Die Einladung kam über einen Social-Media-Kanal:
Samstagnachmittag, Schallplatten- und CD-Börse in einem Musik-Pub in der Nähe.
Na gut, sagte ich mir, mal wieder an der Zeit für wenig Kohle den Grabbelbox-Stapel aufzustocken.
Was ich nicht wusste war, dass die komplette Sammlung eines verstorbenen Musikliebhabers aufgebahrt und zum Verkauf angeboten wurde. Tragisch, da investiert ein Musikfreak Jahrzehnte seines Lebens in seine grosse Liebe und zum Schluss wird alles verscherbelt weil keiner seinen Nachlass haben will, das Erbe ausschlägt. Vielleicht weil das Vermächtnis des mir unbekannten Musikfreundes physisch zu umfangreich war, oder die Jugend von heute das Interesse an guter Musik verloren hat? Nun, ich machte mir so meine Gedanken als ich mich durch das Angebot wühlte. Alles natürlich spottbillig, der Kneipenbesitzer wollte ganz einfach nicht, dass diese musikalischen Erinnerungen im Müll landeten, er rettete das Archiv sozusagen vor der Vernichtung.
Wer der Verstorbene wohl war?
Sicher einer mit einem breiten musikalischen Spektrum, anhand der Exhibition, einer der sich auskannte mit Sixties (Beatles & Stones, Rücken an Rücken, harmonisch vereint), Seventies, Progrock, Westcoast, Rock aus Deutschland (Guru Guru / Jane / Jeronimo etc.), Eighties-Mainstream-Pop und klassischem Hard- und Bluesrock (reiner Blues weniger). Aber auch Country und Südstaatengebolze liess sich ausmachen, und neben etwas Soul waren sogar ein paar wenige Schlager-CDs bei ihm gestrandet (ganz bestimmt Geschenke von Mama oder Schwiegermutter, so à la „Der Junge mag doch Musik.“). In den 80ern setzte er ziemlich sicher auf die Karte „Heavy Metal britischen Ursprungs“, mit hollywood’schem Haar-Fön-Metal hatte er dagegen nichts am Hut, mit Punk auch nicht.
Das Vinyl in den Kisten sehr gepflegt, viele Exponate in zusätzliche Klarsichtschutzhülle verpackt, und hier findet sich denn auch Jazz. Ich denke er ist einer gewesen, der Jazz am liebsten in seiner altmodischen Form auf den Plattenteller gelegt hat.
Durch Umlagerung, Abpacken in Kisten und Transport geriet alles ziemlich durcheinander, denn ursprünglich war die Sammlung wohl nach Alphabet geordnet, zusätzlich unterteilt in Genres, einzelne Fragmente des originalen Archivierungs-Systems noch klar erkennbar.
Nach 2 Stunden „Jagd“ sitze ich nachdenklich mit einem Turm herausgefischter Tonträger bei einer Tasse Kaffee an der Bar. Irgendwie verrückt denke ich mir, während ich mit dem Jewel-Case einer uralten VENTURES-Best-Of (von 1990, mit VENTURES-Radio-Werbejingles und Interview mit Bob Bogle und Don Wilson) herumspiele.
War es das?
Aus die Maus?
Die musikalische Erfahrung eines Menschenlebens für immer in alle Winde zerstreut?
Ist es nicht schade, dass nun niemand mehr die Geschichten und Anekdoten die hinter all diesen Tonträgern stecken, erzählen kann?
Ich glaube, dass ich mit der Hinterlegung meiner Forschungsberichte, Rezensionen und Gedanken im ROCKZIRKUS einen guten Weg gefunden habe um wenigstens Teile meiner eigenen „Sound-Wand“ der Nachwelt zu erklären.
Ein spätes Dankeschön und diesen Bericht widme ich hiermit dem unbekannten, von uns gegangenen Gleichgesinnten, ich werde einen verschwindend kleinen Teil deines Erbes in Ehren halten.
mellow
Tja, eine Frage die viele Sammler quält, nach mir die Sintflut oder was?
Da hätten es die alten Ägypter, zumindest die Betuchten, vermutlich einfacher gehabt, die ganze Sammlung wäre ganz einfach ins Pharaonengrab verschoben worden, Stein davor und die ganze Chose mit Sand zugeschüttet. Okay, Tonträger kannten sie noch nicht, das Problem somit nicht gelöst. In heutiger Zeit, in der ein Archiv mit zehntausenden Songs in digitaler Form auf eine Festplatte passt oder auf einer Cloud gehortet wird, ist das Interesse an Sammlungen offenbar nicht mehr so gross, weil wer hat schon Lust gigantische, tonnenschwere Tonträgersammlungen zu verschieben? Wobei man dann nicht einmal weiss wohin damit: in die Wohnung passt sie nicht, das Kellerabteil der Mietwohnung ist viel zu klein, die Doppelgarage viel zu teuer…
Tatsächlich bin ich ja auch in einem Alter, wo man sich mit der Frage einer Entsorgungsmöglichkeit so langsam stellen muss. Andererseits, was soll es mich beissen, was mit der Sammlung geschieht? Zugegeben, ich könnte mal aufhören immer neue Tonträger anzuschleppen. Oder wie meine Nichten schon mal gesagt haben „du kannst deinen Scheiss selber entsorgen“, nachdem ich ihnen gedroht hatte, dass sie das mal erben können.