ist mindestens so explosiv, keine Sekunde langweilig, beinhaltet mit „Give The People What They Want“, „Rich Get Richer“ und vor allem mit dem Titeltrack „Survival“ gewaltige Groovemonster, Rock’n’Soul wie er fast nicht aufregender gestaltet werden kann. Family Reunion (1975), das vierte Studio-Album für Philadelphia International Records, ist dagegen deutlich milder und ruhiger, nicht mehr so bissig, enthält aber mit „She’s Only A Woman“ einen feinen Soft-Souler und mit dem lapidaren Dance-Track „I Love Music“ ihren grössten Single-Erfolg. Leider veränderte sich mit „I Love Music“ bereits alles in Richtung polierter Discosound der den O’Jays nicht so gut zu Gesicht stand.

William Powell starb 1977 an Krebs, er wurde durch den Sänger Sam Strain ersetzt.

The O’Jays sind noch immer aktiv, aktuell mit Walter Williams, Eric Nolan Grant und Eddie Levert. Sie haben gerade erst das Album The Last Word (2019) und parallel dazu ein paar vorzügliche Videoclips („Stand Up“ / „Above The Law“) veröffentlicht und sie lassen sich nach wie vor nicht mundtot machen, die Missstände im scheinbaren Land der unbegrenzten Möglichkeiten verlangen nach wie vor nach kritischen Stimmen. Das derzeit grösste Feindbild der O’Jays – ein blondes Alien und Vertreter des Geldadels – bekleidet gerade das höchste Amt der USA und solange dieser Gegner sich im Weissen Haus verschanzt, solange wird es auch nötig sein, dass die O’Jays ihren „Love Train“ am Laufen halten.

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