Marmor, Stein und Eisen bricht – Gedanken zur Bestückung einer Jukebox

„Marmor, Stein und Eisen bricht“ von 1965, der legendäre Kracher von Drafi Deutscher And His Magics ist für mich irgendwie ein früher Leuchtturm der Sparte Powerpop. Zieht man sich zudem das alte Schwarz/Weiss-Video mit dem ungelenken Rollkragen-Drafi in dieser atemberaubenden Baumarkt-Utensilien-Kulisse rein, also das ist dann optisch ganz nah dran an Raumschiff Orion, Trash, aber liebenswürdig und innovativ für die damalige Zeit. Für mich, der sich derzeit mit der Bestückung einer Jukebox beschäftigt (Schwergewicht 60er/70er), ein definitives „Habenmuss“.

Letzte Woche war es soweit, ich fand die Single in VG-Zustand bei einem Verkaufsportal und nahm Kontakt mit dem Verkäufer auf und brauchte schlussendlich dafür nicht mal weit zu fahren, der Anbieter (ein DJ) wohnt bloss ein paar Dörfer weiter. Wir verstanden uns auf Anhieb, der Typ hat tausende von Tonträgern eingelagert, die Sammelwut packte ihn in den frühen 70ern, sprich seine Gattin lebt mit ihm in einer Wohnung die vollgestopft ist mit LP’s, Singles, CD’s. Um Platz in der Behausung zu schaffen, muss der Bestand jetzt ganz einfach abgebaut werden. Ich verzichtete darauf eine Kiste mit ca. 100 Kurzrillen querbeet durch die Genres zu kaufen, trotz supergünstigem Preis, nein ich ging gezielt vor. Drafi und ein paar ausgewählte Sachen: „Are You Ready“ von Pacific Gas And Electric„Baby Come Back“ von den Equals„The Good, The Bad And The Ugly“ von Hugo Montenegro„Rain And Tears“ von Aphrodite’s Child und „Amapola“ von den Spotnicks. Der sympathische professionelle Discjockey und Unterhalter verstand meine Zurückhaltung, weil genau ein solch messihaftes Verhalten hat ihm ja auch die derzeitige Platzprobleme beschert. Anyway, Drafi Deutscher rockt absolut zeitlos, die Single ist eine Punktlandung, also für mich.

  

Meine Rowe AMI RI-2 Canterbury (Bj. 1977) die ich von einem Kunpel übernehmen konnte, bietet Platz für 60 dieser antiquierten 45er, summasummarum also 120 Titel. Zur Erläuterung für Spätgeborene: Vinyl-Singles hatten eine A- und eine B-Seite (Platz für 2 Songs), sind gegenüber einem handelsüblichen Mp3 (1 Titel) auch Jahrzehnte später noch klar im Vorteil. Mechanisch in Top-Zustand, einzig die Befüllung musste bis auf ein paar wenige 45er komplett ausgewechselt werden.

Die Zusammenstellung einer Jukebox-Füllung ist die eigentliche Knacknuss.
Wohin soll die Reise gehen?
Sixties-Beat?
Rock’n‘Roll, Soul, Garage?
Rock, Glamrock, Country?
Allgemeine Goodtime-Songs?
Comedy, Nonsens?
Oder NDW?
Schlager?
Disco?
Punk?
Okay, Punk ist schwierig, weil damals wurde oft statt des üblichen 1½-Zoll-Mittellochs der LP-Mittelloch-Standard verwendet und der funktioniert mit einem klassischen Musikbox-System definitiv nicht, die 45er müssen locker auf den Plattenteller „fallen“ und können nicht „aufgesteckt“ werden.

Ich sitze mittlerweile stundenlang vor der Kiste und zerbreche mir den Kopf über die Musikzusammenstellung. Prinzipiell habe ich mich für eine 60er/70er-Ladung entschieden, ein paar Ausreisser ausgenommen (STS‘ „Fürstenfeld“, Spider Murphy Gang’s „Sperrbezirk“). Die Spannweite reicht von Beatles‘ „Sie liebt dich“ über Stones‘ „We Love You“, von The Beethovens aus Dänemark bis zum (wie bereits erwähnt) guten alten Marmor-Drafi, von Dana („Wenn ein Mädchen verliebt ist“ – 1971, toller Basslauf!) bis zu Gassenhauern von The Who, Sauterelles, Yardbirds, Easybeats, Ten Years After, Canned Heat, Guess Who („No Sugar Tonight“), Slade, T. Rex, Suzi Quatro (fast immer mit klasse B-Seiten), Rubettes (perfekte Jukebox-Grooves), BTO.

