Sugarloaf

Wem die Krone der besten US-Frühsiebzigerband gehört, darüber scheiden sich die Geister.
Für die einen heisst der Sieger Grand Funk Railroad, für andere sind es Mountain, Allman Brothers oder wer auch immer. Meine Liste umfasst in dieser Kategorie seit Jahrzehnten auch Sugarloaf, für mich eine der wenigen US-Bands welche das Prädikat „progressiv“ auch wirklich verdiente.


Die nach dem bekanntesten Berg in Colorado benannte Band wurde vom klassisch geschulten Keyboarder Jerry Corbetta 1968 in Denver gründet. Neben Corbetta der mit seiner markanten Stimme auch den Leadgesang übernahm, gehörten auch Bob MacVittie (Drums), Bob Raymond (Bass) und Bob Webber (Gitarre) zur ersten Formation die 1970 ihr erstes gleichnamiges Album für das Label Liberty produzieren konnte. Und wer hätte das gedacht: Die ausgekoppelte Single „Green Eyed Lady“ kletterte auf Platz 3 in den Charts, unglaublich eigentlich wenn man sich diese vielschichtige Komposition anhört. Das Debutalbum beinhaltete ebenfalls eine kurze Instrumentalversion von „The Train Kept-A-Rollin‘ (Stroll On)“ und schliesslich auch Corbetta’s Bach-Adaption „Bach Doors Man“ die zusammen mit „Chest Fever“ (The Band) zu einem klassisch angehauchten Lehrstück für „Hammondorgel mit Tiefgang“ (Orgelschlacht) fusioniert wurde.

Für die zweite LP Spaceship Earth (1971) wurde die Besetzung mit Bob (Robert) Yeazel um einen weiteren grossartigen Musiker erweitert. Yeazel war nicht nur ein glänzender Gitarrist, er betätigte sich auch als Komponist und Sänger, auf sein Konto geht der umwerfende, treibende Rocktrack „Tongue In Cheek“. Insgesamt eine hervorragende Platte, begeisternder, spannungsgeladener und abwechslungsreicher progressiver Rock der mit grossartiger Gesangsarbeit der Marke „Westcoast“ und fantastischen Melodien aufwarten konnte. Seite an Seite mit Oberliga-Bands wie Deep Purple, Iron Butterfly oder War waren Sugarloaf zu der Zeit bei gemeinsamen Konzerten ein sicherer Wert. Der grosse Vinyl-Erfolg blieb jedoch aus, die Singles „Tongue In Cheek“ und „Mother Nature’s Wine“ strandeten in den Charts und dann machte Liberty den Laden dicht.

Jerry Corbetta gab sich aber nicht so einfach geschlagen, obwohl die nachfolgende LP I Got A Song (1973 auf dem Kleinlabel Brut Records) von der Öffentlichkeit schlichtweg ignoriert wurde. Yeazel hatte mittlerweile das Weite gesucht und anstelle von MacVittie bearbeitete jetzt Myron Pollock die Trommelfelle. Die Platte heimste den verdienten Erfolg erst 1975 als Neuveröffentlichung mit dem zusätzlich hinzugefügten Titelsong „Don’t Call Us, We’ll Call You“ (gleichzeitig der neue LP-Titel) ein. „Don’t Call Us“ wurde zu einem weiteren Smash-Hit und in dessen Fahrwasser verkaufte sich auch der Longplayer ganz ordentlich. Es sollte allerdings der letzte grosse Erfolg von Sugarloaf bleiben, Jerry Corbetta schmiss das Handtuch, versuchte sich erst als Solointerpret und schloss sich dann den Four Seasons an.

2006 tauchte (aus Jerry Corbettas Archiv?) ein undatierter superber Sugarloaf-Live-Gig auf CD auf: „Bach Door Man“ wird hier zu einem ausufernden Monstrum und man merkt sofort, was für ein heisser Live-Act Sugarloaf auch in der Besetzung Corbetta/Webber/Raymond/Pollock war.
Da ich mittlerweile im Besitz einer Jukebox bin, war es nur eine Frage der Zeit bis auch Sugarloaf in der Kiste einen Platz beanspruchten. Eigentlich sind es bereits deren zwei, „Tongue In Cheek / Woman“ und „Don’t Call Us, We‘ll Call You / Texas Two-Lane“, zwei absolute Killersingles, wie geschaffen für so einen Musikautomaten.

Im Jahr 2016 starben kurz hintereinander Bob Yeazel, Jerry Corbetta und Bob Raymond.
Ihre Namen werden vielleicht allmählich in Vergessenheit geraten, aber die faszinierende Musik die sie erschaffen haben wird solange weiterleben wie es ihre Tonträger gibt und entsprechende Geräte um sie abzuspielen.

LONG LIVE ROCK!
mellow

 

Discography:
Sugarloaf (1970)
Spaceship Earth (1971)
I Got A Song (1973)
Don’t Call Us, We’ll Call You (1975)
Alive In America (2006, Live-Aufnahmen, undatiert, schätzungsweise von 1974/75)

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