Die französisch singenden Yé-Yé-Mademoiselles hab‘ ich ja bereits versucht ein wenig zu durchleuchten, allerdings scheint diese Epoche (die Sixties und die frühen Seventies) ein Fass ohne Boden zu sein, denn andauernd stosse ich bei der Recherche auf neue aufregende Funde.
Also Jungs mit deutsch singenden Beat-Bands gab es ja schon damals in Good Ol‘ Germany, aber die Mädchen scheinen mir doch arg zu kurz gekommen sein, da muss man tiefere Löcher buddeln um an geeignetes Material zu gelangen. Es war nicht die grosse weibliche Beat-Welle wie in Frankreich, aber auf ein paar bemerkenswerte Artefakte bin ich trotzdem gestossen, also Sängerinnen und Titel die es verdienen erwähnt zu werden da sie Original-Songs interpretierten, sich nicht in der Jux-Rolle verhedderten und sich nicht bloss auf’s simple Nachspielen anglo-amerikanischer Ware beschränkten und eben eher Richtung Beat denn Schlager tendierten, die uralte Schlacht aus der Abteilung Kunst versus Kitsch eben. Wer waren die femininen Pendants zu Drafi Deutscher der mit „Marmor, Stein und Eisen bricht“ ein unsterbliches Powerpopjuwel geschaffen hatte?
Einen guten Einstieg bildet die Compilation Beat Fräuleins – Female Pop in Germany 1964-1968 (Bureau B / Grosse Freiheit, 2012). Der Lumpensammler hat wirklich ein paar Juwelen an Bord von eher unbekannteren Namen wie Marion, Brigitt, Dominique oder Ruth Brandin, von bekannteren Namen wie Inga (Rumpf) und Joy (Fleming) am Anfang ihrer Karrieren aber auch von einer sehr bekannten Künstlerin wie Caterina Valente die hier mit „Kismet“ vertreten ist. Nicht immer überragend natürlich, aber trotzdem eine Scheibe die Spass macht, also vorausgesetzt man kann mit der Spezifizierung „Deutsche Beat-Girls“ etwas anfangen.
Details, Tipps und Empfehlungen von Mellow:
Marion Maerz (alias Marion Litterscheid) glänzte 1965 mit dem Titel „Er ist wieder da“ (geschrieben von Christian Bruhn), eine wirklich gelungene Nummer die sich vom üblichen Schlagerallerlei abhob, ziemlich nah dran an der Britin Twinkle deren „Terry“ sie zuvor gecovert hatte. 1967 erschien bei Hansa die LP Marion, eine charmante Langspielplatte mit Beat-Feeling die man sich auch heute noch anhören kann. 1971 gelang Marion Maerz ein weiterer Achtungserfolg, die LP Marion Maerz singt Burt Bacharach ist ein feines Exponat aus der Easy-Listening-Ecke. Den Titel „Hallelujah Man“ (1972) – eine Kollaboration mit Klaus Doldinger – kann man getrost in der Schublade verstauben lassen. Marion heiratete später Frank Elstner und zog sich vorübergehend aus der Musikszene zurück. Ihre späteren Comeback-Veröffentlichungen sind eher gewöhnlich, Allerweltsschlager eben, sprich keine Konkurrenz für ihre Sixties-Aufnahmen die Bear Family 1996 auf der CD Er ist wieder da zusammengefasst hat.
Die Elsässerin Dominique gehörte zu einer eher seltenen Gattung in Deutschland, sie war eine Protestsängerin, ganz im Geiste ihrer amerikanischen Vorbilder, inklusive Weltschmerz und tonnenschweren Anklageschriften in der Kehle: „Der ewige Soldat“ (eine Interpretation von „Universal Soldier“) oder „Sag mir wo die Blumen sind“ zeigen ganz klar die Marschrichtung auf. Ob man diese Songs auch noch auf Deutsch braucht sei mal dahingestellt, in den Sechzigern waren sie eben noch viel aktueller. Der Überflieger der LP Krieg im Frieden (1966) ist der exklusive geschriebene Bader/Westgard-Titel „Das Schlüsselkind“: Was für ein herrlich schräger anarchistischer Song, so richtig Anti-Yé-Yé, ein Killer, ein Brüller bei dem mir nicht ganz klar ist ob die Story nun wirklich ernst gemeint ist oder ob es eine zynische Übertreibung darstellen soll. Nach Abschluss ihres Musikstudiums verschwand auch der Name Dominique, die einstige Protestlerin machte unter ihrem Taufnamen Isoldé Elchlepp als Opernsängerin Karriere im klassischen Bereich.
