Nein, ich bin nicht durchgedreht, es ist ganz einfach an der Zeit wieder einige weisse Flecken auf der Landkarte verschwinden zu lassen, sprich der neutrale Platzhalter zwischen Grün und Rot in der Mitte der italienischen Flagge: Italiens musikalische 60er sind wohl eines der riesigsten, zugleich aber auch unfassbarsten Gebiete der populären Musikgeschichte, da geisterten hunderte Beat- und Garageartisten durch die Szene, von Mailand über Rom und Neapel bis nach Palermo.
Ausgangspunkt ist die Compilation Ciao Bella! – Italian Girl Singers Of The 60s aus dem Hause ACE, eine wirklich gelungene Zusammenstellung die ins hintere Regal greift und Zeug zutage fördert das man nun wirklich nicht erwartet hätte. Bei den Mädchen verhält es sich ähnlich wie bei ihren singenden französischen Pendants: Viele steckten im traditionellen, an Kitsch und Zucker kaum zu überbietenden balladesken Pop-Canzone (Chanson, Schlager) der Fifties fest, aber einige dieser wilden Schönheiten wurden auch mit krachendem Beatsound hinterlegt („No“ von Mina), das verhielt sich bei den Italienerinnen genau gleich wie bei ihren Yé-Yé-Kolleginnen aus der benachbarten Grande Nation. Sie wurden mit britisch beeinflusstem Beat ausgestattet, in angesagte Easy-Listening-Bigband-Teppiche („Baluba Shake“, Brunetta) gewickelt oder mit Soulsound amerikanischer Prägung inklusive spector‘schen Kesselpauken und manchmal auch mit sonnengeflutetem Westcoastsound im Stil der Byrds oder Mamas & Papas ausgestattet, ein schönes Beispiel hierfür ist „Ragazzo Triste“ von Patty Pravo oder ganz am Schluss dieser Zusammenstellung „Cuore“ (1963) von Rita Pavone, ein gewaltiger, zeitloser krachender Schmachtfetzen mit pumpendem Basslauf und mit einer Länge von 3 Minuten und 40 Sekunden für damalige Verhältnisse in beinahe astronomischer Länge für einen Popsong. Fast immer in italienischer Sprache (Rita Pavone hatte ein paar ihrer grössten Hits in Deutsch gesungen, z.B. „Wenn ich ein Junge wär“ oder „Arrividerci Hans“), man war ja international akzeptiert in Sprache, Mode, Musik und Film: Cinecittà war das unbestrittene Hollywood Europas, beim jährlichen Songfestival in San Remo präsentierten sich Weltstars und einer wie Ennio Morricone definierte beinahe im Alleingang eine neue Art der Filmmusik.
In musikalischer Hinsicht entstanden im „Stiefel“ also tolle Dinge, sie zu entdecken allerdings keine leichte Aufgabe. „Groovy girl-pop from the land that brought you Pucci, Fellini and Morricone“ ist als Hinweis auf den CD-Inhalt auf dem Backcover aufgedruckt, treffend beschrieben wie ich meine und als Einstieg in eine unbekannte Welt durchaus geeignet…
mellow
Ciao Bella! – Italian Girl Singers Of The 60s
(CD, LP, Compilation, ACE 2015)
Tracklisting CD:
1. Brunetta E I Suoi Balubas – Baluba Shake
2. Mina – No
3. Ornella Vanoni – Il mio posto qual’è
4. Carmen Villani – Questa sinfonia
5. Isabella Iannetti – L’uomo d’oro
6. Rita Pavone – Il geghegè
7. Caterina Caselli – Sono qui con voi
8. Mina – Più di te
9. Catherine Spaak – La notte è fatta per rubare
10. Rita Monico – Thrilling (Le Regola del gioco)
11. Iva Zanicchi – Credi
12. Catherine Spaak – Penso a te
13. Mina – Se telefonando
14. Ornella Vanoni – L’appuntamento
15. Gigiola Cinquetti – Non ho l’età
16. Wilma Goich – Un bacio sulle dita
17. Isabella Iannetti – Quanti ragazzi
18. Patty Pravo – Ragazzo triste
19. Nada – Pà diglielo a mà
20. Milena Cantu – Un minuto e non più
21. Wilma Goich – Come un anno fa
22. Rita Monico – Non è mai tardi
23. Rita Pavone – Cuore
Die LP Ciao Bella! ist deutlich abgespeckt und beinhaltet lediglich 12 Titel.