  

Frag‘ mich keiner wieso, die Franzosen sind in meiner Box ebenfalls gut vertreten: Der amerikanische Schauspieler Lorne Greene mit einer faszinierenden französischen Bonanza-EP (für die Mp3-Kids: Singlegrösse aber extended, das heisst mit 4 Titeln versehen) da drauf hat es mir vor allem der Sprechgesangtitel „Ringo“ angetan, Jacques Dutronc (2 EP’s, bei Vasco’s Ventilator Records in Winterthur erwischt), Nino Ferrer, Les Poppys (französischer Kinderchor, da bleibt einem die Luft weg, der Basslauf beim 71er-Kracher „Non, non, rien n’a changé“ wurde bei „Hey Joe“ ausgeliehen) seit dem gestrigen Besuch im nahen Brockenhaus auch noch die beatende Sängerin France Lys mit einer ausgezeichneten Single von 1963, ihr „Le Sifflet Des Copains“ mit wunderschön wimmerndem Orgelsolo. Mint übrigens, aus einem Single-Ordnerbuch (mit noch mehr Mint-Singles drin) das ich für lumpige 9 Alpendollars erstanden habe. Okay, Roy Black’s „Ganz In Weiss“ aus dem Sammler tu ich mir nicht an, dafür aber Alain Barrere’s betörender Schmachtfetzen „Tu T’en Vas“ (1975,  ein Duett mit der Sängerin Noelle Cordier) oder die bis gestern noch jungfräuliche Sweet-Single „Poppa Joe / Jeanie“, „The Never Ending Song Of Love / Cincinnati“ und das Who-Cover-Medley „See Me, Feel Me / Pinball Wizard“ der New Seekers. Italiener sollten natürlich auch in der Kiste vertreten sein, deshalb ging gestern auch noch I Santo California’s „Tornero / Se Davvero Mi Vuoi Bene“ (1975, die B-Seite mit feinem Gitarrensolo) mit, seinerzeit war das ein massiver Hit in unseren Gestaden. Die Holländer sind ebenfalls unverzichtbar, sind vertreten mit Golden Earring und deren „Buddy Joe“ und Shocking Blue’s „Inkpot“.

Manche Titel fallen im Nachhinein durch, die sind schlecht gealtert, werden zur Qual.
Gestern mussten Danyel Gerrard mit seinem „Butterfly“ und Medicine Head mit „One & One Is One“ dran glauben, unglaublich langweilige Nummern. Nun, die gehen vorerst mal zurück in die Warteschlaufe und erhalten bei Gelegenheit eine zweite Chance.

  

Mein Fazit (drei Monate nach meinem persönlichen Schallplatten-Comeback):
Witzigerweise hat sich mein neues Hobby bereits herumgesprochen in der Bekanntschaft. Manche Besucher bringen alte 45er vom Dachboden mit die sie auf diese Art und Weise elegant entsorgen wollen oder sie drohen es zumindest an. Hey Canvey, wann schaust du vorbei?. Dass ich mich eines schönen Tages über solche Exponate freuen könnte, das hätte ich in den Anfängen meiner Sammlerkarriere wohl bezweifelt. Ich habe aber riesig Spass an dem Zeug und bleibe dran, halte Augen und Ohren offen und jage weiterhin mit Genuss diesen lustigen kleinen Vinyl-Schallplatten mit ihrem unvergleichlichen Zeitkapselgeschmack nach. Jetzt fällt mir doch gerade auf, dass ich noch nichts von den Small Faces und den Kinks in die Kiste gepackt hab‘, ein Zustand der so natürlich nicht geht und demnächst geändert werden muss…

LONG LIVE ROCK!
mellow

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7 Kommentare

  1. Wow! Tolles Hobby so ne Boxbestückung. Hätte ich eine – müssten auf alle Fälle Cats -one way wind, Chicago – old days, C.W.McCall – Concvoy und 3 Degrees When will I see you again mit dabei sein.
    Mit Danyel Gerrad – da sagste was: Hab mich gefreut, den wiederzufinden und auf Autobahn-CDs zu brennen – und bald schon hab ich dann immer geskippt. Muss man wohl wirklich nur einmal im Jahr hören, die Nummer.
    Mit Medecine Head geht es mir allerdings anders. One and one is one geht IMMER.
    Last date von Floyd Kramer wär auch so was schööööön antiquiert klingendes für ne Juke box…
    Und was ist mit Jukebox-Jive von den Rubettes?
    Hach. Ich fange an zu träumen …

    1. Skippen gibts nicht bei einer Jukebox, stattdessen ist da „nicht drücken“ oder „auswechseln“ angesagt, oder „hoffen, dass der Gast nicht die unmögliche B-Seite wählt“.
      Rubettes sind schon mit „Foe-Dee-O-Dee“ und I Can Do It“ vertreten, aber der „Jukebox Jive“ wäre durchaus eine Wechseloption. Man sieht, das Thema ist noch lange nicht gegessen…