Von Renate Kern (bürgerlich Renate Hildebrandt) wurde der Titel „Kiss And Shake“ für die Fräuleins-Zusammenstellung ausgewählt. Ich persönlich tendiere eher zu ihrer Single „Stop The Beat“ (1967), ein groovy Stampfer und 1a-Rausschmeisser-Partyabfackler-Song den ich mir für meine Jukebox organisieren will, das wäre dann jeweils der letzte Titel der gedrückt wird: „Stop the Beat, stop the Beat, die Party ist zu Ende, seid schön brav und geht nach Haus“… wie gesagt, eine Killernummer!
Auf Beat Fräuleins nicht vertreten, deshalb hier ein spezieller Verweis:
Ria Bartok (bürgerlich Marie-Louise Pleiss) aus Einbeck gehörte ganz klar zur Yé-Yé-Szene, sie sang denn auch fast ausschliesslich in Französisch (manchmal auch auf Englisch), ihre unzähligen Singles und EP’s waren für den frankophonen Raum gedacht. 1964 genehmigte sie sich einen deutschen Ausreisser und zwar in Form der Single „Zu schade dafür (Ska Doo Dee Yah) / Bist du wirklich treu, Sonny-Boy?“. Also dieses „Zu schade…“ ist nun wirklich ein Knüller, das ist pulsierender stampfender Ska und rockt wie die Hölle! Den Text kann man natürlich spülen, aber nicht die tolle Stimme von Ria (inklusive leichtem französischem Akzent!) und das vom Chor geshoutete „…schade dafür… zu schade dafür… zu schade dafür… yeah…“, also wenn das mal kein Ohrwurm ist! Ria starb 1970 im Alter von 27 Jahren, sie war mit brennender Fluppe eingepennt, der gleiche tragische Fauxpas der später auch Steve Marriott das Leben kostete.
Alexandra (Doris Wally Treitz) – die legendäre und von vielen Schlagerfans verehrte Sängerin – passt eigentlich nicht ins hier definierte Beat-Beuteschema, trotzdem besitzt ihr Song „Der Traum vom Fliegen“ so viel Beat und Originalität, dass ich ihn hier ohne mit der Wimper zu zucken auf die Liste setze. Die Drums im Stil von Phil Spector, die Strings mit tollen Rollen und der Text von Alexandra ist auch nicht schlecht. Und wenn ich schon am Wühlen bin: Auch Alexandras „Maskenball“ kann ich einiges abgewinnen, da finde ich ausreichend Rhythmus und Lyrics die mich aufhorchen lassen. Ich denke es wäre spannend gewesen zu sehen in welche Richtung sich Alexandra entwickelt hätte, ihr nebulös-mysteriöser Autounfall-Tod im Jahr 1969 macht solche Gedanken allerdings hinfällig. Es ist aber durchaus vorstellbar, dass sie wie Udo Jürgens in noch höhere Sphären aufgestiegen wäre. Okay, das für mich ungeniessbare „Mein Freund der Baum“ wurde in seinen Grundzügen zu so etwas wie einem frühen Parteiprogramm für die Grünen…
Es scheint so als hätte ich wieder mal eine äusserst kuriose Seite in der grossen Enzyklopädie der Musik aufgeschlagen und es ist zu befürchten, dass ich den Schacht in dieser Subsparte der Beatmusik weiter in die Tiefe treibe.
Fortsetzung folgt.
mellow
Hi McRonalds, ich wünsche dir auch ein gutes neues Jahr! Schön zu lesen, dass ich nicht ganz alleine bin mit meinem abstrakten Geschmack. Ich bin gerade eben auf weiteres, schlichtweg atemberaubendes Material gestossen, den Beat Fräuleins spendiere ich also mit ziemlicher Sicherheit eine Fortsetzung.
mellow
Toller Post, schön geschrieben und informativ. Ich liebe derartige Sampler. Die Songs ziehe ich mir jetzt gleich mal rein. Dank & Gruß (und noch schöne Neujahrsgrüße, die leider etwas verspätet kommen, denn ich war gezwungen meinen Provider zu wechseln) – Ronald;-)