      1. Was mir zum Thema noch einfällt: Außer Drafi Deutscher, Lolitas Seemann lass das träumen oder Johnny Cashs deutschen Versuch „Wo ist zu Hause Mama?“ gehören in Juke Boxen auch irgendwie so Kuriositäten, die der ahnungslose Besucher drückt, um dann zu erschrecken. Der Gastgeber kann dann süffisant grinsen und erklären: „Wollte bloß mal testen, wer der erste Dödel ist, der DEN Song drückt.“ Dann ist für abendfüllenden Gesprächsstoff gesorgt. Empfehlungen in dieser Richtung wären: Was von Frank Schöbel zum Beispiel, oder Dean Reed oder so Singeclub Kram der alten DDR (Welthjugendlied oder „Da sind wir aber immer noch“ 🙂

        1. Aus genau diesem Grund steckt bei mir beispielsweise die Kapelle Walter Wild mit der Nummer „Es Bier, es Bier, es Bier (Bier-Walzer)“ (Hochdeutsch: „Ein Bier, ein Bier, ein Bier“) und der B-Seite: „Grüss mir Lugano“ in der Kiste. Swiss Folk Music von Ende 1930er-Jahre in einer Wiederveröffentlichung von Mitter 1980er. Irgendwie rockt das das Zeug, liegt vielleicht auch am Titel. Marthely Mumenthaler (offenbar war sie gemäss familieninterner Quelle mit meiner Grossmutter väterlicherseits verwandt) hätte ich aus der gleichen Reissue-Serie auch noch im Angebot, aber leider ist die Single „Nach em Räge schint Sunne“ in grottenschlechtem Zustand…

  2. …ich würde das Gerät zeitnah bestücken – also Hits aus dem Bereichs des Baujahrs. Hier ein paar Vorschläge, die zumindest bei mir selbst gut ankämen:-) Chicago / If You Leave Me Now, David Dundas / Jeans On, Jeanette / Porque Te Vas, Oliver Onions / Sandokan, Johnny Wakelin / In Zaire, Steve Miller Band / Rock’n Me, Bill Withers / Lovely Day, Boney M. / Sunny, Marvin Gaye / Got To Give It Up, Santa Esmeralda / Don’t Let Me Be Misunderstood, Space / Magic Fly, Bee Gees / Night Fever, Franki Valli / Grease, Marshall Hain / Dancing In The City, 10cc / Dreadlock Holiday, Rolling Stones / Miss You, Silver Convention / Fly Robin Fly, Donna Summer / I Feel Love, Van McCoy / The Hustle, ELO / Evil Woman, etc. Du kannst natürlich auch ein paar Deutsche Schlager reinstreuen, aber die Vorschläge dafür erspare ich mir jetzt mal besser… Gruß – Ronald;-)

    1. Fragt sich bloss was ist „zeitnah“? Die Wahrnehmung vergangener (respektive selber erlebter) Epochen ist halt irgendwie schon recht individuell und ist ja sicher ein Stück weit auch länderspezifisch, sprich regional geprägt. Ausserdem änderte sich im Musikbereich in der „goldenen Zeit“ doch alles rasend schnell, 1973 unterscheidet sich im Popbereich doch erheblich von 1978, also im Nachhinein betrachtet. Nun, schlussendlich ist’s wohl eine Frage des persönlichen Geschmacks. Ich selber bin ja mit Glam gross geworden, allerdings zog mich mein Entdeckerdrang doch schon bald in weitere musikalische Ecken, aber das frühe Glamzeug ist eben irgendwie lebenslang hängen geblieben. Boney M. oder Oliver Onions geht bei mir nun gar nicht, nein, no chance, auch ABBA geht nicht. 10cc’s „I’m Not In Love“ hab‘ ich wieder rausgenommen weil es irgendwie ein Fremdkörper war in der aktuellen Zusammenstellung der Kiste, wahrscheinlich einfach zu ruhig. Jetzt fällt mir doch glatt noch eine weitere Single ein den ich der Box verpassen muss: Mott The Hoople und ihr „The Golden Age Of Rock’n’Roll“, weil die Nummer hab‘ ich anno 1974 doch gehört bis zum Abwinken. Das könnte auch das Motto meiner Jukebox sein, also einfach Musik aus dem „Golden Age Of Rock’n’Roll“, egal wo man die Zeitreiter setzt.

      mellow

      1. …bei 10cc / I’m Not In Love gebe ich Dir Recht – das passt irgendwie nichtin eine Musicbox – gleichwohl ist das ein Klasse-Song. Ich führe schon seit vielen, vielen Jahre eine Liste mit wirklich unvergleichlichen, einzigartigen Liedern, die bis heute nur 36 Songs umfasst – und eines davon ist I’m Not In Love. Ich glaube ich ziehe mir das jetzt mal wieder rein… Gruß – Ronald;-)

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